Energiewende in Europa: Wie groß ist das bürger*innenschaftliche Engagement?
In einer europaweiten Umfrage zum bürger*innenschaftlichen Engagement für eine nachhaltige Energieversorgung wurden individuelle Einstellungen, Aktivitäten sowie wahrgenommene Zukunftsaussichten der Menschen ermittelt. Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer, wissenschaftliche Geschäftsführerin des Zentrums für Technik und Gesellschaft (ZTG) an der TU Berlin und Leiterin des EU-Projekts „EnergyPROSPECTS“ am ZTG, und Dr. Ariane Debourdeau, wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt, geben uns Einblicke in die Ergebnisse der Befragung.
Liebe Frau Schäfer, liebe Frau Debourdeau, von 2021 bis 2024 haben 10.000 Personen aus 19 europäischen Ländern an der Umfrage teilgenommen. Die Aussage, dass die Energiewende Aufgabe aller ist, erfährt europaweit große Zustimmung. Was motiviert Bürger*innen, sich für eine nachhaltige Energieversorgung einzusetzen?
Wir haben zunächst gefragt, welche energiebezogenen Aktivitäten die Befragten – auch in Reaktion auf die Energiekrise 2021/22 – ergriffen haben. Hier antwortet jeweils über die Hälfte, dass sie die Raumtemperatur gesenkt und Klimaanlagen weniger genutzt haben sowie stärker zu Fuß gegangen sind. Auch die häufigere Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs und des Fahrrads sowie die geringere Nutzung des privaten Autos wird von über 50 Prozent der Befragten aufgeführt. Nur ein Viertel bis ein Fünftel geben weitergehende Maßnahmen an, wie die energetische Sanierung des Hauses, den Wechsel zu einem grünen Energieversorger oder die Investition in erneuerbare Energien.
Die Motivationen für diese Aktivitäten sind sehr gemischt: Über drei Viertel der Befragten äußern, dass sie darin eine Möglichkeit sehen, Geld zu sparen oder zu verdienen. Auch die Verfügbarkeit finanzieller Zuschüsse spielt für fast 60 Prozent eine große Rolle. Auf der anderen Seite führen über die Hälfte der Befragten altruistische Motivationen auf, wie den Wunsch, zum Gemeinwohl beizutragen, den eigenen CO2-Fußabdruck zu senken und der eigenen Verantwortung für den Klimawandel gerecht zu werden. Auch der Wunsch, unabhängiger von der öffentlichen Energieversorgung zu werden, und Frustration aufgrund unzureichender Maßnahmen der Entscheidungsträger spielen für jeweils über 50 Prozent eine Rolle.
Der Blick in die Zukunft fiel jedoch pessimistisch aus: Über die Hälfte geht davon aus, dass sie im Jahr 2030 mehr für Energie bezahlen werden und 43 Prozent sind der Meinung, dass die Energiewende zu langsam vorangeht. Was demotiviert Bürger*innen? Mangelt es an guter Kommunikation der Handlungsmöglichkeiten?
In der Tat ist die Einschätzung zu den Leistungen von Institutionen und Organisationen europaweit überwiegend kritisch. So bewertet nur eine Minderheit der Befragten die Arbeit des EU-Parlaments und der Europäischen Kommission (11,9 %), der lokalen Behörden (10,7 %) sowie der nationalen Regierungen und Parlamente (8 %) als positiv. Aber auch das Engagement der Energieversorger und der Akteure aus Industrie und Wirtschaft wird als ungenügend angesehen. Sie alle sollten nach Meinung der Mehrheit der Befragten mehr für die Transformation des Energiesytems tun. Die Leistungen öffentlicher Medien, von NGOs und zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie Schulen und Universitäten wurden mit etwa 15 Prozent etwas häufiger positiv beurteilt und Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen kommen von allen Akteuren am besten weg (Fast ein Viertel der Befragten beurteilt ihre Arbeit positiv.).
Sehr bedenklich ist, dass außerdem über zwei Drittel der Meinung sind, dass die Ansichten und Ideen von Bürger*innen in der Energiewende nicht ernst genommen werden. Weiterhin sind nur 44,2 % der Befragten der Meinung, dass die meisten Menschen in Europa gut darüber informiert sind, was sie tun können, um zur Energiewende beizutragen. Diese Ergebnisse zeigen, dass mehr getan werden sollte, um die Bürger*innen über die Möglichkeiten, sich an der Energiewende zu beteiligen sowie die Vorteile, die sich daraus ergeben können, zu informieren.
Wenn die Bürger*innen so unzufrieden sind mit dem Engagement von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft für die Energiewende – was sind sie denn selbst bereit zu tun?
Grob kann man in der Gruppe der Befragten eine sehr aktive und eine passive Gruppe von jeweils einem Viertel unterscheiden sowie den Rest von ca. der Hälfte, die in ihrem privaten Umfeld aktiv sind, aber nicht darüber hinaus. So gibt über die Hälfte der Befragten (57,2 %) an, dass sich ihre Rolle auf Aktivitäten beschränkt, die ihr Privatleben betreffen – ein fast ebenso großer Anteil (56,2%) fühlt sich darin aber durch unzureichende finanzielle Ressourcen eingeschränkt. Fast 70 Prozent der Befragten konnten sich gut vorstellen, dass ihr Zuhause in Zukunft mit energieeffizienten Haushaltsgeräten und intelligenten Geräten ausgestattet ist, die ihnen dabei helfen werden, weniger Energie zu verbrauchen. Jeweils ca. ein Viertel der Befragten ist zu Aktivitäten bereit, die über das Energiesparen hinausgehen, wie die Teilnahme an öffentlichen Debatten und Konsultationen, dem Beitritt zu einer Bürgerorganisation bzw. die Teilnahme an Demonstrationen und Protesten im Zusammenhang mit verschiedenen Aspekten der Energiewende.
Ein weiteres Viertel der Befragten äußert klar, dass sie kein Interesse daran haben, sich aktiv an der Energiewende zu beteiligen und ist davon überzeugt, dass sich daran auch in naher Zukunft (bis 2030) nichts ändern wird.
Gibt es Unterschiede zwischen den Ländern bei Einstellungen und Wahrnehmungen der Bürger*innen? Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Zunächst vielleicht ein paar Beispiele, bei denen die deutschen Befragten sich vom Rest abheben. In Deutschland liegt der Anteil derer, die angesichts der Energiekrise ihre Häuser isoliert haben, deutlich unter dem Durchschnittswert der Gesamtgruppe. Ein höherer Anteil der deutschen Befragten (über die Hälfte) gibt außerdem an, dass sie keine Absicht haben, ihre Häuser in Zukunft energetisch zu sanieren. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Zum einen sind Wohngebäude in Deutschland im Durchschnitt weitaus besser isoliert als in vielen anderen europäischen Ländern, so dass es in der Krise gegebenenfalls nicht so dringlich erscheint, diese Maßnahmen zu ergreifen. Der andere mögliche Grund ist, dass Deutschland unter den EU-Ländern über den niedrigsten Anteil an Hauseigentümern verfügt. Es ist davon auszugehen, dass Mieter*innen einer Wohnung oder eines Hauses ein geringeres Interesse bzw. eine geringere Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der energetischen Sanierung haben.
Gibt es weitere interessante Unterschiede zwischen den Befragten verschiedener europäischer Länder?
Die Unterschiede sind insgesamt nicht so ausgeprägt und eher auf länderspezifische Besonderheiten als auf grundlegende Unterschiede im Verständnis von bürgerschaftlichem Engagement für die Energiewende zurückzuführen.
Zum Beispiel geben die Befragten aus Lettland und Bulgarien deutlich seltener an, dass sie die Raumtemperaturen in ihren Haushalten in der Energiekrise gesenkt haben. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze: Zum einen ist Lettland eines der kältesten Länder Europas, was es erschwert, weniger zu heizen. In Bulgarien ist Energiearmut besonders ausgeprägt, so dass viele Leute sich ohnehin bemühen, so wenig Geld wie möglich für das Heizen auszugeben und daher die Raumtemperatur ggf. nicht weiter reduzieren können. Ansonsten kommt dazu, dass die Gebäude in beiden Ländern überwiegend noch sehr schlecht isoliert sind.
Dass die Deutschen im europäischen Vergleich deutlich seltener Hauseigentümer*innen sind, schlägt sich in ihren Antworten hinsichtlich der Bereitschaft, selbst Strom zu erzeugen, nieder. In einer ähnlichen Situation befindet sich Lettland, das über einen hohen Anteil an Mehrfamilienhäusern und denkmalgeschützten Wohnbestand verfügt, was die eigene Stromerzeugung erschwert.
An welchen Ländern können wir uns ein Vorbild nehmen und in welchen Punkten kann Deutschland auch ein Vorbild sein?
Was “energy sharing” und die Eigennutzung von selbst produziertem Strom durch eine Gruppe von Menschen, wie die Eigentümer*innen in einem Mehrfamilienhaus angeht, so gehört Deutschland deutlich zu den Nachzüglern. In Frankreich, Portugal und Spanien wird die gemeinsame Nutzung von selbst produziertem Strom durch mehrere finanzielle Förderprogramme und potenzielle Geschäftsmodelle erleichtert, ohne rechtlich Unterschiede zwischen individuellen und kollektiven Nutzer*innen zu machen. Was die Verteilung des erzeugten Stroms betrifft, so sollte – sofern die Mitglieder*innen dem zustimmen – die Möglichkeit einer dynamischen Verteilung bestehen, da sie sich besser an den tatsächlichen Verbrauch der Teilnehmer anpasst und deren Fähigkeit fördert, ihre Nachfrage zu steuern. Das französische Modell ist auch ein Vorbild für die Umsetzung der dynamischen Aufteilung. Allerdings fördert das im August 2023 von der Regierung verabschiedete Solarpaket die sogenannte "kommunale Gebäudeversorgung", wonach es möglich sein wird, PV-Strom innerhalb eines Gebäudes gemeinsam und unbürokratisch zu nutzen - ohne wie bisher alle Pflichten eines Stromversorgers erfüllen zu müssen.
Im Gegensatz kann Deutschland als Vorbild für den Einsatz von Balkonkraftwerkanlagen angesehen werden, die als Möglichkeit, selbst einen Beitrag zur Energiewende zu leisten, in den letzten Jahren immer beliebter geworden sind. Das Solarpaket, das am 16. Mai in Kraft getreten ist, macht es Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen deutlich leichter, relativ unbürokratisch Photovoltaik-Anlagen zu installieren und Solarenergie zu nutzen. In anderen Ländern sind die entsprechenden Regelungen noch nicht so weit gediehen.
Deutschland scheint im europäischen Vergleich außerdem recht gut darin zu sein, was die Information der Bürger*innen zum Thema Energiewende angeht. Zumindest stimmt ein relativ hoher Anteil von 54,1 Prozent der Aussage zu, dass die Bevölkerung gut über die Möglichkeiten informiert ist, wie sie zur Energiewende beitragen kann. Allerdings schlägt sich dieser bessere Informationsstand nicht in einer höheren Zufriedenheit mit den Leistungen der politischen und wirtschaftlichen Akteure nieder: Auch in Deutschland stimmen über 70 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die nationale Regierung und die Energieversorger mehr für die Energiewende tun sollten.
Welche politischen Maßnahmen halten Sie für notwendig, um eine breitere gesellschaftliche Teilhabe an der Energiewende zu fördern und optimistischer in die Zukunft zu blicken?
Den Befragten zufolge hätten die folgenden Entwicklungen den deutlichsten positiven Effekt auf das bürgerschaftliche Engagement für die Energiewende in Europa:
· spezifische Maßnahmen zur Unterstützung der Menschen, die von Energiearmut betroffen sind und politische Priorität für den Zugang aller Menschen zu bezahlbarer nachhaltiger Energie
· klare Bekenntnisse der EU und nationaler politischer Institutionen zur Einbindung der Bürger*innen in die Energiewende
· Aufklärungs- und Informationskampagnen, um die Bedenken und Vorurteile hinsichtlich der wahrgenommenen Auswirkungen und Kosten der Energiewende zu zerstreuen
· Zugang zu Zuschüssen, Darlehen, Subventionen und anderen Markteingriffen, die den Umstieg auf erneuerbare Energien unterstützen
· vereinfachte Genehmigungsverfahren für Projekte im Bereich erneuerbare Energien
· Festlegung des rechtlichen Status von Prosumern, Energiegemeinschaften und Peer-to-Peer-Handel in allen europäischen Staaten.
Seitens der Wissenschaft schließen wir uns diesen Einschätzungen weitgehend an. Es ist von hoher Wichtigkeit, dass politische Maßnahmen zur Förderung der Energiewende sozial abgefedert werden und Energiearmut gezielt entgegengewirkt wird. Um der derzeitig zu beobachtenden Polarisierung des öffentlichen Diskurses zur Energiewende zu begegnen, sind noch gezieltere Informationen notwendig und vor allem Möglichkeiten des Einbezugs in die Gestaltung der Energiewende. Allerdings zeigt die Befragung auch, dass eine aktivere Beteiligung wahrscheinlich nur von ca. einem Viertel der erwachsenen Bürger*innen zu erwarten ist. Dies ist keine vernachlässigbare Größe, sondern birgt viel Potenzial. Generell sollte es denjenigen, die sich engagieren wollen, möglichst leicht gemacht werden – weniger Bürokratie, die Klärung rechtlicher Fragen und der Zugang zu entsprechender finanzieller Förderung sind hier wichtige Bausteine. Hier hatten wir für Deutschland ja bereits das Beispiel der Balkonkraftwerke erläutert. Wichtig erscheint es auch, dass die Regelungen innerhalb Europas vereinheitlicht werden und die Potenziale ausgeschöpft werden, voneinander zu lernen.
Zur deutschen Zusammenfassung der Ergebnisse
Zur englischen Zusammenfassung der Ergebnisse
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