Ohne weltweite gleichberechtigte Partnerschaften ist unsere Energiewende gefährdet

Sieben für die Energiewende wichtige Technologien befinden sich nicht nur hinsichtlich ihrer benötigten Rohstoffe, sondern auch mit Blick auf ihre Vorprodukte in einer zu starken Abhängigkeit von einzelnen Ländern, warnt Regine Günther. Die Direktorin der Stiftung Klimaneutralität fordert daher, mehr Teilkomponenten in Deutschland und Europa zu produzieren und vor allem neue internationale Partnerschaften aufzubauen und zu pflegen. Die Zeit des reinen Rohstoffabkaufes sei vorbei.

Frau Günther, im Juli veröffentlichte die Internationale Energieagentur ihren Critical Minerals Market Review. Dem zufolge wird der Bedarf an kritischen Rohstoffen bei einem Netto-Null-Emissions-Szenario bis 2030 die jährliche Nachfrage um das Dreieinhalbfache übersteigen. Wie beurteilen Sie diesen Bericht?

Regine Günther: Der Markt Review zeigt sehr deutlich, welche Schwierigkeiten bei den Rohstoffen für die Umsetzung der Energiewende allein aufgrund der benötigten Mengen auftreten werden. Unsere aktuelle Studie „Souveränität Deutschlands sichern – Resiliente Lieferketten für die Transformation zur Klimaneutralität 2045“ zeigt aber auch, dass der Fokus auf kritische Rohstoffe allein nicht genügt. Vielmehr könnten wir bei sehr vielen Elementen der Lieferkette für die Technologien der Energiewende zukünftig Schwierigkeiten bekommen, wenn wir nicht schnell bestehende Abhängigkeiten von einzelnen Staaten vermindern. Mit unserer Studie haben wir erstmals für Deutschland Zahlen vorgelegt, die verdeutlichen, worauf ein besonderer Fokus liegen sollte, wenn wir uns aus wirtschaftlichen Abhängigkeiten und damit auch von potenzieller, politischer Erpressbarkeit befreien wollen.

Die Studie spricht in diesem Zusammenhang von resilienten Lieferketten. Wie können diese aussehen?

Mit Lieferketten ist der gesamte Ablauf von der Rohstoffförderung, über die Rohstoffverarbeitung, der Foto: Regine GüntherProduktion von Komponenten und dann den Endprodukten gemeint. Wenn nur eines der Elemente in dieser Kette nicht robust konzipiert ist, kann es insgesamt zu Lieferengpässen beim benötigten Endprodukt kommen. Deutschland hat seine internationale Einbettung in den letzten Jahren sehr stark vorangetrieben. Dies macht Deutschland sehr verletzbar von Entwicklungen im Ausland. Wenn wir resilient sein wollen, müssen wir aber externe Schocks aushalten und abfedern können. Im Stromsektor gilt das n-1-Prinzip. Damit ist gemeint, dass das größte Kraftwerk ausfallen können muss, ohne dass das System insgesamt ins Wanken gerät. In diese Richtung sollte auch unsere Absicherung bei der resilienten Transformation gehen. In jeder Stufe der Lieferketten sollte der größte Lieferant ausfallen können. ..

Unsere Analyse verdeutlicht leider, dass wir von solch einem robusten System sehr weit entfernt sind. Es bestehen gravierende einseitige Abhängigkeiten vor allem von China bei Schlüsseltechnologien der Transformation – teilweise dominiert China mit bis zu 100% den Weltmarkt. Wenn China aus welchen Gründen auch immer seine Lieferungen einstellen würde, ist unsere Transformation hin zur klimaneutralen Wirtschaft gravierend gefährdet.

Sie haben ja in Ihrer Studie sieben Technologien hinsichtlich ihrer Lieferketten analysiert. Können Sie uns ein paar Beispiele und Abhängigkeiten beschreiben?

Bei Photovoltaik ist nicht die Rohstoffförderung kritisch, Quarzsand ist überall verfügbar, sondern die Risiken zeigen sich bei der Rohstoffverarbeitung und bei der Produktion der Vorprodukte 97 Prozent der Weltproduktion der für die PV Produktion benötigten Ingots und Wafer und 75 Prozent der Module liefert China. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Permanentmagneten die für die Elektromobilität und für die Windenergie enorm wichtig sind. 94 Prozent der Permanentmagneten an der Weltproduktion werden in China hergestellt. 100 Prozent der benötigten Seltenen Schweren Erden werden in China verarbeitet.Die Marktkonzentration ist hier enorm. In der Öffentlichkeit bekannter ist die angespannte Situation für die Herstellung der Lithium-Ionen-Batterie. Bei Lithium ist die sprunghafte Nachfrageerhöhung um den Faktor 5 bis2030 und den Faktor 12 bis 2040 höchst problematisch. .

In Berlin hat Siemens Energy zusammen mit Air Liquid Anfang November eine neue Elektrolyseur-Fertigung eingeweiht. Diese Elektrolyseure sind derzeit ein wichtiges Puzzleteil zur Produktion von grünem Wasserstoff. Allerdings liegt hier der Fokus eher auf der Rohstoffförderung, oder?

Es gibt zwei marktreife Verfahren zur Produktion von grünem Wasserstoff: Alkalische Elektrolyse (AEL) mit einem Marktanteil von 70 Prozent und Polymerelektrolytmembranelektrolyse (PEMEL) – kurz PEM-Elektrolyseure – mit heute 30 Prozent Marktanteil. Da PEM Elektrolyseuse deutlich flexibler und effizienter sind, steigt ihr Marktanteil kontinuierlich.. Diese PEM-Elektrolyseure benötigen Iridium. Ein Rohstoff, der nur sehr selten vorkommt: Jährlich werden weltweit nur sechs bis zehn Tonnen gefördert, da es ein Nebenprodukt der Platinproduktion ist. 85 Prozent des Iridiums kommen aus Südafrika. Insofern muss intensiv daran geforscht werden, wie man das wenige Iridium, besser verteilt, reduziert oder Alternativtechnologien entwickelt.

Wie können vor diesem Hintergrund die Lieferketten resilienter gestaltet werden?

Es gibt im Grunde drei Wege auf der Angebotsseite. Wir verlagern eine solide Basis der Lieferketten wieder zurück in das Hoheitsgebiet der EU. Dabei sprechen wir von einer kritischen Größe von 30 bis 40 Prozent Marktanteil. Eine bestehende Produktion im Notfall zu vergrößern ist sehr viel einfacher als von null zu starten.

Gerade bei Rohstoffen geht es darum, neue Partnerschaften aufzubauen, die als gleichberechtigte Technologie- und Rohstoffpartnerschaften konzipiert werden müssen.

Der dritte Pfad ist die Steigerung des Recyclings. Zwar haben wir augenblicklich noch nicht die Menge an Recycling-Material, diese werden ab 2030/35 zur Verfügung stehen, wir sind aber jetzt gut beraten, die notwendige Industrie schon aufzubauen.

Welche Länder außerhalb der Europäischen Union wären für solche Partnerschaften gut geeignet?

Zu den klassischen Partnerländern gehören bestimmt die USA, Kanada, Australien, Japan oder auch Südkorea. Darüber hinaus sind aber G20-Länder wie Brasilien und Indien wichtige zukünftige Partner. Dann gibt es aber auch viele mittelgroße Länder, mit denen wir gute Anknüpfungspunkte identifiziert haben. Länder wie Ghana, Namibia, Kenia, Marokko oder Kolumbien - um nur einige zu nennen - wären wichtige zukünftige Kooperationspartner.

Nun spielen aber derzeit gerade in vielen afrikanischen Ländern eher Russland und China eine wichtige Rolle Wie finden die deutsche Wirtschaft und Politik hier ihren Platz?

China und Russland sind und waren gerade in Afrika und Asien sehr aktiv, auch um die Seidenstraßeinitiative voranzutreiben. Hier gilt es für die EU aufzuholen. Der Schlüssel wird aber die beidseitige Zufriedenheit mit der Partnerschaft sein.

Was wird es kosten, die Wirtschaft so umzustellen, dass wir tatsächlich die 30 bis 40 Prozent der kritischen Teilkomponenten und Rohstoffverarbeitung in Deutschland beziehungsweise in Europa erreichen?

Das lässt sich nur schwer seriös abschätzen, da mit sehr vielen Annahmen gearbeitet werden muss.

Sie haben ja drei wichtige Wege aufgezeigt, um die Lieferketten resilienter zu gestalten. Wie müsste nun konkret mit der Umsetzung von wem gestartet werden, um möglichst schnell die kritischen Bereiche abzufedern?

Wichtig wäre eine umfassende Resilienzstrategie, die sich in einem Resilienzpaket materialisiert. Insgesamt sehen wir ein schnell wachsendes Problembewusstsein, sowohl auf europäischer als auch auf deutscher Ebene. In Europa haben wir mit dem Critical Raw Materials Act eine erste wichtige Weichenstellung, mit dem Net Zero Industry Act müssen weitere wichtige Elemente folgen. In Deutschland wird eine wichtige Nagelprobe das Solarpaket I sein, in dem es auch darum geht, ob der Resilienzgedanke monetär adressiert wird. Die erwarteten Klimaschutzverträge sollen der energieintensiven Industrie Unterstützung geben, damit sie in Europa eine Zukunft haben. Auch hier ist der Resilienzgedanke für die Grundstoffindustrie wichtige Argumentationsgrundlage.

Würden Sie mit Blick auf die deutsche Wirtschaft Ihre Studienergebnisse zur Schaffung resilienter Lieferketten als Warnung bezeichnen?

Ja.

Pressekontakt:

Agentur für Erneuerbare Energien e.V.
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