20 Jahre Strommarkt-Liberalisierung: Befreiung für saubere Energiewende-Lösungen
Mit dem am 29. April 1998 in Kraft getretenen „Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts“ begann in Deutschland die von der Europäischen Union vorgegebene Liberalisierung der Strommärkte. Nun stehen 20 Jahre später in Brüssel mit dem Gesetzespaket zu sauberen Energien aktuell neue Aufgaben an: Es geht jetzt nicht zuletzt darum, auf dem Strommarkt faire Bedingungen für Bürgerenergie und Eigenverbrauch aus Erneuerbaren Energien europaweit zu schaffen.
Seit den Neuerungen im Energiewirtschaftsrecht, die 1998 umgesetzt wurden, können Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland ihren Stromanbieter frei wählen. Der Netzzugang für neue Stromanbieter wurde rechtlich verankert. Für die Liberalisierung der Strommärkte waren das Meilensteine. Doch 20 Jahre später stellen sich angesichts der Aufgaben von Ressourcen - und Klimaschutz neue Fragen an Markt und Regulierung.
Die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) hat daher in einer Auswertung zentrale Kennzahlen zur Entwicklung der Strommärkte in einzelnen EU-Mitgliedstaaten in den vergangenen 20 Jahren unter die Lupe genommen. Das Fazit: Die Liberalisierung des Strommarktes hat in Deutschland und zahlreichen weiteren EU-Mitgliedstaaten positive Auswirkungen auf die Anbietervielfalt zugunsten einer nachhaltigeren Stromproduktion gehabt. Andererseits hinken Länder, die Chancen der Liberalisierung versäumten, häufig bei der Entwicklung Erneuerbarer Energien hinterher.
In Deutschland hat sich die Zahl der Stromanbieter mittlerweile auf bundesweit mehr als 450 erhöht. Ähnlich dynamisch war die Entwicklung in anderen EU-Ländern, welche die Liberalisierung entschlossen anpackten, z.B. in Dänemark, den Niederlanden und Spanien, die jeweils über mehrere Dutzend unabhängige Stromanbieter verfügen. Zugleich stieg der Anteil Erneuerbarer Energien in diesen Staaten im EU-Vergleich überdurchschnittlich. So verzehnfachte sich die Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien in Dänemark und den Niederlanden seit Ende der 1990er Jahre. In Deutschland versechsfachte sie sich. Pioniere bei der Liberalisierung sind also häufig auch Vorreiter beim Ausbau Erneuerbarer Energien. Das liegt daran, dass die Auflösung alter, von fossilen Energien geprägten Monopolen, den Weg frei machte für neue, häufig innovative, umweltfreundliche Unternehmen und Produkte.
Kennzahlen
Zu den von der AEE
neben der Zahl der unabhängigen Stromanbieter berücksichtigten Kennzahlen
gehören die Zahl der Verbraucher, die sich für einen Ökostromtarif entschieden
haben ebenso wie der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromversorgung. Eines
der führenden Länder beim Ökostromausbau ist Dänemark mit einem Anteil
Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung von rund 54 Prozent. Gleichzeitig
beziehen nur rund 6 Prozent unserer nördlichen Nachbarn einen Ökostromtarif.
Das könnte ein Indiz dafür sein, dass die Wechselbereitschaft mit einem
wachsenden Anteil Erneuerbarer Energien am nationalen Strommix abnimmt. Eine ähnliche
Tendenz lässt sich in Deutschland beobachten, wo der Run auf
Erneuerbaren-Tarife in den Jahren nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima
sich zuletzt spürbar verlangsamte.
Doch auch andere Entwicklungen sind möglich. So erhöhte sich in Portugal der Anteil Erneuerbarer Energien im Strombereich auf 54 Prozent im Jahr 2016, nach 32 Prozent im Jahr 2007, dem Jahr der Liberalisierung. Damit stehen die Portugiesen zusammen mit Dänemark an der Spitze der EU-Rangskala in Sachen Erneuerbaren-Ausbau und können sich neben der Windkraft auf eine traditionell hohe Bedeutung der Wasserkraft verlassen. Rund ein Fünftel der Portugiesen wechselten im Jahr 2016 ihren Stromversorger. Der hohe Anteil von Stromwechslern in Portugal ist darauf zurückzuführen, dass erst seit 2014 die Preisbindung im Endverbrauchermarkt aufgehoben wurde. Nach schrittweisem Auslaufen des festen Strompreises beim früheren Monopolisten EDP haben sich besonders viele Haushalte einen neuen Anbieter gesucht.
Marktöffnung und Energiewende bringen mehr Vielfalt
Liberalisierung
ist nicht zu verwechseln mit Laissez faire. Jüngstes Beispiel: Das in Brüssel
verhandelte Gesetzespaket zu sauberer Energie, das sogenannte „Clean Energy
Package“, das aktuell zwischen Europäischer Kommission, Europaparlament und den
Regierungen der EU-Mitgliedstaaten verhandelt wird. Erstmals sollen europaweit
Rechte für Bürgerenergie-Projekte festgelegt werden. Dazu gehört das Recht,
diesen Strom zu speichern und über das Netz zu verkaufen. Ziel ist auch eine
Stärkung kommunaler Wertschöpfung und der Bürgerbeteiligung vor Ort. Für einen
modernen, dezentralen Energiemarkt mit Erneuerbaren Energien bietet das
EU-Gesetzespaket große Chancen. So macht sich gerade das Europaparlament dafür
stark, den Eigenverbrauch und die Direktvermarktung vor Ort nicht unnötig zu
behindern.
Das in Brüssel verhandelte „Clean Energy Package“ setzt auf eine Fortführung des Liberalisierungskurses, hin zu einem immer stärker integrierten EU-Binnenmarkt für Energie. Vor allem der grenzüberschreitende Stromhandel und Netzausbau sollen gestärkt werden. Viele Mitgliedstaaten, vor allem Nachzügler in Sachen Marktöffnung, fürchten damit allerdings zusätzlichen Druck auf ihre nationalen Energiekonzerne. Aber auch in Westeuropa – so in Großbritannien und Frankreich – haben wenige, häufig von der Atomkraft geprägte Konzerne, noch eine starke Marktstellung. Für die Regulierer schafft das neue Herausforderungen, denn die Versuchung ist groß, angesichts des Erstarkens der immer günstiger werdenden Erneuerbaren Energien verkrustete Strukturen wie in der Atomwirtschaft mit Milliarden-Subventionen am Leben zu halten. Dass eine entschlossene Marktöffnung keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt auch die Entwicklung in Deutschland. Nach der eingeleiteten Marktöffnung 1998 traten andere Reformen, so die Schaffung der Bundesnetzagentur als unabhängigem Regulierer oder auch die strikte unternehmerische Trennung von Netzen und Stromproduktion erst viel später in Kraft.
- Dieser Artikel wurde im Renews, dem Newsletter der Agentur für Erneuerbare Energien, veröffentlicht. -
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