"Wir brauchen Mutbürger statt Wutbürger"
„Widerstände tauchen immer auf, wenn sich etwas im Wandel befindet“, sagt Janine Schmidt-Curelli, Geschäftsführerin der kleVer – Klimaschutz- und Energieagentur Landkreis Verden gGmbH, im Gespräch. „Prinzipiell finde ich es auch gewinnbringend, mir die Bedenken der Menschen anzuhören und mich mit ihnen auszutauschen.“
Frau Schmidt-Curelli: Welche Gründe führten zum Zusammenschluss des Landkreises und seiner Städte und Gemeinden im Bereich Klimaschutz und Energie?
Der Landkreis Verden und seine kreiseigenen Städte und Gemeinden haben die kleVer mit dem Ziel gegründet, das Thema Klimaschutz und Energiewende im Landkreis zu bündeln. Wir vernetzen die Verwaltungen, unterstützen sie und initiieren gemeinsame Projekte. Als gemeinnützige Gesellschaft in hundertprozentiger kommunaler Hand können uns die Kommunen auch mit Projekten direkt beauftragen. Wir agieren als Agentur flexibel und setzen Vorhaben schnell um. Die steigende Anzahl an Themen und Anfragen spiegelt sich auch in unserer Teamgröße wider. Im Januar 2020 sind wir zu zweit gestartet. Jetzt, vier Jahre später, habe ich durch mehrere Fördermittelprojekte und Kooperationen ein Team von 12 Mitarbeitenden aufbauen können.
kleVer richtet sich nicht nur an Kommunen, sondern auch an Bürger*innen und Unternehmen und bildet somit eine wichtige Schnittstelle. An welchen Punkten ist diese Schnittstelle besonders nötig oder hilfreich?
Richtig, eine weitere große Aufgabe der kleVer ist es, Bürger*innen bei der Energiewende mitzunehmen. Dafür leisten wir viel Öffentlichkeitsarbeit und führen Kampagnen und Beratungen durch. Unsere Schnittstellenfunktion zwischen Bürger*innen und Kommunen ist besonders im Bildungssektor wertvoll. Wir realisieren Projekte in Kindergärten, Grundschulen und weiterführenden Schulen und erreichen die Eltern über Informationsschreiben, Elternabende oder Feste. Für die 10. Klassenstufe haben wir eine „kleVer Klima-Wanderausstellung“ konzipiert, die den Klimawandel spielerisch (be)greifbar macht und auch zur Eigeninitiative ermutigt. Bei dem dazugehörigen Modul „Grüne Arbeitswelten“ kommen dann die Unternehmen ins Spiel. Die Jugendlichen finden heraus, in welchen Berufen Klimaschutz eine Rolle spielt bzw. wie dieser integriert werden kann, und werden dann auf regionale Unternehmen aufmerksam gemacht. Wir hoffen, dadurch der Flaschenhalsproblematik „Fachkräftemangel“ im lokalen Energiewendebereich entgegenwirken zu können.
Haben Sie das Gefühl, dass Klimaschutz im ländlichen Raum anders umgesetzt werden muss als in städtischen Gebieten?
Die Voraussetzungen unterscheiden sich definitiv, und dementsprechend müssen die Ansätze variieren. Im ländlichen Raum sind Solar- und Windparks präsent, und vergleichsweise mehr Menschen müssen sich aufgrund der höheren Wohneigentumsquote mit Maßnahmen wie neuer Heiztechnik oder Dämmung auseinandersetzen. Die geringe Siedlungsdichte macht zentrale Wärmeverteilsysteme seltener. Die Ausweisung von Überflutungsflächen oder die Umwandlung von Ackerland in Naturschutzflächen wird viel direkter wahrgenommen, da die Auswirkungen unmittelbarer erfolgen als im städtischen Raum. Daher ist es wichtig, dass jede Region ihren Beitrag leistet. Während der ländliche Raum also bei der Energieproduktion und den individuellen Maßnahmen an Wohneigentum viel Arbeit vor sich hat und sich mit Homeoffice und cloudbasiertem Arbeiten auch Veränderungen in der Arbeitswelt klimapositiv auswirken können (durch weniger Pendeln), muss der städtische Raum insbesondere beim motorisierten Individualverkehr viel mehr vorangehen.
Was ist aus Ihrer Sicht die größte Hürde für die Energiewende auf lokaler Ebene und wie können Kommunen wie der Landkreis Verden diese überwinden?
Eine große Bremse ist die Überlastung der Kommunen. Nach der Flüchtlingskrise folgten die Coronakrise und letztes Jahr die Hochwasserkatastrophe. Gesetzliche Vorgaben zum Klimaschutz werden dann oftmals als zusätzliche Bürde empfunden. Dabei birgt die lokale Energiewende so viele Vorteile:
Solar- und Windparks können durch das NWindPVBetG im relevanten Maßstab für eine Verbesserung der kommunalen Finanzlage sorgen. Gewerbegebiete und -betriebe können durch die hohe grüne Stromproduktion im ländlichen Raum vor Ort von günstiger Energie profitieren, und mit Bürgerenergiegesellschaften können auch die Bürger*innen direkt profitieren. So können die Kommunen mit Gestaltungswillen und Überzeugungskraft die Energiewende voranbringen!
Voraussetzung dafür ist, Klimaschutzpersonal einzustellen, das für Kontinuität sorgt, Chancen erkennt und die kommunale Politik überzeugt, diese zu ergreifen.
Welche Rolle spielen Bildung und soziale Gerechtigkeit beim Klimaschutz?
Ich denke, beides ist die Voraussetzung für eine Akzeptanz von erneuerbaren Energien und somit eine zügige Energiewende. Unsere Systemtransformation wird durch den Wind- und Solarparkausbau gerade im ländlichen Raum besonders sichtbar. Sozial gerecht ist es, die Bürger*innen vor Ort dann auch an dem Ausbau (finanziell) zu beteiligen. Auch bildungsferne Schichten sollten bei dem Gemeinschaftsprojekt Energiewende mitgenommen werden. Wir brauchen Mutbürger statt Wutbürger. Bei der kleVer machen wir deshalb bei dem sogenannten „Stromsparcheck“ der Caritas mit. In dem Projekt besuchen unsere eigens dafür ausgebildeten Stromsparhelfer einkommensschwache Haushalte, unterstützen sie beim Energieeinsparen und geben kostenlose Energiesparkits aus. Wichtige Message dabei ist, dass man durch das Energieeinsparen nicht nur am Monatsende mehr Geld im Portemonnaie hat, sondern auch das Klima schützt. Bei der Energiewende ist es wichtig, Programme anzubieten, die Menschen generationen- und gesellschaftsübergreifend befähigen, mitzumachen. Klimaschutz soll für alle verständlich und erreichbar sein.
In einer Welt, in der viele Menschen Klimaschutz als abstrakt oder überwältigend empfinden, wie schaffen Sie es, den Bürger*innen das Thema auf verständliche und motivierende Weise näherzubringen?
Am besten gelingt das durch den persönlichen Kontakt. Infoveranstaltungen bieten sich gut an, um viele Menschen auf einmal zu erreichen. Dabei gilt: Polarisierende Themen neutral einordnen, komplexe Sachverhalte vereinfachen, die nächsten Schritte konkretisieren und das Ganze dann locker flockig rüberbringen.
Mit unserer kleVer Energiekarawane ziehen wir jährlich von Kommune zu Kommune und haben pro Veranstaltung bis zu einem Dutzend Energieexpert*innen im Gepäck. Mit dieser Kampagne beraten wir pro Jahr rund 1.000 Bürger*innen. Das Konzept ist einfach zu kopieren: Nach den Grußworten der jeweiligen Bürgermeister*innen gibt es kurze Fachvorträge, beispielsweise zur Kommunalen Wärmewende, Wärmepumpe, PV, Balkonkraftwerke oder Sanierungen. Nach dem Wissenstransferblock spielen wir etwas „Herzblatt“, d. h. die zusätzlich geladenen PV- bzw. Wärmepumpeninstallateure dürfen sich in 30 Sekunden vorstellen und zu ihrem Ausstellungsstand einladen. Die Gäste können sich dann individuell bzw. als Gruppe an den Ständen der Expert*innen beraten lassen – und das alles kostenlos!
Wichtig ist bei so einem Veranstaltungsabend eine motivierende positive Moderation, die verschiedene Zusammenhänge einordnet und nach den Vorträgen technische Informationen „übersetzt“. Das Publikum sollte man zwischendurch auch mal zum Lachen bringen können. So besetzt man das Thema allgemein positiv und schafft ein Gemeinschaftserleben. Denn: Wir sitzen ja alle in einem Boot. Die Moderationsskills und -Tools sind alle erlernbar.
Auf unserer Website ist ein kleiner Videozusammenschnitt der Kampagne zu sehen, bei dem ein Besucher herausstellt, dass es auch bereits sehr motivierend sei zu sehen, wie viele Menschen sich schon auf den Weg gemacht haben.
Ein griffiger und attraktiver Kampagnenname wie „Energiekarawane“ mit einer ansprechenden grafischen Umsetzung trägt sehr viel bei zur Attraktivität und Sympathie von Kommunikationsmaßnahmen rund um den Klimaschutz, genau wie die geschickte und professionelle Nutzung der für die Zielgruppen relevanten Kommunikationskanäle (Presse, Mailings, Newsletter, Social Media, Printwerbung, Anzeigen und Kamelfahrräder vor den Rathäusern). Dabei kommt es auch auf die Tonalität an: sachlich ruhig und locker flockig, auch bei schriftlicher Werbung. So wirkt die Werbung informativ und neutral, aber auch persönlich und nah an den Menschen und ihrer Lebensrealität! Abgehobene, belehrende oder trockene Infos zu dem Thema gibt es schon genug und sind eher abschreckend.
Klimaschutz kann manchmal ein polarisiertes Thema sein. Haben Sie in Ihrer Arbeit Widerstände oder Vorbehalte erlebt und wie gehen Sie damit um?
Widerstände tauchen immer auf, wenn sich etwas im Wandel befindet. Prinzipiell finde ich es auch gewinnbringend, mir die Bedenken der Menschen anzuhören und mich mit ihnen auszutauschen. Nur so kann ich erfahren, wo es beispielsweise noch Wissensdefizite gibt und wir unser Angebotsportfolio nachschärfen müssen. Grenzen bei den Gesprächen muss man dann setzen, wenn es dem Gegenüber nicht um einen Meinungsaustausch geht, sondern nur ums Frustabladen allgemein. Dafür stehe ich dann nicht zur Verfügung.
Was war das prägendste Erlebnis in Ihrer bisherigen Laufbahn bei kleVer, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ein prägendes Erlebnis war die positive Resonanz auf unsere kleVer Energiekarawane. Den Wissenstransfer auf lockere Weise zu gestalten, kam gut an. Die Menschen fühlten sich gehört und hatten Freude am Austausch. Das wertschätzende Feedback hat mir einmal mehr gezeigt, wie wichtig lebendige, gut durchdachte Kommunikation für eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit ist. Und Kommunikation ist für die Energiewende wichtiger denn je.
Wir haben uns über die Jahre eine hohe Reputation und Glaubwürdigkeit aufbauen können. Erreicht haben wir das einerseits durch eine hohe Fachkompetenz im Team. Andererseits gelingt uns die Balance zwischen Zuhören und Vermitteln sowie einem klaren, steuernden Eingreifen. Hier das Feingefühl zu haben, welchen Akteur man wann wie anspricht und in Prozesse einbindet, ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende auf lokaler Ebene.
Kontakt
Agentur für Erneuerbare Energien e. V.
Anika Schwalbe
Tel: 030 200535 52
a.schwalbe@unendlich-viel-energie.de
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