"Die Branche gewinnt wieder an Festigkeit und hat das Potential, Jobmotor zu werden."

Frau Rippel, 50Hertz möchte bis 2032 auf 100 Prozent Ökostrom im Netzgebiet kommen. Offshore-Wind trägt einen großen Teil zu diesem Ziel bei, doch die Bundesregierung scheint sich zukünftig eher auf den Ausbau dieser in der Nordsee zu konzentrieren. Wie kann 50Hertz die eigenen Ziele dennoch erreichen?

Sie haben Recht, derzeit ist in der Ostsee kaum Zubau vorgesehen – und das, obwohl weitere Potentiale vorhanden sind. Und ja, wir würden uns eine ausgewogenere Verteilung der vorhandenen Ausbaupotentiale wünschen! Was den Willen der Politik und mögliche Lösungen angeht, würde ich hier zwischen politischen Bekenntnissen, konkreten rechtlichen und bürokratischen Umsetzungsschritten und den 50Hertz-Ambitionen unterscheiden. Fangen wir mal damit an: 50Hertz hat Ende 2020 gemeinsam mit dem dänischen Übertragungsnetzbetreiber energinet mit der Combined Grid Solution den weltweit ersten hybriden Offshore Interkonnektor in Betrieb genommen, der sowohl erneuerbaren Strom an die beiden Küsten transportiert, als auch zum Stromhandel zwischen den beiden Ländern genutzt werden kann. Und Mitte Januar haben wir mit den energinet-Kolleg*innen eine Absichtserklärung für das Folgeprojekt „Bornholm Energy Island“ in der Ostsee unterzeichnet. Das zeigt zum einen, dass wir liefern können und zum anderen, dass ein Teil der Antwort die europäische Zusammenarbeit ist.

Auch was die politischen Bekenntnisse angeht, läuft es ja nicht schlecht: Die deutsche Politik bekennt sich klar zum Pariser Klimaabkommen und dem Europäischen Green Deal – und dabei implizit zu einem ambitionierteren Ausbau von erneuerbaren Energien. Es hapert jedoch mit der Umsetzung. Also bei den Schritten, die nach den großen Bekenntnissen kommen. All die Gesetzes- und Verordnungsnovellen, die notwendig sind, damit es läuft: EEG, EnWG, WindSeeG, Flächenentwicklungsplan und ROP. ROP steht für Raumordnungsplanung – und genau da brauchen wir eine Gleichwertigkeit von Offshore-Wind-Erzeugung mit den anderen dort berücksichtigten Interessen. Das ist bislang schlicht nicht der Fall, Offshore-Wind steht da hinter Verteidigungs-, Wissenschafts-, Schiffahrts-, Kultur-, und Meeresumweltinteressen zurück. Teile der Zivilgesellschaft haben die Notwendigkeit einer regelmäßigen und ausgewogenen Betrachtung dieser verschiedenen Interessen schon erkannt. Die „Offshore Caolition“ der Renewable Grid Initiative (RGI) [1] etwa hat hier die wichtigsten Punkte zusammengetragen.

Und am Ende dürfen wir eins nicht vergessen: Auch die Photovoltaik (PV) wird enorm wachsen von derzeit rund 50 GW installierter Leistung hin zu etwa 115 GW im Jahr 2035 [2]. Offshore-Wind muss es also nicht alleine richten.

Klimastreiks und das gestiegene öffentliche Interesse an der Energiewende stehen dem stetigen Rückgang der Arbeitsplätze in der deutschen Erneuerbaren-Energien-Branche diametral entgegen. Wie kann dieser Negativtrend gestoppt werden?


Es hat sicherlich einige Fehlsteuerungen in der Vergangenheit gegeben. Aber die Branche gewinnt wieder an Festigkeit und hat das Potential, Jobmotor zu werden, wie die Internationale Agentur für Erneuerbare Energie (IRENA), im letzten Oktober bestätigt hat [3]. Sowohl in den hoch entwickelten Energiemärkten als auch in Märkten, die noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen, gab es deutlichen Jobzuwachs. International eine halbe Million mehr als im Vorjahr.

Auch bei 50Hertz stellen wir ein, hauptsächlich im IT-Bereich und den technischen Bereichen in den Regionalzentren, aber auch in der Verwaltung am Berliner Hauptbahnhof Berlin. Interessierten Expert*innen rate ich einen Blick auf die 50Hertz-Karriereseiten. Auch die nächste Phase der Energiewende, die Sektorenkoppelung, wird sich hier positiv auswirken: Die etablierten Industrien wollen ihre Prozesse dekarbonisieren und neue Industrien, die nachhaltig agieren wollen, werden durch grüne Standorte angezogen – da werden Jobs geschaffen!

Wie geht 50Hertz der Pandemie-Situation um? Wo würden Sie sich als Netzbetreiber mehr Unterstützung wünschen?

50Hertz hat frühzeitig und schnell auf Corona reagiert. Als Übertragungsnetzbetreiber ist man auf verschiedene Krisenszenarien vorbereitet und hat auch einen Pandemieplan in der Schublade – denn Strom soll schließlich auch dann fließen. Bereits im Februar letzten Jahres hatten wir eine Taskforce ins Leben gerufen, die täglich die Situation beurteilte, Strategien entwickelte, um Mitarbeitende zu schützen und den System- und Geschäftsbetrieb 24/7 aufrecht zu erhalten. Die Geschäftsführung hat auf dieser Grundlage rasche und klare Entscheidungen gefällt und Mitarbeiter*innen umfassend informiert und empathisch mitgenommen. Und schon im März waren alle Mitarbeitenden technisch und organisatorisch so ausgerüstet, dass sie im Homeoffice arbeiten konnten. Damit einher ging die klare Ansage der Geschäftsführung, dass Homeoffice und das Arbeiten im Büro absolut gleichwertig betrachtet werden. Und als wir 50Hertz-Kolleg*innen am Ende des ersten Lockdowns mit einem durchdachten Konzept abgeholt wurden, das eine Anwesenheitsquote und besondere Abstandsregeln für die Büroarbeitsplätze, Hygiene- und Maskenpflichten beinhaltete, hat sich ein guter Mix aus Homeoffice und Arbeiten im Büro ergeben. Beim zweiten Lockdown lief dann alles schon fast routiniert ab. Bis zum heutigen Tag sind wir damit gut gefahren.

Als Unterstützung haben wir die regelmäßigen Runden im BDEW empfunden und auch die Behörden in unseren Bundesländern haben uns unterstützt wo sie konnten. Die teils fehlende digitale Ausrüstung in den Behörden hat da allerdings einiges erschwert. Wünschen würden wir uns deshalb, dass die Digitalisierung von Behörden, insbesondere von Genehmigungsbehörden, als Priorität Nr. 1 erkannt wird.

Sie sind seit 2013 bei 50Hertz und seit 2016 Leiterin des Bereichs Kommunikation und Politik. Wie hat sich die Kommunikation seitdem verändert?

Ich bin damals als Leiterin des Teams Energiepolitik bei 50Hertz eingestiegen. Mit dem Background aus der Arbeit beim Bundesverband Neue Energiewirtschaft war ich also im Thema nicht neu, dafür aber in der Struktur eines Unternehmens, das damals noch eher im Hintergrund agierte. Das hat sich geändert. Die Tage, in denen Übertragungsnetzbetreiber für die Öffentlichkeit eher unsichtbar waren, sind vorbei. Fragen der Versorgungssicherheit interessieren die Öffentlichkeit und deshalb geben wir Antworten und schaffen Transparenz. Und mit unserer neuen 50Hertz-Strategie #von60auf100bis2032 haben wir nicht nur ein industrie- und zugleich klimapolitisches Signal gegeben, sondern auch eine Vision für das Unternehmen geschaffen, die uns inspiriert und Priorisierungen erleichtert. Das beobachte ich auch in meiner Arbeit.

Dann hat natürlich das Tempo der Kommunikation zugenommen und – auch wieder durch Corona – die Digitalisierung der Formate. Social Media ist nicht mehr wegzudenken, Twitter, Linkedin und immer wieder neue Kanäle, das alles will professionell, gelassen und auf den Punkt bespielt werden. Zudem hat die interne Kommunikation einen enormen Bedeutungsschub hingelegt – nochmal verstärkt durch Corona. Das Schöne daran: Die Kolleg*innen merken relativ schnell, dass Ihnen mit mehr Aufmerksamkeit begegnet wird und dass dahinter ein ehrlich gemeinter, wertschätzender Mindset steht. Das wird positiv quittiert. Gerade Corona hat aber auch gezeigt, dass es ohne das persönliche Gespräch nicht geht. Neben digitaler Kommunikation setze ich daher immer noch auf persönlichen Austausch – was wir auch im Corona-Jahr mit strikten Regeln und kleineren Live-Events, die dann gestreamt wurden, gut hinbekommen haben. Und derzeit treffe ich mich mit meinen Kolleg*innen einfach zum Spaziergang, um zu reden – ist viel besser als Zoom.

Welche Persönlichkeiten oder Ereignisse inspirierten Sie und wie kam es zu Ihrem Interesse an Umwelt und Energie?

Ich bin überzeugt davon, dass der Klimawandel die größte Gefahr unserer Zeit und die Energiewende Teil der Lösung ist. 50Hertz hat zum Ziel, die Energiewende zum Erfolg zu machen und eine 100-Prozent-Erneuerbaren-Zukunft zu ermöglichen. Da ist es für mich der ideale Arbeitgeber bei dem ich mit meinem Team helfen kann, die komplexen Zusammenhänge der Energiewende, des Energiemarktes, der Energiepolitik und unseres Tuns verständlich zu machen und damit die Umsetzung hoffentlich erleichtere. Auf dieser Ebene sehe ich Akteure, die Außergewöhnliches leisten. Das sind keine Prominenten, sondern Menschen, die auf Arbeitsebene ihr Bestes geben und sich immer wieder was Neues einfallen lassen, um diese Wahnsinnstransformation sicher und zuverlässig zu gestalten.

***

[1] Quelle: offshore-coalition.eu (offshore-coalition.eu) abgerufen am 25. Januar, 17.53 Uhr

[2] Quelle: Erster Entwurf Netzentwicklungsplan 2035 (2021), veröffentlicht am 29.1.2021

[3] Quelle: IRENA abgerufen am 23.1.2021, 16.05 Uhr

Zur Person:

Kerstin Maria Rippel verantwortet seit 2016 als Leiterin des Bereichs Kommunikation & Politik die interne, externe, politische und mediale Kommunikation sowie das CSR-Reporting von 50Hertz.
Nach Jurastudium, Referendariat und Master of Laws (LL.M.) arbeitete sie zunächst zwei Jahre als Anwältin und später, nach abgeschlossenem Volontariat, als Journalistin.

Der Einstieg in die Energiewirtschaft kam 2008, als Rippel Pressesprecherin des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft wurde. 2013 wechselte sie zu ihrem jetzigen Arbeitgeber, zunächst als Leiterin des Teams Energiepolitik.

Kerstin Maria Rippel ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie ist Mitglied der Ausschüsse Umwelt und Energie der IHK Berlin und des DIHK, Vorstandsmitglied des Vereins Energiedialog 2050 e.V.,  Mitglied des Beirats Corporate Communication der Quadriga Hochschule. Darüber hinaus engagiert sie sich in mehreren Frauennetzwerken.