Die Verknüpfung von Strom, Wärme und Verkehr im Energiesystem der Zukunft
Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, den Ausstoß an Treibhausgasen im Vergleich zu 1990 mindestens um 40 Prozent bis 2020 und um 80-95 Prozent bis 2050 zu senken. Zwischen dem erstgenannten Ziel und dem bisher Erreichten (-27,7 Prozent im Jahr 2017) gibt es eine deutliche Minderungslücke. Die Kluft zwischen den politischen Klimaschutzzielen und der realen Entwicklung wird weiter wachsen, wenn sich der aktuelle Trend fortsetzt. Zusätzliche Anstrengungen beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, zur Verringerung der Nutzung fossiler Energiequellen, zur Steigerung der Energieeffizienz und zum Energiesparen sind dringend notwendig, um diesem entgegenzuwirken.
Auch wenn bei der medialen Diskussion der Energiewende der Stromsektor bislang im Fokus stand, zeigt ein Blick auf die Zusammensetzung des Endenergieverbrauchs die Bedeutung von Wärme und Verkehr: Insgesamt weist der Wärmeverbrauch den größten Anteil des Endenergieverbrauchs (49,6 Prozent) vor Verkehr (29,6 Prozent) und Strom (20,8 Prozent) auf. Die geringen Erneuerbaren-Anteile bei einem gleichzeitig großen Energiebedarf erhöhen den Handlungsbedarf bei der Dekarbonisierung des Verkehrs- und Wärmesektors somit immens.
Um alle fossilen Brennstoffe in diesen Sektoren zu ersetzen, muss erneuerbarer Strom für diese nutzbar gemacht werden, denn die vorhandenen Technologien im Verkehrs- und Wärmebereich reichen nicht aus, um eine hundertprozentige erneuerbare Energieversorgung zu erreichen. Ein solches intelligentes Zusammenspiel von Strom, Wärme und Verkehr wird unter dem Begriff Sektorenkopplung viel diskutiert. Sie ermöglicht neben der Dekarbonisierung von Wärme und Verkehr zeitgleich eine Flexibilität für den Stromsektor, die dringend benötigt wird: Einige Erneuerbare Energien unterliegen wetterbedingt Schwankungen, manchmal produzieren sie mehr und ein anderes Mal weniger Strom, als gerade verbraucht wird. Trotzdem muss auch bei den weiter ansteigenden Anteilen von erneuerbarem Strom die Balance von Erzeugung und Verbrauch im Netz gewahrt werden. Dies führt dazu, dass teilweise sogar Strom aus Wind- und Solaranlagen abgeregelt wird und diese Klimaschutzpotenziale verschenkt werden. Daher ist es sinnvoll, in Zeiten mit viel Wind und Sonne den regional nicht nutzbaren bzw. nicht abtransportierbaren sauberen Strom mit Hilfe der Sektorenkopplung für Verkehr und Wärme zu nutzen. Sektorenkopplung bringt eine hohe technische, rechtliche und wirtschaftliche Komplexität mit sich und die lokalen Akteure sehen sich bei der praktischen Umsetzung noch mit vielen offenen Fragen konfrontiert.
Der Stromsektor als Basis für die Verknüpfung der Sektoren
Der Stromsektor weist im Vergleich zu Wärme und Verkehr den größten Anteil an Erneuerbaren Energien auf. Mit 218 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh) lag dieser im Jahr 2017 bei 36,2 Prozent. Gegenüber 2016 nahm der Strom aus Sonne, Wind, Biomasse & Co. um 29,6 Mrd. kWh oder rund 16 Prozent zu. Den größten Anteil und Zuwachs verzeichnete dabei die Windenergie. Die im März 2018 angetretene Große Koalition hat sich das Ziel gesetzt, im Jahr 2030 einen Anteil von 65 Prozent erneuerbaren Stroms am Endverbrauch zu erreichen.
Der Stromsektor darf im Energiesystem der Zukunft nicht isoliert betrachtet werden. Nur die gleichzeitige Dekarbonisierung im Wärme- und Verkehrssektor ermöglicht das Erreichen der Klimaschutzziele. Die Vernetzung von Strom, Wärme und Verkehr zielt darauf ab, Synergien für die vereinfachte und beschleunigte Umstellung auf erneuerbare Energiequellen in allen drei Sektoren zu nutzen. Das Energiesystem der Zukunft verlangt eine noch viel weitergehende Verknüpfung von Strom, Wärme und Verkehr: Erneuerbarer Strom muss zunehmend zur wichtigsten Energiequelle für den Wärme- und Verkehrssektor werden.
Auswirkungen auf Stromerzeugung und -verbrauch
Die Bundesregierung setzt sich für den Stromverbrauch das Ziel, diesen bis zum Jahr 2020 um zehn Prozent gegenüber dem Wert von 2008 zu senken. In absoluten Zahlen bedeutet dies einen Rückgang beim Bruttostromverbrauch von 618 Mrd. kWh auf 556 Mrd. kWh pro Jahr. Die Verknüpfung der drei Sektoren hat einen großen Einfluss auf Stromerzeugung und Stromverbrauch, denn langfristig wird dadurch der Energiebedarf im Stromsektor den größten Anteil des gesamten Verbrauchs ausmachen. Während einerseits Effizienzmaßnahmen die Einspareffekte im Stromsektor vergrößern können, wird andererseits die zunehmende Nutzung von Strom in den anderen Sektoren eine Reduzierung des Verbrauchs relativieren. Unter Berücksichtigung der Sektorenkopplung geht das Umweltbundesamt von einem Endenergieverbrauch an Strom von 465,8 Mrd. kWh im Jahr 2050 aus.
Auch der Vergleich unterschiedlicher Szenarien in der AEE-Metaanalyse „Flexibilität durch Kopplung von Strom, Wärme und Verkehr“ spiegelt diesen gegenläufigen Trend wider: Auf der einen Seite bewirken Effizienzsteigerungen Einspareffekte bei den bisherigen Stromanwendungen, auf der anderen Seite entsteht durch neue Verbraucher bei der Nutzung von Strom im Wärme- und Stromsektor eine zusätzliche Stromnachfrage. Der Großteil der Studien geht davon aus, dass der Stromverbrauch sich auch unter der Annahme erheblicher Effizienzsteigerungen langfristig nicht reduzieren, sondern eher sogar noch steigern wird.
Die Kopplung mit Wärme und Verkehr schafft Flexibilität im Stromsektor
Die Verknüpfung von Strom mit Wärme und Verkehr wird als wichtige Flexibilitätsoption zur Stabilisierung des Stromsystems der Zukunft angesehen. Wind und Sonnenenergie sind volatil. Das bedeutet, dass sie zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich viel Energie erzeugen. Im Energiesystem der Zukunft wird ein wachsender Anteil an fluktuierenden Erneuerbaren Energien erwartet und somit eine flexible Nachfrage nach Strom benötigt.
Wenn die erzeugte Energie in Spitzenlastzeiten nicht verwendet und nicht gespeichert werden kann, kommt es zeitweise zu Überangeboten, wodurch die Erzeugungsanlagen bislang abgeregelt werden mussten. Allein 2017 konnten so mehr als 5 Mrd. kWh erneuerbarer Strom nicht genutzt werden. Pumpspeicher und Batterien können für ein kurzfristiges Überangebot genutzt werden, eignen sich jedoch aufgrund der geringen Speicherkapazität nicht für große Überschüsse bzw. für den Ausgleich von mehreren Wochen mit geringem Angebot von Sonne und Wind bei geringer fluktuierender Erneuerbaren Einspeisung.
Statt die Anlagen abzuregeln, kann der Strom im Wärme- und Verkehrssektor eingesetzt werden, womit gleichzeitig fossile Energieträger substituiert und die Netzstabilität gesichert wird. Wie groß der Flexibilitätsbedarf im Stromsystem ist, kann man an der Residuallast erkennen (Differenz zwischen dem aktuellen Stromverbrauch und der Einspeisung aus fluktuierenden Erneuerbaren Energien). Wenn die Stromerzeugung die nachgefragte Leistung übersteigt, ergibt sich eine negative Residuallast. Durch Stromexport, Netzausbau, Speicher oder eben durch die gezielte Steigerung der Nachfrage mithilfe der Sektorenkopplung, kann die negative Residuallast verringert werden. Ab 2030 werden diese Überangebote häufiger und über längere Zeiträume auftreten. Sektorale Flexibilität kann dazu beitragen, die erneuerbar erzeugte Energie besser zu nutzen, das System damit effizienter zu machen und den Ausstoß von Treibhausgasen zu begrenzen. Die Sektorenkopplung kann aber auch als Speicher für das Stromsystem in Situationen dienen, in denen die erneuerbare Erzeugung geringer als der Verbrauch ist.
Die Grafik zeigt, inwiefern auch bei Vervielfachung der Solar- und Windstromerzeugung Überangebot und verbleibender Bedarf ausgeglichen werden können.
Dieser Text wurde im RENEWES SPEZIAL NR. 86 / Januar 2019 veröffentlicht.
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