"Die Aufbruchstimmung muss von allen Seiten kommen."

Besonders im Bereich der Sektorenkopplung spielt neben der Digitalisierung auch die Bereitschaft, herkömmliche Stromzähler durch neue Technologien wie Smart Meter zu ersetzen, eine entscheidende Rolle für das Voranschreiten der Energiewende, sagt die neue naturstrom-Vorständin Dr. Kirsten Nölke. 

Frau Dr. Nölke, Sie sind zu Beginn des Jahres in den Vorstand von naturstrom berufen worden, was bedeutet das für Sie?

Als der Aufsichtsratsvorsitzende auf mich zugekommen ist, um mir zu sagen, dass sie mich in den Vorstand berufen wollen, habe ich mir sofort gedacht: ‚Das ist das Beste, was mir passieren kann.‘ Ich bin seit Beginn meiner Karriere in der Energiewirtschaft verankert und wenn ich mir die Akteure auf dem Markt in Deutschland anschaue, ist naturstrom tatsächlich mein Wunschtraum. Es gibt kaum ein Unternehmen, das von der Positionierung und Ausrichtung besser passt. Insofern ist das wirklich eine tolle Sache für mich. Ich finde, es ist auch ein sehr schönes Signal an die Kolleginnen und Kollegen, dass man bei naturstrom intern aufsteigen kann – und das auch, wenn man eine Frau ist und Mutter.

Sie sprachen davon, die Chance der Digitalisierung nutzen zu wollen. Was ist hier Ihre Vision?


Dr. Nölke (Foto: NATURSTROM)Schön, dass Sie das Thema aufgreifen. Digitalisierung ist für uns immer schon essentiell gewesen. Wir beliefern ja mehr als 300.000 Kunden, überwiegend Privatkunden, mit Ökostrom und Ökogas. Es war von Anfang eine große Herausforderung, die ganzen Prozesse zu automatisieren, standardisieren und so effizient wie möglich zu arbeiten. Gerade hier immer besser zu werden, ist schon immer eine meiner Kernaufgaben. Wir sind dabei in den letzten Jahren auch schon viel besser geworden, aber es gibt natürlich immer noch Luft nach oben.
Wenn Sie aber nach den Visionen fragen, sind das natürlich die Zukunftsthemen, die uns bevorstehen. Ohne Digitalisierung geht die Sektorenkopplung nicht. Ein Begriff, der manchmal schwer zu greifen ist. Man kann sich das ganz gut am Beispiel der Verbraucher vorstellen, die in Zukunft hoffentlich alle eine Solaranlage auf dem Dach haben, ein E-Auto in der Garage, einen Speicher im Keller und vielleicht noch eine Wärmepumpe, mit der sie Wärme elektrisch erzeugen. Das Ziel muss sein, dass der selbst erzeugte Strom auch vor Ort selbst verbraucht wird und dass man das selbst steuern kann. Das geht nur mit Digitalisierung.
Smart Meter und die ganzen technischen Verknüpfungen sind entwickelt, aber eben noch nicht wirklich auf den Markt gebracht. Selbst, wenn man den eigenen Verbrauch optimiert, wird in Zukunft die Herausforderung sein, die zusätzliche Energie genau zu den Zeiten aus dem Netz zu ziehen, in denen ausreichend Erzeugung vorhanden ist.

Mein Herz schlägt aber noch höher, wenn ich daran denke, dass man durch die Digitalisierung näher an die Kunden kommt. Wir können dann das oft sehr abstrakte Produkt ‚Energie‘ greifbarer machen und die Menschen wirklich als Teil des Versorgungssystems einbinden. Etwa durch Apps, mit denen man mit den Kunden interagiert und mit denen vielleicht unsere Kunden auch untereinander interagieren können und beispielsweise gemeinsam eine E-Mobilitätsflotte gründen können oder ähnliches.

Deutschland schneidet in Sachen Digitalisierung weiterhin nicht gut ab. „Die Führungsspitzen aus Wirtschaft und Politik sehen Deutschland bei der Digitalisierung unverändert im Rückstand“, heißt es im aktuellen Digitalreport 2022 des Berliner European Center for Digital Competitiveness (ECDC) zur digitalen Leistungsfähigkeit. Was braucht es, um Ihre Vision hier zu verwirklichen?

Für unser Geschäft ist jetzt der Breitbandausbau nicht so ein wichtiges Feld, aber natürlich müssen wir hier auch dringend vorankommen. Wo ich mir wirklich Sorgen mache, ist der stockende Smart-Meter-Roll-out. Jeder, der damit konfrontiert ist, verdreht nur die Augen. Wenn wir in dem Tempo weitermachen, dann kriegen wir diese ganzen Themen nicht gestemmt. Die Energiebranche war hier sehr viele Jahre lang sehr träge, viele etablierte Versorger haben gesagt: ‚Unsere normalen Zähler funktionieren seit 150 Jahren, warum benötigen wir jetzt große Neuerungen?‘ Die Aufbruchstimmung muss einfach von allen Seiten kommen. Wir müssen entbürokratisieren und wir müssen mit dem Thema Datenschutz zielgerichtet umgehen. Der Datenschutz ist enorm wichtig, gerade wenn man daran denkt, wie gläsern wir alle werden. Aber es geht eben darum, wirklich die Daten zu schützen und uns nicht in Dokumentationen zu verrennen. Ich glaube, da brauchen wir tatsächlich eine andere Grundhaltung.

Gibt es denn ein Land, wie beispielsweise Lettland, von dem Sie sagen würden, da klappt es schon ganz gut oder dort könnte man sich Inspiration holen?

Ja, gerade die baltischen Staaten, die Sie ansprechen, oder auch die skandinavischen Länder und die Niederländer sind hier zu nennen. Viele Themen, die für uns heute kaum stemmbar erscheinen, sind dort schon längst umgesetzt. Das schlägt auch auf die Energiebranche durch. Dort gibt es einfach ein anderes Grundverständnis und den Willen, sich auf Neuerungen einzulassen.

Welche Rolle spielen die Verbraucher bei der Einführung der Smart Meter?


Das kommt darauf an, wie man das Thema beginnt. Dem Verbraucher zu sagen: ‚Du kriegst jetzt einen neuen Zähler und der kostet im Jahr 80 Euro mehr als Dein bisheriger‘ – damit holt man die Kunden natürlich nicht ab. Man muss den neuen Zähler viel stärker mit den dadurch entstehenden Möglichkeiten verknüpfen: Dank des Smart Meters können die Kunden selbst ihr Verbraucherverhalten beobachten und es beispielsweise entsprechend anpassen, indem sie den Strom dann vor allem verbrauchen, wenn er gerade im Überfluss erzeugt wird. Und die Versorger sind dann wieder gefragt, für dieses Verhalten auch mit entsprechenden Tarifen Anreize zu bieten.

Sie waren, bevor Sie bei naturstrom angefangen haben, noch bei smart Energy Services in Wien und vorher fünf Jahre bei der Energierechtskanzlei Becker Büttner Held als Anwältin tätig. Die Kanzlei sagt von sich selbst, sie sei eine der „führenden Kanzleien für die Energie- und Infrastrukturwirtschaft“. Wieso haben Sie Ihre Anwaltstätigkeit an den Haken gehängt?

Die Zeit in der Kanzlei war wirklich spannend. Die juristische Arbeit hat wahnsinnig viel Spaß gemacht und meine Begeisterung für die Energiebranche wurde dort geweckt. Ich bin aber letztlich nicht geblieben, weil man in der anwaltlichen Tätigkeit nur punktuell Probleme lösen kann und nicht erfährt, wie sich ein Thema weiterentwickelt. In einer Management-Position, in der ich mich befinde, beschäftigt man sich viel mehr mit Menschen und weniger mit Schriftsätzen.

Das von Robert Habeck geführte Bundesministerium heißt nicht mehr BMWi, sondern BMWK – kann der Buchstabentausch etwas bewirken?

 Ja, das ‚K‘ ist nicht einfach nur ein Buchstabe und auch nicht nur ein Wort, sondern das ist eine Geisteshaltung. Ich finde, es ist ein ermutigendes Zeichen, dass der Klimaschutz so präsent in die politische Agenda aufgenommen wird. Natürlich hilft die Umbenennung allein gegen den Klimawandel nicht, aber ich bin fest davon überzeugt, dass die neue Bundesregierung enorm viel Schwung in das Thema bringen wird. Es ist allerdings auch nicht so schwierig, wenn man daran denkt, wie träge und langsam es in den letzten Jahren und Jahrzehnten voranging. Wenn Robert Habeck sagt, er möchte die Geschwindigkeit verdreifachen, bin ich gar nicht so skeptisch, dass das erreichbar ist. Ich glaube, die Politik hat in der Vergangenheit viel gebremst, Wirtschaft und Verbraucher wollen den Schwung und das ist tatsächlich eine sehr große Chance.

Der Fachkräftemangel in der Erneuerbaren Branche ist groß und könnte zur Gefahr beim Ausbau werden bzw. durch diesen noch größer werden. Was würden Sie jungen Menschen raten, mit welcher Ausbildung kommen sie am besten in die Branche?

Da haben Sie wirklich ein Thema getroffen, das uns intern und in der Branche stark bewegt. Der Fachkräftemangel ist da und er wird sich verschärfen. Meinen Kindern würde ich jetzt raten, wenn sie das Interesse haben und die entsprechende Veranlagung da ist, in die technischen oder IT-Berufe zu gehen. Gerade hier ist während der Ausbildung oder des Studiums ein energiewirtschaftlicher Schwerpunkt von ziemlich großem Nutzen. Techniker und Ingenieurinnen werden extrem stark gesucht. Aber auch im kaufmännischen Bereich kann man viel beitragen, wobei ich den Mehrwert, schon im Studium den energiewirtschaftlichen Schwerpunkt zu setzen, hier gar nicht als so stark bewerten würde. Jemand, der mitdenkt, weltoffen und engagiert ist, der ist in der Branche als junger Mensch immer gut aufgehoben. So komplex die Energiebranche auch ist, wenn die Mitarbeiter eines Unternehmens mitziehen, kann sich jeder schnell in das Thema einarbeiten und kann seinen Beitrag leisten. Ich persönlich bin sehr froh, dass ich eher zufällig vor mehr als 20 Jahren in dieser Branche gelandet bin und finde es interessant, wie viel sich hier verändert. Ich glaube schon, dass es eine besondere Branche ist.

Darf ich Ihnen noch eine persönliche Frage stellen? Wer oder was inspiriert Sie?

Schon als Schülerin hat mich die Biografie von Marie Curie sehr beeindruckt. Sie hat zu einer Zeit, als akademische Berufe den Frauen noch nicht wirklich offenstanden, als Wissenschaftlerin eine herausragende Rolle – gerade auch in der Öffentlichkeit – eingenommen. Der Lebenslauf von Marie Curie hatte mich ermutigt, in der Schule schwerpunktmäßig naturwissenschaftliche Fächer zu wählen. Das hatte mich damals tatsächlich etwas Überwindung gekostet, denn Mädchen waren in diesen Fächern stark unterrepräsentiert.

Das Interview führte Anika Schwalbe