"Wir brauchen Menschen, die Nahtstellen gestalten und nicht Schnittstellen verwalten"
„Ein virtuelles Kraftwerk oder eine Strom-Community brauchen Ideen, gemeinsame Entdeckungsverfahren und Lösungen, die entstehen und reifen müssen“, sagt Prof. Dr. Sabine Löbbe vom Reutlinger Energiezentrum für Dezentrale Energiesysteme & Energieeffizienz der Hochschule Reutlingen. „Das geht nur interdisziplinär und gemeinsam.“
Frau Prof. Dr. Löbbe, Sie forschen an der Hochschule Reutlingen zu Geschäftsmodellen und Produkten für dezentrale Energiesysteme und Energieeffizienz. Wollten Sie schon immer in diesem Bereich einen Beruf ergreifen?
Na ja, das Thema kam schon relativ früh auf mich zu: Ich habe während des Studiums – also in den 80ern - für die Stadtwerke Bremen Marketingstrategien für Energiedienstleistungen entwickeln dürfen. Das war ein Projekt der Stadtwerke Saarbrücken, des Ökoinstituts und der Prognos, ausgelöst durch die Tschernobyl-Katastrophe. Man sieht auch: Technologien, politisches und regulatorisches Umfeld, Wettbewerb und schließlich Marktopportunitäten entwickeln und ändern sich, aber die eigentliche Aufgabe, sich mit Kundenbedürfnissen und Mehrwerten zu beschäftigen, ist für die Branche nicht wirklich neu.
Foto: Prof. Dr. Sabine Löbbe
Was ist für Sie das Faszinierendste an Ihrer Arbeit?
Ich freue mich, wenn ich dazu beitragen kann, dass sich Organisationen und Menschen entwickeln, in der Forschung wie in der Lehre. Ein virtuelles Kraftwerk oder eine Strom-Community brauchen Ideen, gemeinsame Entdeckungsverfahren und Lösungen, die entstehen und reifen müssen. Das geht nur interdisziplinär und gemeinsam und dazu braucht es Menschen, die Nahtstellen gestalten und nicht Schnittstellen verwalten. Solche Menschen werteorientiert auszubilden und mit ihnen Zukunftsprojekte in der Forschung zu gestalten, ist faszinierend.
Wie sehen die Stadtwerke der Zukunft aus?
Kooperativ, flexibel, professionell. Stadtwerke, die es verstehen, Lieferungen und Leistungen so zu kombinieren, dass für ihre Kunden ein Mehrwert entsteht, haben eine Zukunftschance. Dazu muss das Unternehmen mit unterschiedlichen Partnern kooperieren und das Scharnier darstellen, sowohl auf der Seite der Leistungserbringung als auch auf der Kundenseite. Dafür ist wichtig, dass es gleichzeitig so flexibel ist, auf Situationen, sich ändernde Bedürfnisse, Verfügbarkeiten und Opportunitäten eingehen zu können. Das gilt schon lange und für die Zukunft umso mehr: Je mehr Digitalisierung und gleichzeitig Dezentralisierung, umso wichtiger sind Größendegressionseffekte, umso substanzieller ist es, die richtigen Partner zu gewinnen und zu halten, und gleichzeitig flexibel auf sich wandelnde Kundenbedürfnisse, technologische und marktliche Entwicklungen eingehen zu können.
Was sind Ihrer Meinung nach gerade die drängendsten drei Fragen, die sich hinsichtlich stärkerer Nachhaltigkeit und Erneuerbarer Energien stellen?
Erstens: Wie sieht ein konsistentes, an den energiepolitischen Zielen ausgerichtetes und die Chancen des Wettbewerbs nutzendes Energiemarktdesign für die Zukunft aus? Wie können wir es vermeiden, dass nicht nur Politik den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht und das System selbstreferentiell wird?
Zweitens: Wer bewegt, wie, welche Menschen und Organisationen, Entscheidungen und Verhaltensweisen im Sinne der Nachhaltigkeit und Energieeffizienz zu treffen? Drittens: Welche Marktakteure haben mit welchen Geschäftsmodellen zukünftig Erfolg und wie beeinflussen sie Angebot und Nachfrage nach nachhaltigen Lösungen? Den beiden letztgenannten Fragestellungen widmen wir uns in unserer Forschung.
Wo sehen Sie die Erneuerbaren Energien im Jahr 2030?
Im Aufwind und im Wettbewerb. Zuversichtlich bin ich, dass die Nachfrage nach Erneuerbaren, soweit private und institutionelle Entscheider betroffen sind, steigen wird, und dass die Anbieter professionelle und attraktive Produkt- und Dienstleistungspakete entwickeln werden.
Seit vielen Wochen gehen auch in Deutschland Schüler jeden Freitag unter dem Motto „Fridays for Future“ auf die Straße. Was würden Sie den jungen Menschen gern sagen?
Erstens: Gut gemacht! Zweitens: Bildet Euch weiter, damit Ihr, drittens, morgen gestalten könnt: Erarbeitet Lösungen in Wirtschaft und Wissenschaft und lasst Euch wählen, um in demokratisch legitimierten politischen Prozessen Positionen zu vertreten und umzusetzen!
Welche Persönlichkeiten/ Menschen haben Sie inspiriert – inspirieren Sie?
Unternehmer-Persönlichkeiten, die Kreativität, Mut und Gestaltungswillen mitbringen und damit technische wie organisatorische Innovationen in den Markt bringen.
Welches Medienformat bevorzugen Sie, wenn Sie sich zu Themen der Nachhaltigkeit/ Erneuerbare Energien auf dem Laufenden halten wollen?
Wissenschaftliche Studien, Zeitungen, gedruckt und digital, Zeitschriften, Newsletter, etc.
Dieser Artikel wurde im Renews, dem Newsletter der Agentur für Erneuerbare Energien, veröffentlicht.
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