"Wir haben bereits gezeigt, dass wir "Energiewende" können!"

Für eine erfolgreiche Energiewende braucht es eine Politik, die Farbe bekennt, Chancen aufzeigt, Risiken managt – zusammen mit Betreiber*innen und Bürger*innen, sagt Annette Nüsslein, CEO von WindConsultant, im Gespräch mit der Agentur für Erneuerbare Energien.

Interview_Annette_Nuesslein_SW_72dpiFrau Nüsslein, Sie beraten mit Ihrem Unternehmen windConsultant Unternehmen und sind gleichzeitig auch Teil der Industrievereinigung Repowering, Demontage und Recycling von Windenergieanlagen (RDRWind e.V.), die sich mit dem Rückbau von XXL-Produkten wie Windenergieanlagen beschäftigt. Wollten Sie schon immer eine eigene Firma leiten?

Das hat sich im Laufe meines Berufslebens ergeben und ich habe dann die Chance zur Gründung von windConsultant 2005 genutzt. So war es möglich, auf neue Herausforderungen zu reagieren, Geschäftschancen innerhalb der Windindustrie zu verfolgen und Ideen praxisnah und zeitnah umzusetzen.

In meinem Fall hat mich der persönliche Kontakt zum amerikanischen Windenergieverband (AWEA) bei der HUSUM Wind 2003 inspiriert. Das war meine Chance, wie sich später herausstellte. Die deutsche Windindustrie ist verstärkt exportorientiert und international erfolgreich. Hier wollte ich beraten und unterstützen. Dabei wurde auch immer wieder deutlich, welch große Wertschätzung die Windindustrie auch im Ausland genießt. Das war ganz klar ein Ansporn für mich.

Foto: Annette Nüsslein

Mit dem Auslaufen des EEG 2021 stehen viele Betreiber von Windenergieanlagen vor der Frage, was sie mit ihren Anlagen machen. Wo ist Ihrer Meinung nach hier der größte Handlungsbedarf, um die Betreiber zu unterstützen?

Grundsätzlich stehen die Betreiber ja vor der Frage: Weiterbetrieb, Repowering, Rückbau oder Verkauf? Ich bin dankbar, dass das Thema „Weiterbetrieb“ in der Windbranche selbst an Transparenz und Bedeutung gewonnen hat. Den Betreibern stehen heute ganz unterschiedliche Lösungen zur Verfügung. Das betrifft neue unternehmerische Partnerschaften für den Weiterbetrieb oder auch flexiblere Wartungs- und Serviceverträge, um wirtschaftliche Risiken durch Schadensfälle bei Altanlagen abzufedern.  

Es gibt auch Angebote in Richtung Pooling: Dabei werden die Anlagen in den Vermarktungspool des Partners aufgenommen, aber der Alt-Betreiber bleibt Eigentümer.

Grundsätzlich wird es eine große Rolle spielen, wie sich der Strompreis an der Börse entwickelt. Steigt er deutlich, verbessern sich die Chancen für den Weiterbetrieb.

Stilllegung und Rückbau sind die letzte Konsequenz. Ideal für die Betreiber wäre es, wenn sich vor Ort ein Repowering anschließen würde. Denn die Anlagentechnologie hat sich verständlicherweise weiterentwickelt. Doch hier benötigen viele Betreiber in Schleswig-Holstein, in Brandenburg oder auch in Nordrhein-Westfalen aktuell den „langen Atem“, also Durchhaltevermögen, denn das Repowering wird politisch erschwert. Die Betreiber sind sicherlich gut beraten, daher immer wieder bei der Kommune und bei politischen Entscheidungsträgern vorstellig zu werden und ihr Anliegen vorzutragen.

Was sind Ihrer Meinung nach gerade die drängendsten drei Fragen, die sich hinsichtlich der Erneuerbaren Energien stellen?

1. An erster Stelle steht für mich sicherlich die Frage nach der Akzeptanz der regionalen Energiewende. Das schließt kommunale und regionale Beteiligungsmodelle mit ein.

2. An zweiter Stelle steht für mich die Frage, wie wir die politische Auseinandersetzung um die regionale Energiewende in den Bundesländern positiv beflügeln können. Wir brauchen meines Erachtens eine Politik, die Farbe bekennt, Chancen aufzeigt, Risiken managt. Sie darf sich keinesfalls vor dem Meinungsstreit mit den Bürgerinnen und Bürgern drücken. Gute Argumente müssen in die Waagschale geworfen werden und gewichtet. Die Energiewende ist ein Gemeinschaftsprojekt – darin liegt die Herausforderung. Wenn wir uns diesem Meinungsstreit in Stadt und Land verweigern, stärken wir Gruppen und Parteien, die die menschengemachte Klimakrise leugnen.
Wir haben aber bereits gezeigt, dass wir „Energiewende“ können! Und ich bin optimistisch, dass wir auch durch unsere Technologiekompetenz weitere Lösungen sehen werden.

3. Ich frage mich auch, wie wir noch besser ins Gespräch kommen können. Wie können wir weiterhin Innovationen stärken, regionale Pilotprojekte starten, regionale Partnerschaften und neue Allianzen initiieren, Einstiegsmöglichkeiten in die Branche für junge Menschen und Quereinsteiger schaffen - in Ost und West?

Wo sehen Sie die Erneuerbaren Energien im Jahr 2030?

Wir sind einen großen Schritt weiter. Der Jobmotor der Erneuerbaren Energien wird für alle noch deutlicher erkennbar. Kleine und große Unternehmen auch aus dem Bereich der Erneuerbaren Energien werden mit ihren Innovationen und Speicherlösungen den Wirtschaftsstandort & Industriestandort Deutschland national und international beflügeln. Wir holen wieder auf, wir lassen uns nicht abhängen, wir können Energiewende. Die Umwelttechnologien helfen uns dabei.

Seit vielen Wochen gehen auch in Deutschland Schüler jeden Freitag unter dem Motto „Fridays for Future“ auf die Straße. Was würden Sie den jungen Menschen gern sagen?

Ich würde zuhören. Und versuchen, mit meinen Möglichkeiten den jungen Menschen „Raum“ zu geben, Gehör zu finden.

Welche Persönlichkeiten/ Menschen haben Sie inspiriert – inspirieren Sie?

Menschen mit Zivilcourage im Alltag. Menschen, die ihre Talente und Fähigkeiten ernst nehmen und innovativ sind. Menschen, die sich auch von Bedenkenträgern und Angstmachern auf Dauer nicht einschüchtern lassen.

Welches Medienformat bevorzugen Sie, wenn Sie sich zu Themen der Nachhaltigkeit/ Erneuerbare Energien auf dem Laufenden halten wollen?

Newsletter, Morning Briefings, Marktreports und Studien. Neue Dialogformate.

Dieser Artikel wurde im Renews, dem Newsletter der Agentur für Erneuerbare Energien, veröffentlicht.

Pressekontakt
Agentur für Erneuerbare Energien e.V.
Anika Schwalbe
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