Von der Vision zur Realität: Wie Deutschland und Finnland gemeinsam Zukunft gestalten

Christina Zänker, Senior Manager für Markteintritt und Geschäftsentwicklung bei der Deutsch-Finnischen Handelskammer, treibt mit Leidenschaft Projekte im Bereich Erneuerbare Energien voran. Finnlands ehrgeizige Klimaziele und technologische Offenheit bieten spannende Chancen für internationale Kooperationen. Wir sprachen mit Ihr darüber, wie deutsch-finnische Partnerschaften eine nachhaltige Zukunft gestalten.

Frau Zänker, Sie arbeiten seit vielen Jahren in der Deutsch-Finnischen Handelskammer und haben zahlreiche Projekte im Bereich Energie und Digitalisierung betreut. Was hat Sie persönlich zu diesem Feld gebracht, und was motiviert Sie an der Arbeit mit Erneuerbaren Energien und internationalen Partnerschaften?

Zänker: Zur Exportinitiative in der Außenhandelskammer bin ich tatsächlich bereits vor ein paar Jahren, also 2019, gekommen. Der Platz wurde frei, als meine Vorgängerin Abteilungsleiterin geworden war. Sie fragte mich damals und für mich war das ein No-Brainer, weil es ein superspannendes Thema ist.

Gerade mit einem Fokus auf Erneuerbare Energien und Energieeffizienzthemen ist es natürlich auch wahnsinnig aktuell und wird noch sehr lange sehr, sehr wichtig sein. Was mich antreibt und mir sehr viel Spaß macht, ist, dass man nicht einfach nur, ich sag es jetzt mal salopp, den Kapitalismus zwischen Deutschland und Finnland fördert, indem man bestimmte Unternehmen zusammenbringt, die ihre Produkte an den jeweils anderen oder Dienstleistungen an den jeweils anderen verkaufen. Vielmehr hat man das Gefühl, durch die eigene Tätigkeit einen eigenen kleinen Beitrag für eine bessere Welt in Anführungszeichen zu liefern. Man selbst kann so die richtigen Leute zusammenbringen, die dann wiederum im nächsten Schritt einen noch größeren Beitrag leisten können.

Ich versuche, auch im Privaten möglichst nachhaltig zu leben, und da ist es schön, dass die eigenen Werte in dieser Hinsicht auch in der Arbeit mit eingebracht werden können.

Finnland hat ambitionierte Klimaziele, wie etwa die Klimaneutralität bis 2035. Welche konkreten Maßnahmen und Technologien sieht Finnland als Schlüssel, um diese Ziele zu erreichen?

Wind steht bei uns in Finnland natürlich sehr hoch im Kurs. Wasserkraft spielt auch eine wichtige Rolle, wenngleich sie jetzt nicht mehr so relevant ist, weil das Ausbaupotenzial fehlt. Finnland ist zudem dafür bekannt, wirklich eine sehr hohe Versorgungssicherheit im Netz und sehr günstige Strompreise im Vergleich zu haben, auch wenn es gerade im letzten Jahr ziemlich geschwankt hat. Was man jedoch nicht vergessen darf, ist, dass Finnland noch ein Atomland ist. Atomenergie zählt auch in Finnland zu den sauberen Energien. Da gibt es sicherlich Konfliktpotenzial zwischen unseren beiden Ländern. Das heißt, wenn wir in Finnland von Klimaneutralität sprechen, ist auch ein ganz deutlicher Anteil an Atomkraft dabei.

Wissen Sie, wie viel das ungefähr ist?

Bisher war es fast ausschließlich Onshore-Wind. Und gerade bei der Windenergie gibt es ganz interessante Aspekte, die bei uns zum Tragen kommen. In Lappland beispielsweise sind Rentiere und ihre Weideflächen besonders geschützt. Die Rentierhirten aus der indigenen Kultur der Sámi haben hier ein entscheidendes Wörtchen mitzureden. Ein zweiter, sehr finnischer oder nordischer Punkt ist, dass wir sehr viele Sommerhäuser haben und keiner so richtig von seinem Sommerhaus aus direkt auf eine Anlage blicken will.

Obwohl es doch am Ende nicht der Ort ist, wo man die meiste Zeit verbringt, oder?

Doch die Sommerzeit ist viel länger als in Deutschland. Die Schulferien beginnen noch vor Mittsommer am ersten Juni-Wochenende und enden Mitte August. In dieser Zeit ruht die finnische Wirtschaft quasi, die Städte sind leer, die Sommerhäuser überall belegt.

Aber worauf sich die grüne Wende bei uns in Finnland ganz stark konzentriert, ist nun auch immer stärker Offshore-Windenergie, die bisher einfach mit einigen Herausforderungen zu tun hatte.

Mit welchen?

Unter anderem gibt es sehr hohe Grundsteuern, die bei der Auswahl von möglichen Standorten eine Foto: Christina Zänkergroße Rolle spielen. Im Südosten gibt es zudem viel Konfliktpotenzial mit militärischen Radaranlagen.

Und dann im Herbst und Winter natürlich entsprechend deutlich weniger. Hinzu kommen Bioenergie und Abwärmenutzung, die jetzt auch recht stark gefördert werden. Im industriellen Bereich liegt der Fokus recht stark auf Kreislaufwirtschaft, insbesondere aber auf der grünen Wasserstofftechnologie natürlich.

Die Förderung von Energieeffizienz spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle. Es gibt, das ist, glaube ich, anders als in anderen europäischen Ländern, in Finnland seit 1990 eine freiwillige Energieeffizienz-Vereinbarung zwischen der Regierung und verschiedenen Industrieverbänden, Unternehmen und Gemeinden. Und es funktioniert nachweislich gut. Und da es so gut funktioniert, soll es über den jetzt aktuellen Zeitraum der Vereinbarung zwischen 2017 und 2025 hinaus weiterlaufen.

Wenn man in Deutschland von einer freiwilligen Verpflichtung hört, dann denken alle sofort, das funktioniert sowieso nicht.

Ich glaube, das ist eine ganz große Charaktereigenschaft der Finnen. Sie folgen sehr gern den Vorgaben, das sah man auch während der Corona-Pandemie. Was die Regierung gesagt hat, das wurde umgesetzt. Da gab es kein Murren und kein Klagen. Wenn die Regierung sagt, dass etwas sinnvoll ist, dann wird das auch angenommen.

Ähnliches habe ich in Schweden und Dänemark bei Familie und Freunden bemerkt. Die Bevölkerung geht in der Mehrheit davon aus, dass die, die in der Regierung sind, wirklich das Beste für das Land wollen. In Deutschland gehen viele Bürger*innen grundsätzlich davon aus, dass die Gewählten erst einmal versuchen, Entscheidungen zu ihrem Vorteil zu treffen.

Ich glaube, das ist dann manchmal vielleicht auch der Unterschied.

Sie sind Projektleiterin der „Exportinitiative Energie“ des Deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Welche Chancen bieten sich in Finnland für den Markteintritt von Unternehmen aus der Erneuerbaren-Branche?

Finnland ist gerade für grüne Transformationsprojekte nach wie vor ein sehr attraktives Investitionsziel. Es gibt sehr viele Projekte im Projektportfolio und der Bau von neuen Anlagen geht immer weiter voran, auch tatsächlich oft schon nach Marktbedingungen. Durch das stabile Stromübertragungsnetz, sehr günstigen grünen Strom und das Ausbaupotenzial im Windenergiesektor ergeben sich in dem Bereich sehr viele Möglichkeiten. Hinzu kommt eine sehr solide Infrastruktur im Bereich Forschung und Entwicklung. Zudem ist das VTT Technical Research Centre of Finland Ltd. in vielen Projekten aktiv und wir verfügen über ein großes Digitalisierungs- und Energie-Know-how. Sehr gute Rahmenbedingungen für die grüne Industrie also.

Auch im Bereich der Forschung, Testumgebungen und Innovation kann Finnland sehr viel bieten. Erst Anfang Dezember fand beispielsweise in Helsinki die große Start-up-Konferenz, die Slush, statt. Unser Land ist dafür bekannt, einer der zentralen Hubs in Europa für die Start-up-Szene zu sein.

Im Gegenzug ist Finnland sehr offen gegenüber deutschen Technologieanbietern oder allgemein deutscher Expertise. „Made in Germany“ hat nach wie vor einen sehr guten Stand in Finnland und wird als Qualitätsmerkmal angesehen. Und gerade zum Beispiel Wärmepumpen aus Deutschland haben einen sehr großen Stellenwert. Deutschland wird als große Wärmepumpenhersteller-Nation gesehen – um nur ein Beispiel zu nennen.

Welche Trends oder Technologien erachten Sie als besonders vielversprechend, insbesondere für den finnischen und europäischen Energiemarkt?

Einer der zentralen Bereiche, sicherlich im Moment wie überall, ist Wasserstoff. Wir bauen auch gerade bei uns in der AHK die deutsch-finnische Wasserstoff-Arbeitsgruppe dazu auf. Diese richtet sich auf deutscher Seite hauptsächlich an Technologieanbieter im Bereich Elektrolyse, aber auch an Infrastrukturunternehmen, die Finnland beim Aufbau der neuen Wasserstoffinfrastruktur unterstützen können. Eines der deutschen Unternehmen, das erfolgreich den finnischen Markteinstieg geschafft hat, ist Sunfire, welches Finnlands erste Elektrolyseanlage im industriellen Maßstab aufgebaut hat. Im Windbereich sehr erfolgreich sind zum Beispiel ABO Energy. Mittlerweile haben sie allein in Finnland 60 Mitarbeitende und schauen jetzt natürlich auch verstärkt in die Wasserstoffrichtung. Energiequelle hat ebenso ein finnisches Tochterunternehmen.

Wie wird in Finnland die Wärmewende, also die Umstellung auf nachhaltige Wärmequellen in Städten und ländlichen Regionen, vorangetrieben?

In Finnland konzentriert sich ein Großteil der Bevölkerung natürlich sehr stark auf die Hauptstadtregion, also die drei Städte Helsinki, Espoo und Vantaa und noch auf ein paar weitere, größere Städte, wie Tampere, Turku und Oulu, die quer übers Land verteilt sind. Im städtischen Bereich ist Finnland ganz stark geprägt von Fernwärmenetzen. Mit knapp 45 Prozent ist dies der bei Weitem größte Anteil einer einzelnen Heizform. Die andere Hälfte setzt sich aus vielen verschiedenen Heizformen zusammen.

Entsprechend fokussiert sich der Wandel im Wärmemarkt jetzt vorrangig auf die Dekarbonisierung und Elektrifizierung der Fernwärmenetze. Wärmepumpen sind insgesamt sehr beliebt in Finnland, sowohl für Einzelhäuser, besonders Luftwärmepumpen, als auch inzwischen verstärkt für große Energieunternehmen in den Städten mit Wärmepumpen im industriellen Maßstab.

Aber auch bei den Elektroboilern gab es einen regelrechten Boom. In diesem Jahr, vielleicht schon Ende letzten Jahres, haben sie noch einmal richtig Aufwind bekommen. Sehr stark wird jetzt außerdem im Bereich der Abwärme, Umweltwärme, investiert: Sei es von Datenzentren oder Supermärkten, aber auch etwas exotischere Ansätze, wie die Wärmerückgewinnung aus Meerwasser.

Meerwasser?

Genau. Helen Oy, der Energiebetrieb Helsinkis, arbeitet in einem Projekt, mit dem sie schauen, inwieweit man aus Meerwasser Umweltwärme gewinnen kann. Das heißt sozusagen, dass das an der Oberfläche und in Küstennähe eine andere Temperatur hat als ein bisschen weiter unten und ganz tief, und diesen Unterschied machen sie sich zunutze.

Tatsächlich spielt eigentlich so ziemlich jede Variante im Moment mit rein . Geothermie wird auch stärker untersucht. Vor zwei bis drei Jahren wurde auch zu Tiefengeothermie geforscht bzw. wurden zwei Pilotprojekte in Espoo und Tampere gestartet. Man hatte große Ambitionen, wirklich tief zu bohren, ist aber vorerst am finnischen Felsen gescheitert. Insofern wird in Finnland eher oberflächennahe oder mitteltiefe Geothermie genutzt.

Und außerhalb der Städte?

Im ländlichen Raum dominieren in Finnland hauptsächlich Elektroheizungen. Doch selbst hier kommen mehr und mehr die Wärmepumpen zum Tragen, um diese und Kohle- sowie Ölheizungen zu ersetzen. Die Betriebskosten für Elektroheizungen sind infolge des russischen Angriffskriegs gestiegen und der Stromverbrauch ist höher als bei Wärmepumpen.

Letztlich werden verschiedene Systeme genutzt. Umso wichtiger ist es, die Kommunikation zwischen den Wärmenetzen und den Gebäuden durch hochgradige Digitalisierung zu verbessern. Dadurch, dass die Herausforderungen so komplex und die Systeme so divers sind, gibt es keine einfache Lösung, die zu allem passt. Man benötigt wirklich eine Gruppe von Akteuren und verschiedene Lösungsansätze, um die Transformation im Wärmebereich zu schaffen. Und gerade da ergeben sich natürlich auch wieder Möglichkeiten für deutsch-finnische Verbindungen.

Beim Thema Digitalisierung in Deutschland fällt mir natürlich sofort der schleppende Einbau von Smart Metern ein.

Die sind bei uns schon sehr lange installiert. Die finnische Gesellschaft ist sehr technologieoffen.

Wir hatten letztes Jahr bei der „Exportinitiative“ Energie das Thema grüner Wasserstoff aus Windenergie. Das war bei weitem bei uns das erfolgreichste Projekt, das ich jemals betreut habe. Die größte Konferenz, die wir jemals im Rahmen der Exportinitiative Energie in Finnland hatten. Ich bin dem Thema Wasserstoff gegenüber aber ein bisschen ambivalent eingestellt. Vor allem, wenn es darum geht, wann es kommt und wie viel es dann wirklich kann – auch mit Blick auf die benötigten Mengen. Aber es ist ein Thema, das auch mir immer wieder begegnet.

Es hat einen Moment gedauert, ehe auch in Deutschland die Nachricht angekommen war, dass Finnland als Lieferant von Wasserstoff in Frage kommt. Zumal bereits im letzten Jahr veröffentlicht wurde, dass Finnland 2030 mindestens 10 Prozent des in der EU benötigten sauberen Wasserstoffs oder Wasserstoffbedarfs produzieren könnte. Hier hat sich in den letzten Monaten jedoch sehr viel getan, auch durch die engagierte Arbeit der AHK Finnland, die richtigen Personen aus beiden Ländern an einen Tisch zu bringen. Wir sind auf einem guten Weg!

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, die Europa in der Umsetzung seiner Klimaziele und der Energiewende überwinden muss?

Beim Wasserstoff sicher der Schritt von der Wasserstoff-Bubble zur tatsächlichen Marktreife. Unabhängig davon ist sicherlich eine der größten Herausforderungen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Standorte gegenüber den USA, zum Beispiel, wo es inzwischen einfach bessere Grundvoraussetzungen gibt, mehr Fördermöglichkeiten, mehr Investitionsunterstützung usw. Damit im Zusammenhang steht natürlich die drohende Abwanderung von europäischen Unternehmen und Technologiewissen in nichteuropäische Länder.

Und auf der anderen Seite spürt man natürlich deutlich die Abhängigkeit, dass die EU und Europa in bestimmten Bereichen der Energiewende bezüglich der notwendigen Rohstoffe im ersten Schritt der Wertschöpfungskette einfach abhängig von anderen Großmächten sind.