Landkreis Marburg-Biedenkopf
September 2019
Seit 2012 gehört der hessische Landkreis Marburg-Biedenkopf zu den 100 Prozent Klimaschutz Masterplan-Kommunen in Deutschland. Der Landkreis Marburg-Biedenkopf übernimmt politische Verantwortung und zeigt, dass die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr zur Energiewende gehören. Der Landkreis ist als Bioenergie-Region bekannt, denn hier sind seit 2004 bereits 13 Bioenergiedörfer entstanden. Diese Dörfer nutzen Biomasse von regionalen Landwirt*innen, um die Wärmewende in den Kommunen voranzutreiben. Entweder die Abwärme wird direkt in das Nahwärmenetz gespeist oder das erzeugte Gas wird durch Kraft-Wärme-Kopplung umgewandelt. Andere Gemeinden heizen mit Holzhackschnitzeln oder Holzabfällen eines großen regionalen Sägewerks. Damit bleiben Ressourcen in der Region und auch die Wertschöpfung im Landkreis wächst. Im Gespräch mit Landrätin Kirsten Fründt wird deutlich, dass die Energiewende nicht nur wegen der politischen und gesellschaftlichen Verantwortung vorangebracht wird, sondern auch das Motto „Klimaschutz gemeinsam!“ hier gelebte Philosophie ist.
Frau Fründt, wie kam es dazu, dass der Landkreis sich so intensiv mit der Wärmewende auseinandergesetzt hat und inzwischen deutschlandweiter Vorreiter ist?
„Die Bioenergiedörfer gehören zur Energiewende! Sie wurden in einem bottom-up-Prozess gestaltet. Das ehrenamtliche Engagement von Bürger*innen hat dazu geführt, dass Bioenergie auf der Agenda gelandet ist, Genossenschaften entstanden sind und das zu noch mehr Bürgerbeteiligung geführt hat. Der Landkreis arbeitet schon seit Langem mit den Landwirten an aktuellen Themen wie Klimaschutz und Erneuerbaren Energien und konnte den Prozess der Bioenergiedörfer durch gemeinsame konzeptionelle Arbeit und finanzielle Unterstützung begleiten. Heute spricht der Erfolg für sich: Engagierte Bürgerinnen und Bürger sind zu Multiplikatoren geworden und fördern die Wärmewende im Landkreis. Bereits ganze Städte wie Rauschenberg haben Nahwärmenetze, die mit Erneuerbaren Energien Klimaschutzziele befördern. Darum sind wir sehr stolz, auch Mitglied der kommunalen Genossenschaften zu sein und somit unsere öffentlichen Gebäude wie Schulen und Kindergärten mit regionaler Biomasse zu heizen.“
Wir von der AEE haben Rauschenberg im Januar 2018 bereits als Energie-Kommune ausgezeichnet. Neben dem Nahwärmenetz in der Stadt haben damals auch die zwei Windparks in Rauschenberg dazu beigetragen. Auch bei Schwarzenberg gibt es neun Windenergieanlagen, die für rund 14.200 Haushalte Strom erzeugen. Doch es gibt auch Initiativen, die sich gegen die Windenergie aussprechen. Was tun Sie im Landkreis um Akzeptanz für Erneuerbare Energien zu schaffen?
„Windenergie trägt maßgeblich zur Energiewende bei. Wir brauchen also die Windenergie. Das bedeutet, dass der Landkreis nur mit Hilfe von Informationsveranstaltungen, Bildungsprojekten in Schulen und dem Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern Akzeptanz fördern kann. Doch auch beim Thema Windenergie haben sich Genossenschaften durch Bürgerinnen und Bürger gegründet, die uns in der Energiewende den Rücken stärken. Die Aufgabe des Landkreises sehe ich darin, gesetzliche Änderung im Erneuerbaren-Energien-Gesetz zu fordern und auf den Weg zu bringen, damit Hemmnisse des Gesetzes abgebaut und der Fokus auf Bürgerbeteiligung gesetzt wird. Denn die Energiewende geht nur gemeinsam!“
Gemeinsam ist das Stichwort des Landkreises. Nachdem im Verkehrssektor bereits in einigen Kommunen das E-Carsharing, also das Teilen und Ausleihen von E-Autos ermöglicht wurde, ist jetzt eine Förderung für den Ausbau der Ladeinfrastruktur entstanden. Auch der Fuhrpark der Verwaltung setzt vermehrt auf E-Mobilität. Wie schwer ist es, erneuerbare Mobilität in ländlichen Regionen zu verankern?
„Für uns gilt: Wenn wir Klimaschutzmaßnahmen selbst umsetzen und vorleben, können wir Bürgerinnen und Bürger zu 100 Prozent mitnehmen! Deshalb initiieren wir derzeit eine Möglichkeit, mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ein Mitarbeiter-Ticket zu gestalten. So können wir die Attraktivität des ÖPNV steigern und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können das Auto stehen lassen. Auf der anderen Seite setzen wir viel daran, dass die Ladeinfrastruktur für E-Mobilität ausgebaut wird. Bürgerschaftliches Engagement in Sachen Ausbau fördern wir finanziell. Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Unternehmen können über Projektanträge Förderung beantragen, um eine Ladesäule im Landkreis zu installieren. Bereits dieses Jahr haben wir schon 40 Anträge zu Ladesäulen erhalten, die dadurch ausgebaut wurden. Das zeigt, dass kleine Maßnahmen Großes bewirken können!“
Vor einigen Jahren hat sich der Landkreis für einen Ökostrombezug entschieden und bietet Kommunen und öffentlichen Institutionen so eine Beteiligung an einer gebündelten Ökostromausschreibung an. Eine Vielzahl der Kommunen im Landkreis nutzt das Angebot und kann somit kostengünstig erneuerbaren Strom beziehen. Auch in Zukunft werden im Landkreis Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt. Gerade erst wurden Sie wiedergewählt zur Landrätin, dazu kommt die Auszeichnung des Bundesverkehrsministeriums als neue Wasserstoffregion Forschungsprojekte anzustoßen und überregionale Kooperation zu Zukunftstechnologien, wie Sektorenkopplung und virtuelle Kraftwerke. Die letzte Frage an Sie Frau Fründt: Wie geht es weiter mit der Energiewende im Landkreis?
„Wir haben viel vor – so viel ist klar! Natürlich braucht es für die Energiewende endlich einen großen Wurf durch die Bundesregierung, aber im Rahmen unserer politischen Verantwortung tun wir, was wir können. Angefangen bei einem Klimaschutz-Aktionsprogramm mit 30 Maßnahmen, welcher nun auch bestärkend im Kreistag verabschiedet wird, haben wir uns als neue Wasserstoffregion durchgesetzt. Dieses Projekt bedeutet: Wir haben jetzt die Chance in die Zukunft zu investieren und legen bewusst den Fokus auf Möglichkeiten des Wasserstoffeinsatzes in Industrie und Gewerbe, um wirtschaftsorientiert Mobilität und Erneuerbare Energien zu verbinden. Dabei wird es zusätzlich auch um den ÖPNV gehen, wo Wasserstoff auch für öffentliche Busse in Frage kommt. Interkommunale Zusammenarbeit wird vom Landkreis mit koordiniert. Überregional sind wir im Gespräch zu virtuellen Kraftwerken mit der gesamten Region Mittelhessens. Klimaschutz geht nur gemeinsam – muss aber trotzdem transparent für alle Bürgerinnen und Bürger sein. Aber nicht nur Transparenz ist wichtig, sondern auch Partizipation aller in der Energiewende. Deswegen werden wir auch in Zukunft ein Mitglied des Bündnisses Fridays for Future in unserem Klimaschutzbeirat eine Stimme geben.“
Kirsten Fründt ist seit 2014 als Landrätin für die SPD im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Nachdem innerhalb des Landkreises immer wieder Energie-Kommunen für Ihr Engagement in der Energiewende ausgezeichnet wurden, hat die Agentur für Erneuerbare Energien jetzt dem Landkreis Marburg-Biedenkopf die Auszeichnung der Energie-Kommune des Monats September verliehen.
Fotos: Landkreis Marburg-Biedenkopf
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