Vom Bewusstsein zur Verantwortung: Recycling in der Windbranche
Klimaschutz und immer knapper werdende Ressourcen erhöhen den Druck in allen Wirtschaftszweigen, auch bei den Erneuerbaren Energien. Über die Bedeutung des Recyclings in der Branche, insbesondere von Windenergieanlagen, besteht gerade auch vor dem Hintergrund des Nachhaltigkeitsversprechens kein Zweifel. Ein Gespräch mit dem Recycling-Experten und Geschäftsführer der neowa GmbH, Frank J. Kroll.
Herr Kroll, Sie selbst haben die neowa-GmbH gegründet, leiten diese seit vielen Jahren und sind 1. Vorsitzender des RDRWind e.V. Beide beschäftigen sich auf unterschiedlichen Ebenen mit dem Recycling von Windenergieanlagen, RDRWind e.V. darüber hinaus auch mit dem Repowering. Es gibt einen Weltrecycling-Tag. Brauchen wir wirklich ein solches Format?
Wir brauchen keine „Tage der oder des…“ - wir brauchen ein Bewusstsein, das sich immer dann abrufen und aktivieren lässt, wenn es darum geht, sich seiner Verantwortung zu erinnern: für Kinder, für das Wasser, für die Umwelt. Sollte uns das nicht gelingen, wird uns die Natur täglich vor Augen führen, was wir versäumt haben, weil „Tage der oder des …“ eben doch nicht ausreichend waren.
Welche Rolle spielt Recycling für die Nachhaltigkeit in der Erneuerbaren Branche und hier besonders bei der Windenergie?
Echtes „Recycling“ schließt erst den in der Kreislaufwirtschaft so oft gepriesenen Vollkreis; eine der Nachhaltigkeit verpflichtete Branche wie Wind oder PV oder Wasserkraft verschenkt sonst drei Dinge unnötigerweise:
Die Chance zum echten umweltgerechten Umgang mit ALLEN Rohstoffen, denn allein der Bau der für eine WEA unverzichtbaren Komponenten ist energieintensiv und leider auch immer noch CO2-kritisch zu betrachten, da alle für den Aufbau wie den Rückbau von Windenergieanlagen (WEA) eingesetzten Maschinen fossilen Antriebs sind.
Der zweite Punkt ist die Wiederverwendung eingesetzter Materialien in der Windkraft, denn technologisch wie verfahrenstechnisch müssen wir imstande sein, diese Stoffe wieder einzusetzen; für den Stahl erfolgt das über die Hütten- und Stahlwerke, für den Beton über den Wiedereinbau im Wegebau oder der Verfüllung, für die Glasfaserkomponenten der Rotorblätter über die thermisch-stoffliche Verwertung (Anm.: Hier ist der Kreis noch nicht geschlossen, da GFK-Fasern NOCH nicht großindustriell wiederaufbereitet werden). Mithin bleiben einige wenige Elektro-Komponenten Gegenstand einer echten Entsorgung.
Und außerdem die Glaubwürdigkeit, denn angesichts der leider immer noch kritischen Betrachtung der Windkraft darf an der nachhaltigen Entsorgung aller hiermit einhergehenden Komponenten und Materialien kein Zweifel bestehen und nur allerhöchste Transparenz kann das unterstützen.
Ist das auch ein Thema, womit man sich in anderen Ländern in dieser Branche beschäftigt?
Ja, wir arbeiten seit vielen Jahren mit Dänemark, Norwegen, Finnland, Niederlande, Frankreich und besonders Österreich zusammen und bauen hier sowohl Windparks zurück, bei denen die gleichen Anforderungen gestellt werden, und wir entsorgen Rotorblattbruch aus diesen Ländern. Das zeigt, dass die gleiche Sensibilität und das gleiche reflektierte Bewusstsein auch andernorts ausgeprägt sind.
Welche wirtschaftliche Bedeutung hat es?
Diese Form der Nachhaltigkeit generiert Wertschöpfung, damit Arbeitsplätze und im makroökonomischen Kontext auch Kaufkraft; es generiert Investitionen in Forschung und Entwicklung, bindet vor allem kleine und mittelständische Unternehmen in die Entwicklung ein und verteilt damit Expertenwissen auf eine Vielzahl an Unternehmen, die dieses Wissen weiterentwickeln und für andere Anwendungsbereiche verfügbar machen. Das Wissen um die strukturelle Verarbeitung von duroplastischen Werkstoffen (GFK, CFK …) öffnet Türen für Anwendungen in anderen Branchen. Das mündet in hoffentlich gesundem Wachstum – auch der eigenen Erkenntnis.
Stichwort Circular Economy - ist das Ihrer Meinung nach ein Zustand, den wir tatsächlich erreichen können und sollen?
Gegenfrage: Sollten wir den Geist der Bergpredigt erreichen? Hierauf kann ich nur persönlich motiviert antworten und erinnere daran, dass wir in einem Sozialen und Rechtsstaat leben, also eine Verfassung genießen, die auch eine soziale Verantwortung umfasst. Darüber hinaus gibt es seit kurzer Zeit den Artikel 20a im Grundgesetz, der die Verantwortung für natürliche Lebensgrundlagen auch zukünftiger Generationen festlegt. Zur Vervollständigung der Antwort möchte ich ausführen, dass die Artikel 1 und 20 zum sogenannten „verfassungsfesten Minimum“ zählen. Also auch nicht geändert werden können. Und damit sollten wir die Kreislaufwirtschaft als ständige Herausforderung annehmen und umzusetzen versuchen. Es lohnt sich.
Was kostet das Recycling einer WEA - wäre das „Wegwerfen“ billiger?
Von bis (Anm. der Redaktion: lächelt)? - Die Frage ist ohne eine Vielzahl an Prämissen nicht zu beantworten, denn das umfasst ja ALLE Komponenten, Materialien, Schmierstoffe, Hydrauliköle etc. Jede in diesem Kontext genannte Zahl würde dann noch mehr Fragen nach sich ziehen. Gleichwohl kneife ich bei der Antwort natürlich nicht; eine etwa 20 Jahre alte Anlage mit 1,5 Megawatt auf 80 Meter Nabenhöhe kostet einschließlich der Verwertung des Fundaments etwa 100.000 Euro plus.
Ein „Wegwerfen“ interpretiere ich als Entsorgung oder Verwertung und diese Option ist aufgrund der eingesetzten Energie, der damit verbundenen Transporte, der Verarbeitungsprozesse im Rahmen der Behandlung und nicht zuletzt wegen der aus der „Nicht-Wiederverwendung“ entstehenden Opportunitätskosten deutlich teurer. Und dabei habe ich nur die quantifizierbaren Kosten genannt. Hinzukommen würden der umweltpolitische Schaden und der damit einhergehende Glaubwürdigkeitsverlust.
Sie arbeiten, wie bereits erwähnt, seit einigen Jahren im Bereich des Recyclings. Wo sehen Sie sich in fünf Jahren und was muss die Industrie in den kommenden fünf Jahren erreichen?
Ich sehe mich dann hoffentlich im entspannten „Nach-Unternehmer-Leben“ mit Freiraum für meine Familie, Lehre und Waldarbeit.
Die Industrie sind übrigens WIR. Und WIR müssen in den nächsten Jahren die Begriffe „Wohlstand“, „Wohlergehen“, „Verantwortung“ und „Sinnhaftigkeit“ einer neuen inhaltlichen Bestimmung zuführen. Mein Wunsch ist es, dass es uns gemeinsam gelingt, Verzicht als Herausforderung und nicht als Niederlage zu begreifen. Dass das ökonomische Ziel der Gewinnmaximierung wenigstens noch einmal überdacht wird und das meine ich als bekennender Unternehmer nicht im marxistischen Sinne. Vielmehr ist der Begriff „Gewinn“ neben seiner betriebswirtschaftlichen Bedeutung auch philanthropisch oder ethisch, religiös oder gesellschaftspolitisch neu zu besetzen oder zu ergänzen. Alle sind dazu eingeladen.
Industrie im weitesten Sinne muss eine bessere und gesellschaftlich belastbarere Akzeptanz erreichen. Industrie ist nicht nur Arbeitsplatz und Produktion, nicht nur Stress und Einkommensquelle. Industrie ist auch Verantwortung und Bürde.
Alle anderen Erwartungen an uns und damit an die Industrie
werden aktuell von wesentlich begabteren und weitsichtigeren Zeitgenossen
durchdacht, als ich es vermag. Und das ist gut so.
Über neowa
„We design waste“ – ein Leitsatz der neowa GmbH, die sich seit ihrer Gründung im November 2014 dem Recycling von Faserverbundwerkstoffen verschrieben und sich damit beispielsweise in der Windbranche für eine ressourcenschonende Lösung für Rotorblattbruch wie auch für andere Produktionsabfälle von Faserverbunden einen Namen gemacht hat.
Das Interview führte Anika Schwalbe
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