Klimaschutz ernten
Der Klimaschutz braucht Landwirtschaft und Kommunen. Ohne die Landwirt*innen ist weder ein klimapolitisches Flächenmanagement realisierbar, noch können die lokalen Rohstoffpotenziale mobilisiert werden. Die Kommunen wiederum sind in der Lage, verschiedene Interessen zu erkennen und zu moderieren.
Wie das Dorf, so die Bauern“, heißt es in einem schlesischen Sprichwort – Zeugnis einer einst sehr engen Beziehung, denn Dörfer und Bauern haben sich lange Zeit gemeinsam entwickelt. Die ersten prähistorischen Siedlungen entstanden, als in der Jungsteinzeit aus Jägern und Sammlern sesshafte Menschen hervorgingen, die Ackerbau und Viehhaltung betrieben. Die eng beieinander liegenden Behausungen boten ihnen Schutz und gegenseitige Hilfe. Im Spätmittelalter begannen bäuerliche Feldgemeinschaften in Europa, verbindliche Regeln für Kulturen, Anbau- und Erntezeiten sowie Überfahrt- und Weiderecht zu entwickeln, den sogenannten Flurzwang. Die laufende Aushandlung und Durchsetzung dieser landwirtschaftlichen Regeln gelten als wesentlicher Faktor für die Entwicklung eng verflochtener, dörflicher Gemeinwesen. Entsprechend war Dorfpolitik hauptsächlich vom Bauernstand dominiert.
Auch sprachlich schlug sich dies nieder: Das Wort „Bauer“ entstand aus dem althochdeutschen „gibūro“, was für „Mitbürger“ oder „Dorfgenosse“ stand.
UMBRUCH DURCH MODERNISIERUNG
Auch nachdem im 19. Jahrhundert der Flurzwang in Deutschland weitgehend aufgehoben worden war, waren agrarische Belange zunächst zentral für die Kommunalpolitik, denn landwirtschaftliche Produktion, Verarbeitung und regionale Märkte mussten nach wie vor die Ernährung der Bevölkerung unmittelbar vor Ort
sicherstellen.
Diese regionale Eigenversorgung wurde jedoch in der Bundesrepublik nach dem zweiten Weltkrieg durch den wachsenden und zunehmend internationalen Agrarhandel sowie durch die spezialisierte, industrielle Verarbeitung und die Verteilung von Lebensmitteln durch Handelsketten abgelöst. Zugleich wurde die Agrarpolitik durch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EWG-Vertrag) 1957 stark europäisiert. Nunmehr waren Städte und Gemeinden nicht mehr dafür verantwortlich, die lokale Nahrungsmittelversorgung durch Vor-Ort-Produktion zu sichern. Dies wurde vor allem durch die Europäische Union, den Handel und die Logistik gewährleistet. Innerhalb der Kommunalpolitik der alten Bundesländer trugen die Gemeindereformen der 1960er und 70er Jahre dazu bei, dass gerade kleine, bäuerliche Gemeinden ihre politische Eigenständigkeit verloren. Eingemeindet in die größeren Gebietskörperschaften waren die bäuerlichen Belange nunmehr lediglich eines von vielen Interessen, die es zu beachten galt.
Im „Arbeiter- und Bauernstaat“ DDR stellten die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) vielerorts kommunale Infrastruktur wie Kindergärten, Wohnungswirtschaft, Freizeitheime und Baubrigaden bereit. Nach dem Beitritt der DDR in die BRD konnten sich die industrialisierten Großbetriebe der LPG-Nachfolger relativ schnell marktwirtschaftlich behaupten. Im Zuge der einhergehenden Rationalisierungen wurden allerdings nicht nur massiv Arbeitsplätze abgebaut, sondern auch die betriebswirtschaftlich nicht profitablen Bereiche, gerade die der kommunalen Daseinsvorsorge, abgestoßen.
LANDWIRTSCHAFT ALS KOMMUNALE QUERSCHNITTSDISZIPLIN
In welcher Beziehung stehen also Kommunalpolitik und Landwirtschaft heute? Der relative Bedeutungsverlust der Landwirtschaft in der Kommunalpolitik ist nur ein scheinbarer. Denn verschwunden ist sie freilich keineswegs aus den Gemeinden: 46 Prozent der Fläche Deutschlands wird heute landwirtschaftlich genutzt. Selbst in Großstädten mit über 100.000 Einwohner*innen sind im Durchschnitt rund ein Viertel der Flächen Agrarflächen. Allein angesichts dieser Präsenz in der Fläche ist die Landwirtschaft von der kommunalpolitischen Tagesordnung kaum wegzudenken. Vor allem aber hat sich die Rolle der Landwirtschaft gewandelt, von der lokalen Eigenversorgung zu einem Lebensbereich, der komplex mit Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt verwoben ist: Die Rede ist nun von der multifunktionalen Landwirtschaft.
Ökonomisch stellt die Landwirtschaft mit einer Bruttowertschöpfung von bundesweit 20 Milliarden Euro (2019, einschließlich Forstwirtschaft und Fischerei) und knapp 600.000 Erwerbstätigen nach wie vor einen bedeutenden Wirtschaftszweig dar. Zählt man die vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche wie Produktionsmittel und Lebensmittelverarbeitung hinzu, sind rund zehn Prozent aller Beschäftigten in Deutschland (4,7 Millionen) im sogenannten Agribusiness tätig. Ein Großteil dieser Wertschöpfungsketten durchziehen den ländlichen Raum in Deutschland. Zudem sorgt der Agrartourismus für jährlich 16 Millionen Übernachtungen auf Bauernhöfen & Co.
Die ökologische Funktion der Landwirtschaft ergibt sich insbesondere aus ihrer engen Einbindung in das Ökosystem vor Ort. Die Bewirtschaftung von Acker- und Grünland hat direkte Auswirkungen auf die dortige Artenvielfalt, Bodenbeschaffenheit und Gewässerqualität. Zudem ist der Agrarsektor Quelle erheblicher Treibhausgasemissionen, wobei Böden und Pflanzen auch eine wertvolle Senke für Kohlenstoff aus der Atmosphäre darstellen. Nicht zuletzt ist die Landwirtschaft prägender, soziokultureller Faktor des ländlichen Raums. Lokale Traditionen und Brauchtümer wie Feste und kulinarische Spezialitäten, Ortsbild und Kulturlandschaft, aber auch zwischenmenschliche Begegnungsformen wie etwa im Vereinswesen haben häufig ihre Wurzeln in den landwirtschaftlichen Strukturen dörflichen Gemeinwesens.
Aus dieser Perspektive wird klar, dass kommunale Agrarpolitik als Querschnittsdisziplin über verschiedene kommunalpolitische Ressorts verteilt ist: In der Wirtschaftspolitik, in Umwelt- und Klimaschutz, in flächenpolitischen Fragen der Verkehrs- und Siedlungsentwicklung, aber auch in der Förderung von lokaler Zivilgesellschaft, Bildung und Kultur. Dank ihrer Nähe zu den konkreten Situationen vor Ort sind Kommunen in der Lage, Synergien und Konkurrenzen verschiedener Interessen – einschließlich der Landwirtschaft – zu erkennen und zu moderieren. Das Dorf und seine Bauern – sie brauchen einander noch immer.
LANDWIRTSCHAFT UND KOMMUNALER KLIMASCHUTZ
Entsprechend ist die Landwirtschaft auch für den kommunalen Klimaschutz ein zentraler Faktor. Denn auch dieser wird allgemein als kommunale Querschnittsaufgabe verstanden, die unter Einbeziehung möglichst aller lokalen Stakeholder angegangen werden soll.
Einerseits verursacht die Landwirtschaft – gerade in stark agrarisch geprägten Kommunen – einen bedeutenden Teil der Treibhausgasemissionen. Besonders klimawirksam sind hierbei das aus den Böden entweichende Lachgas und die Methanemissionen aus der Tierhaltung. Auch die landwirtschaftliche Nutzung von entwässerten Moor- und moorähnlichen Böden ist mit hohen Emissionen verbunden: Obwohl diese Böden nur 7 Prozent der Agrarfläche in Deutschland stellen, sind sie für 37 Prozent der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft verantwortlich. Die Minderungspotenziale in diesem Bereich zu mobilisieren und Agrarflächen als natürliche Kohlenstoffsenke zu nutzen, ist daher ein wichtiger Handlungsansatz, um die Gesamtemissionen in der Kommune zu senken.
Andererseits sind Agrarbetriebe unverzichtbare Partner für die Kommune, um den Klimaschutz auch außerhalb der direkten Feld- und Viehwirtschaft umzusetzen. Denn sie verfügen über einen Großteil der Flächen- und Biomassepotenziale für den Ausbau Erneuerbarer Energien. Schon heute stellen sie die Fläche für 70 Prozent der Windenergieanlagen in Deutschland und besitzen 73 Prozent der Biogasanlagen. Auch für die Wärmebereitstellung mittels Holzenergie – heute verantwortlich für gut 70 Prozent der regenerativen Wärme in Deutschland – stammen die Rohstoffe häufig aus land- oder forstwirtschaftlichen Quellen. Ohne die Landwirt*innen ist also weder ein klimapolitisch ehrgeiziges Flächenmanagement realisierbar, noch können die lokalen Rohstoffpotenziale mobilisiert werden (Mehr dazu auf S. 13). Neben Natur- und Artenschutz wird in den nächsten Jahren der Handlungsdruck in der Landwirtschaft vor allem beim Klimaschutz steigen. Nachhaltiges Wirtschaften steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zum anhaltenden Kostendruck, dem insbesondere konventionelle Betriebe ausgesetzt sind: Die Märkte verlangen mehr Produkte zu billigeren Preisen, während die Naturressourcen für deren Erzeugung mehr und mehr an ihre Grenzen stoßen.
Der ökonomische Druck bedeutet jedoch nicht, dass Landwirt*innen ihre Augen vor dem Klimaschutz verschlössen. Nach den Ergebnissen einer Studie der Universität Hamburg weiß die Mehrheit der befragten Landwirt*innen um die Gefahren, die vom Klimawandel für die Landwirtschaft ausgehen. Rund zwei Drittel hält den Klimaschutz in der Landwirtschaft für ein wichtiges Thema, während viele sich mehr Zeit, Informationen und wirtschaftliche Unterstützungs- und Ausgleichsmaßnahmen wünschen. Sie sind sich des öffentlichen Drucks für mehr Klimaschutz auf ihrer Branche bewusst (66%), während die öffentliche Anerkennung ihrer Klimaschutzleistungen eine starke Motivation darstellt (69 %).
Insofern dürfte der kommunale Klimaschutz buchstäblich auf fruchtbaren Boden treffen bei den Agrarbetrieben vor Ort. Auch wenn viele der wesentlichen Rahmenbedingungen auf Bundes- und Europaebene gesetzt werden, lohnt es sich für Landkreise, Städte und Gemeinden, ihre Klimaschutzaktivitäten gemeinsam mit der Landwirtschaft zu entwickeln. Der vorliegende KOMM:MAG-Schwerpunkt „Klimaschutz ernten“ zeigt Beispiele und Handlungsansätze, um den Klimaschutz zu einer Win-Win-Situation für Kommunen und Landwirt*innen zu machen. Denn die Landwirtschaft ist ein Faktor des kommunalen Klimaschutzes, Klimaschutz ist ein Faktor für die künftige Entwicklung der Landwirtschaft. Gemeinsam sind sie unverzichtbar für die Entwicklung des ländlichen Raums.
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