"Dezentrale Stromerzeugung und Klimaschutz schaffen einen ganzen neuen Kosmos an unternehmerischen Chancen"
Frau Dr. Reuter, Sie sind Geschäftsführerin von UnternehmensGrün e.V., dem Bundesverband der grünen Wirtschaft. Welche Ziele hat der Verband?
UnternehmensGrün ist seit 1992 die politische Stimme für eine nachhaltige Wirtschaft. Als parteipolitisch unabhängiger Unternehmensverband setzen wir uns für Umwelt- und Klimaschutz ein. Der Verband hat beispielhaft dazu beigetragen, ökologische und soziale Nachhaltigkeitsthemen in die politische Diskussion einzubringen, einer der Erfolge ist das EEG. Und immer wieder initiiert und koordiniert UnternehmensGrün Bewegungen, zuletzt die Wirtschaftsinitiative „Entrepreneurs For Future“.
Wie sollten Konjukturprogramme aufgrund der Corona-Pandemie ausgestaltet sein, um Nachhaltigkeit und Wirtschaft in den kommenden Jahren zeitgleich zu fördern?
Es ist völlig klar, dass Deutschland, aber auch Europa, beide Krisen gleichzeitig adressieren muss: Die Klimakrise und die Coronakrise. Konjunkturprogramme dürfen daher keine Wirtschaftsmodelle der Vergangenheit fördern. Nachhaltige Anreizprogramme wie der Green Deal gehen in die richtige Richtung, auch die Förderung der Kreislaufwirtschaft. Unsere Bundesregierung muss parallel die Bremsen bei dem Ausbau der Erneuerbaren Energien lösen, damit die Dekarbonisierung auch für die Industrie gelingt.
UnternehmensGrün spricht sich deutlich für die dezentrale Energiewende aus. Wie profitieren Start-Ups und etablierte Unternehmen von dezentralen Energielösungen sowie der Eigenenergieerzeugung?
Dezentrale Stromerzeugung und Klimaschutz schaffen einen ganzen neuen Kosmos an unternehmerischen Chancen. Wo früher wenige Großkonzerne den gesamten Markt in der Hand hatten, gibt es heute hunderte Start-Ups für neue Dienstleistungen und Produkte: Seien es digitale Lösungen bei der Energieabrechnung, Elektromobilität, neue technische Konzepte für Energiespeicher oder - was besonders aktuell ist - für die Umwandlung und Speicherung des Klimaschadstoffs CO2. Nicht nur bei uns, gerade auch das Silicon Valley setzt auf neue grüne Techniken als "next big thing". Parallel profitieren weiter die erneuerbaren Pionier-Firmen, die seit 30 Jahren Windparks und Solaranlagen bauen: Ihre Expertise ist weltweit gefragt. Hier vor Ort entdecken immer mehr konventionelle Firmen, dass die Stromversorgung mit eigenen Solaranlagen angesichts der heute enorm kostengünstigen Solarmodule nicht nur das Klima schützt und Sinn macht, sondern auch billiger sein kann als der Strom vom traditionellen Energieversorger.
Der UnternehmensGrün-Leitfaden „Firmenenergie“ zeigt, wie der Ausbau von Erneuerbaren Energien und die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen auf dem eigenen Firmengelände vorangetrieben werden können. Welche Hindernisse müssen abgebaut werden, damit Unternehmen diese Potenziale verstärkt nutzen?
Vor allem muss grüner Strom billiger und Energie aus Kohle, Gas und Öl um ein Vielfaches teurer werden. Strom wurde traditionell mit sehr hohen Abgaben belegt, das hat sich bis heute nicht geändert - wie die aktuelle Debatte über versteckte Stromkosten wie die EEG-Umlage zeigt. Die fossilen Brennstoffe wurden und werden dagegen künstlich billiger gemacht, etwa Diesel und Heizöl. Kohle, Gas und Öl werden zwar im kommenden Jahr durch die neue CO2-Abgabe etwas teurer. Aber diese Anreize von 25 Euro je Tonne CO2 sind viel zu gering. Erst wenn wir hier 100 Euro je Tonne sehen, lohnen sich Investitionen etwa in die drängende energetische Sanierung unserer Gebäude auch wirtschaftlich. Wir müssen die Preisstruktur für Energie vom Kopf auf die Füße stellen. Damit sich für die Unternehmen Firmenenergie-Projekte rechnen, muss die EEG-Umlage für den Eigenverbrauch abgeschafft werden.
Trotz den andauernden Klimastreiks und dem öffentlichen Interesse an der Energiewende ist ein stetiger Rückgang der Arbeitsplätze in der deutschen Erneuerbaren-Energien-Branche zu verzeichnen. Was muss passieren, damit dieser Negativtrend gestoppt wird?
Bei der Bundesregierung, aber auch bei Landesregierungen wie z.B. in Sachsen, klaffen die klimapolitischen Absichtserklärungen und die tatsächliche Politik oft meilenweit auseinander. Bund und Land formulieren wolkige Klimaversprechen - aber ohne den Ausbau der Erneurbaren geht das nicht, sie sind die Basis für jede Politik, die Klimaschutz verspricht. Gerade der Windenergie muss man Raum geben, um mehr grünen Strom zu produzieren. Das geht in die Details der Landesplanung und auch der naturschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren. Da ist viel mehr möglich, ohne Menschen und Natur zu gefährden. Wenn Bund und Länder hier endlich liefern, werden wir auch einen schnellen Aufschwung erleben. Doch tatsächlich droht die Windkraftleistung in Deutschland zurück zu gehen und innovative einheimische Unternehmen wie der Hersteller Senvion gehen bankrott. Das erinnert schmerzhaft daran, wie falsche politische Weichenstellungen vor einem Jahrzehnt auch die Solarenergie in Deutschland zerstört haben.
Mit der Initiative Entrepreneurs For Future bringt UnternehmensGrün die Forderungen für klimaschonendes Wirtschaften auf die Straße. Welche Erfahrungen haben Sie als Initiatoren gemacht und welche Bedeutung hat Aktivismus in der Nachhaltigkeitsbranche?
Die Gründung einer Wirtschaftsinitiative, die die FridaysForFuture-Bewegung unterstützt und auch unternehmerische Lösungen aufzeigt, war schon ein besonders aufregendes Kapitel. Als Co-Initiatoren haben wir einerseits gestaunt, in wie vielen Unternehmen erst durch die Klimastreiks das Thema auf den Tisch kam. Andererseits haben wir auch gemerkt, wie wichtig für die Politik das Signal ist „hey, auch aus der Wirtschaft heraus gibt es die Forderung nach MEHR Klimaschutz“. Aktivismus in der der Nachhaltigkeitsbranche – darüber könnte ich jetzt zwei Stunden sprechen, denn die Weiterentwicklung von CSR zu CPR (Corporate Political Responsibility) wird immer wichtiger und dann sind eben auch verschiedene Aktionsformate für die Unternehmen ein Bestandteil. Bei unserem Wirtschafts-Klimastreik im vergangenen September haben mir ganz viele Unternehmen erzählt, dass sie das erste Mal auf einer Demo sind.
Was inspirierte Sie zu Ihrem Berufsweg und wie kam es zu Ihrem Interesse an Ökologie und Nachhaltigkeit?
Mein Interesse für Politik wurde schon früh geweckt, da war ich 15. Nach einem Besuch des Konzentrationslagers Ausschwitz war für mich klar, dass man sich einmischen muss in die Gesellschaft. Das hat mich echt geprägt. Auf der Suche nach einer Jugendbewegung, die zu mir passt, gründete ich mit Gleichgesinnten die Grüne Jugend. Die gab´s damals noch nicht, weil die Grünen zuvor selbst eine junge Partei waren. Wir haben dann u.a. Aktionen in der Fußgängerzone zu nachhaltigen Verpackungen gemacht, Demos organisiert oder im AK Ernährung mit Grünkernbratlingen experimentiert. Als ich mit 18 das erste Mal wählen durfte, stand mein Name ganz oben auf dem Wahlzettel zur Bezirksverordnetenversammlung.
Obwohl ich Berlinerin und Großstadtpflanze war, wollte ich Bäuerin werden und habe Landwirtschaft studiert. Die Herausforderung im Marketing für ökologische Produkte hat mich so fasziniert, dass ich dazu geforscht und promoviert habe. Als Geschäftsführerin der Zukunftsstiftung Landwirtschaft durfte ich dann wegweisende Projekte im Ökologischen Landbau fördern und voranbringen. Ökologie und Nachhaltigkeit ziehen sich also wie ein grüner Faden durch mein Leben.
Wo möchten Sie die Erneuerbaren im Jahr 2030 sehen und welche Rahmenbedingungen müssen dafür geschaffen werden?
Das Ziel muss es sein, dass wir bis dahin mindestens drei Viertel des Stroms mit Erneuerbaren erzeugen, dass wir Wasserstoff zum Öl der Zukunft machen und vor allem bei den Sorgenkindern Mobilität und Gebäude die Weichen klar auf Nachhaltigkeit gestellt haben. Da liegt noch sehr, sehr viel im Argen. Deutschland sollte sich vornehmen, schon 2035 klimaneutral zu sein. Dazu müssen wir auch zeigen, wie das technisch und organisatorisch geht. Aber das lohnt sich: man sieht am weltweiten Erfolg vieler EE-Unternehmen, dass solche Lösungen weltweite Exportschlager sein können. Den richtigen Rahmen dazu müssen wir im Kopf setzen: wir brauchen ein Mindset bei den Entscheidern, das diese Chancen sieht und nicht nur von Angst vor Veränderung und Besitzstandsdenken geprägt ist. Ich fordere unsere Regierung auf, nicht länger die Wirtschaft der Vergangenheit zu schützen, sondern die zukunftsfähige Wirtschaft zu fördern!
Zur Person:
Dr. Katharina Reuter setzt sich als Geschäftsführerin des Wirtschaftsverbands UnternehmensGrün für eine enkeltaugliche Wirtschaft ein. Reuter engagierte sich zunächst in Lehre und Forschung, dann im Stiftungs- und Verbandsbereich für die Nachhaltigkeit. Die Agrarökonomin ist Mitbegründerin von Ecopreneur.eu (European Sustainable Business Federation) und Co-Initiatorin von Entrepreneurs For Future. Ihre Expertise ist u.a. in der Jury des Deutschen Umweltpreises und der Jury des Deutschen Nachhaltigkeitspreises gefragt. Ehrenamtlich engagiert sich Reuter im Aufsichtsrat der Regionalwert AG Berlin-Brandenburg.
Foto: UnternehmensGrün e.V.
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