"Wir wollen den Menschen in der Region im Zeitalter der wohl größten Deindustrialisierung etwas zurückgeben"
„Es geht nicht um die eigenen Interessen, sondern um ein gemeinsames Ziel, das uns motiviert“, betont Dr. Angela Kruth, die Sprecherin und Koordinatorin des CAMPFIRE-Bündnisses zu grünem Ammoniak. Zusammen mit Forschern und Unternehmen arbeitet sie an dem zukunftsträchtigen Energieträger, der emissionsfreie Schifffahrt ermöglichen soll und auch Lastspitzen auffangen könnte.
Frau Dr. Kruth, Sie sind seit mehr als zwölf Jahren beim Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie e. V. (INP) tätig: erst als Projektleiterin für Materialien für Energietechnik und seit Juni 2019 auch als Head of dieses Bereiches. Wollten Sie schon immer in einem dieser MINT-Berufe arbeiten?
Angela Kruth: Ja, ich habe mich eigentlich schon immer für naturwissenschaftliche, technologische, mathematische Zusammenhänge interessiert. Ich habe fast 20 Jahre in der Entwicklung von Materialien für Brennstoffzellen und Elektrolyseuren gearbeitet und auch in einer Projektleitungsfunktion in Schottland gearbeitet. Darüber hinaus habe ich den Scottish Enterprise Proof of Concept Grant „Technological Champion” für ein Start-up im Bereich Brennstoffzelle erhalten. Aus familiären Gründen und weil ich was für die Region tun wollte, bin ich dann aber wieder in meine Heimat gezogen. Beim INP habe ich mir dann im Bereich der Wasserstofftechnologie, in dem ich mich selbst am stärksten sehe, eine Arbeitsgruppe aufgebaut. Dank meiner Arbeit habe ich die Möglichkeit, etwas zu bewirken. Ich kann neue Erkenntnisse in Bereichen, die gesellschaftlich wichtig sind, nutzen, um Probleme zu lösen.
Warum waren Sie ausgerechnet in Schottland?
Ich hatte nach der Wende mein Studium in Chemie begonnen und vorher ein Praktikum in einem Kernkraftwerk, AKW Lubmin, gemacht. Mit dem Erasmus-Programm bin ich dann nach Schottland gegangen. Da hat mir sehr gut gefallen und mir wurde ein Stipendium für eine Promotion und ein Landesgraduiertenstipendium von der Uni Greifswald angeboten. So konnte ich meine Doktorarbeit zum Thema Entwicklung von Materialien für Brennstoffzellen schreiben.
Seit 2018 leiten Sie nun auch das CAMPFIRE-Bündnis. Was hat es damit auf sich?
Ziel dieses Bündnisses ist es, im Rahmen des Förderprogramms „WIR!- Wandel durch Innovation in der Region” des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) die Forschung und Entwicklung neuer Energieumwandlungs- und Speichertechnologien für ein Energiesystem auf der Basis von grünem Ammoniak voranzutreiben.
Ein Großteil unserer Arbeit im Bündnis ist die Kommunikation. Denn vor allem in der Startphase der Projekte gibt es relativ große Herausforderungen, was die Technologie-Entwicklung angeht. Teile der Arbeit haben auch einen starken Forschungscharakter, wobei auch Dinge geschehen, die nicht immer vorhersehbar sind. Und das hebt uns von den anderen Teams und Bündnissen ab Wir haben sehr enge Verflechtungen mit den technologischen Projekten, so dass wir auch schnell die Partner bei Problemlösungen unterstützen können.
Doch mit dem Fortschreiten des Bündnisses und der Forschung werden dann zunehmend die an CAMPFIRE beteiligten Unternehmen die weiteren strategischen Entscheidungen und die Produktentwicklung übernehmen und wir sind dann wieder zuständig für Innovationen und neue Projekte sowie gleichzeitig für die Verwaltung der Partner.
Was ist der Vorteil von grünem Ammoniak?
Ammoniak, also NH3, ist ein effizienter Wasserstoffspeicher. Der Wasserstoffgehalt ist mit 108 g H2/l mit Methanol (CH3OH) vergleichbar. Im Gegensatz zu kohlenstoffbasierten Energieträgern wird hier zur Produktion kein CO2 benötigt. Und gegenüber reinem Wasserstoff hat NH3 den Vorteil, dass die volumenbezogene Energiedichte deutlich höher ist. Die Kompression zur Verflüssigung erfordert deshalb viel weniger Energieaufwand als bei Wasserstoff.
Können Sie zwei Technologien nennen, die im Rahmen des CAMPFIRE-Bündnisses entstehen?
Zwei wichtige Kerntechnologien, die wir in Produkte überführen wollen, sind die Ammoniak Cracker, die in Hybridisierung mit den Antriebstechnologien wie Gasmotoren und Brennstoffzellen eingesetzt werden. Das heißt: Um das grüne Ammoniak letztlich als Treibstoff zu nutzen oder in molekularen Wasserstoff umzuwandeln, wird es über einen sogenannten Ammoniak-Cracker wieder in Wasserstoff und Stickstoff gespalten.
Ein weiteres wichtiges Produkt sind die solarthermischen Elektrolyseure, die für die Kopplung mit Haber-Bosch-Prozessen zur Erzeugung des grünen Ammoniaks eingesetzt werden können. Dadurch wird eine flexible Speicherung von regional erzeugter erneuerbarer Energie und regionale Wertschöpfung durch „Ammonia-Farming“ möglich. Also dezentrale Ammoniak-Anlagen, die auf kleiner bis mittlerer Skale aus fluktuierender erneuerbarer Energie effizient grünen Ammoniak erzeugen und so zukünftig Lastspitzen abdecken können.
Sie sprachen von emissionsfreier Schifffahrt und Ammonia-Farming - also wäre grüner Ammoniak sehr vielfältig einsetzbar?
Ja, auch für langzeitige Stromversorgungskonzepte und eine Idee, die wir gerade auch noch verfolgen, sind ammoniakbetriebene Stromtankstellen für E-Autos. Zusätzlich dazu kann Ammoniak für Baumaschinen und Schwerlasttransporter interessant werden.
Für die Energiewende ist grüner Ammoniak zweifelsohne von Bedeutung, aber haben Sie im Alltag das Gefühl, wenn Sie über Ihre Arbeit sprechen, dass die Menschen etwas damit anfangen können, dass sie verstehen, worum es hier geht?
Es kommt darauf an, mit wem man sich darüber unterhält. Freunde, die beispielsweise im naturwissenschaftlichen oder ingenieurwissenschaftlichen Bereich arbeiten, haben ein sehr gutes Verständnis und sind sehr oft mit dem Thema befasst. Aber bei Freundinnen, die aus anderen Berufsgruppen kommen, da kennt man Wasserstoff und dann hört es auch schon auf. Generell spüren die Menschen, dass einiges passiert, aber wirkliche Kenntnisse zu den Technologien und zu dem, was alles möglich ist und was auch nicht, sind noch sehr dürftig. Die normale Bevölkerung ist hier nicht gut informiert, da sollte noch viel mehr Wissensvermittlung stattfinden. Es stellt sich nur die Frage, wie man es gut kommuniziert, denn es geht sehr stark um technische Details und spätestens bei Satz zwei hat man eben auch viele schon verloren. Nur so kann man auch Vertrauen in neue Technologien schaffen. Denn es geht dabei nicht darum, Gefahren oder Probleme kleinzureden, sondern vielmehr darum, ein ausgewogenes Bild zu vermitteln, um auch bei der Bevölkerung die Bereitschaft zu wecken, aufgeschlossener gegenüber Neuem zu sein.
Das CAMPFIRE-Bündnis führt zudem ein Umsetzungsprojekt TransHyDE-Leitvorhaben durch. Worum geht es dabei?
Das Projekt TransHyDE mit über 80 Partnern treibt vier Transporttechnologien weiter voran: den Wasserstofftransport in Hochdruckbehältern, den Wasserstoff-Flüssig-Transport, den Wasserstoff-Transport in bestehenden und neuen Gasleitungen sowie den Transport von in Ammoniak gebundenem Wasserstoff. Zusätzlich dazu widmet sich das Projekt dem Wasserstoff-Transport in fünf wissenschaftlichen Projekten und schafft damit den systemischen Rahmen.
Was lieben Sie an Ihrer Arbeit am meisten?
Dass wir die Möglichkeit haben, viele Kompetenzen zusammenzubringen, um Wege zu finden, die Welt besser zu machen, die Welt zu retten. Weil wir an einer Sache arbeiten, die nach unserer Haltung dringend gefördert werden muss und auch nachhaltige Geschäftsmodelle ermöglichen soll. Wir führen Wissen zusammen und sorgen gleichzeitig dafür, dass es für alle Partner ein faires Miteinander gibt, auch für die Unternehmen. Das ist eine sehr schöne Aufgabe. Ich erfahre zum Beispiel bei neuen Technologien, die wir entwickelt haben, direkt vom Anwender, vom Kunden, was noch fehlt, wo vielleicht noch Probleme in der Praxis auftreten etc. Und mit diesen Informationen können wir wieder in die Entwicklung gehen.
Darüber hinaus ist es auch schön, mit Menschen zu arbeiten, die alle etwas bewegen wollen. Es geht hier nicht um die eigenen Interessen, sondern um ein gemeinsames Ziel, das uns allen sehr großen Spaß macht und uns auch motiviert.
Sie kommen ja eigentlich aus der Forschung, haben Sie manchmal die Möglichkeit, noch selbst im Labor zu stehen?
Das kommt leider nicht mehr so häufig vor. Aber wenn wir in einer Arbeitsgruppe mal auf ein Problem stoßen oder es eine Diskussion gibt, dann ist es total schön, wenn ich dann auch mal wieder ins Labor gehen kann und darüber nachdenke.
Wer inspiriert Sie?
Ja mein Kollege und enger Partner und auch mittlerweile sehr enger Freund, Jens Wartmann. Er ist eine sehr große Inspiration für mich, weil er ein unheimlich kreativer Kopf ist, mit einem inneren Motor, der einfach läuft. Egal wie viele Probleme oder Lücken es gibt – er sieht immer eine Chance und findet Lösungen. Er ist ein Mensch, der sehr positiv und risikofreudig auch mal einen ganz verrückten Schritt macht. Damit treibt er viele Dinge voran, begeistert Leute und das alles ohne Eigeninteresse, nur für die Sache. Das ist für mich sehr inspirierend.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Ich hoffe, dass es mir in den kommenden zehn Jahren gelingen wird, das CAMPFIRE-Bündnis zu verstetigen, indem wir zum Beispiel die CAMPFIRE gAG gegründet haben, erste Produkte in der Region produzieren und so Arbeitsplätze schaffen. Der Region, den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern etwas zurückgeben können und das in einer Zeit, in der wir die wahrscheinlich größte Deindustrialisierungswelle seit der Wende erfahren. Ich hoffe wir sind in zehn Jahren einen weiteren Schritt in Richtung emissionsfreie Zukunft gegangen, gerade weil unsere Technologien auch über die Schifffahrt hinaus eingesetzt werden könnten.
Das Gespräch führte Anika Schwalbe
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