"Eine mögliche Abschaffung von Biokraftstoffen würde bis zu 20.000 Arbeitsplätze in Deutschland gefährden"
„Wir können uns in diesen Zeiten keinen politisch verursachten Wegfall der Produktion lebensnotwendiger Güter made in Germany erlauben“, sagt Jaana Kleinschmit von Lengefeld, OVID-Präsidentin und Vorstandsvorsitzende der ADM Hamburg Aktiengesellschaft. Denn die Biokraftstoffproduktion trage nicht nur wesentlich zur Dekarbonisierung des Verkehrs bei, sie leiste auch einen erheblichen Beitrag zur Nahrungsmittelsicherheit.
Frau Kleinschmit von Lengfeld, Sie sind von DDW (Die Deutsche Wirtschaft) als eine der Führungspersönlichkeiten der deutschen Wirtschaft in den Rankings der wichtigsten Unternehmen Deutschlands gelistet. Was bedeutet Ihnen das?
Gesamtgesellschaftliche Verantwortung für Ernährungssicherung, Energieversorgung durch die Biokraftstoff-Produktion auch als Beitrag zur Energiewende und Verantwortung für Beschäftigte, Auszubildende, Trainees, Hochschulabsolventen.
Sowohl die ADM als auch OVID agieren im Bereich der Futtermittel und Biokraftstoffe. Was reizt Sie an diesem Thema?
Vielfalt und Komplexität. Der Ölsaatensektor leistet einen wichtigen Beitrag sowohl für die Nahrungs- und Futtermittelversorgung als auch für die Energiesicherheit durch die Bereitstellung klimafreundlicher Biokraftstoffe. Die bei der Herstellung von Biokraftstoffen aus Ölsaaten und Futtergetreide produzierten Koppelprodukte — wie zum Beispiel Proteinfuttermittel — sind von großer Bedeutung für die Tierhaltung. Diese Koppelprodukte tragen damit signifikant zur Verbesserung der Selbstversorgung mit Lebensmitteln bei. Pro Liter Biokraftstoff entstehen mehr als 1,5 Kilogramm Proteinfutter sowie Lecithin für die Lebensmittelproduktion und rund 0,1 Liter pflanzliches Glycerin, das beispielsweise fossiles Glycerin aus der Zahnpasta verdrängt hat! Glycerin und Ethanol werden zur Herstellung von Hände-Desinfektionsmitteln benötigt. Lecithin aus der Ölsaatenverarbeitung wird als pflanzlicher Emulgator in Lebensmitteln eingesetzt. Ethanol stellt zudem einen nachhaltigen Ausgangsstoff für die Herstellung von biobasierten Chemikalien dar, die petrochemische Produkte wie Ethylen ersetzen und damit einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Chemieindustrie leisten.
Doch diese Erfolgsstory wird in Frage gestellt. In der öffentlichen Debatte und von Teilen der Bundesregierung sowie der Länder wird zuletzt immer wieder plakativ eine strikte Begrenzung oder ein Ende von „Nahrungsmitteln im Tank“ gefordert. Damit wird die bestehende und funktionierende Marktregulierung zu Gunsten der Nahrungsmittelproduktion ignoriert.
Welche Folgen hätte eine Einschränkung oder sogar ein Ende der Biokraftstoffproduktion?
Einschränkungen der Produktion von Biodiesel führen zu unerwünschten Kollateralschäden in allen vor- und nachgelagerten Bereichen der Wertschöpfungskette, insbesondere aber zu erheblichen negativen Auswirkungen auf eine echte physische Treibhausgasminderung. Es ist sehr schwer nachvollziehbar, warum gerade das Umweltministerium gegen den Klimaschutz arbeitet, indem Biokraftstoffe aus Anbaubiomasse abgeschafft werden sollen. Dadurch kommen bis zu 13 Millionen Tonnen Treibhausgase (so viel stößt Hamburg pro Jahr aus) zurück in den Verkehrssektor, die heute jedes Jahr durch diese Biokraftstoffe eingespart werden (BLE Bericht). Noch weniger nachvollziehbar wird das Ansinnen durch das „Schönrechnen“ dieser jährlich fehlenden 13 Millionen Tonnen CO2 -Minderung, indem Faktoren oder Multiplikatoren angehoben werden sollen, die bereits heute zu erheblichen Luftbuchungen in der Treibhausgasbilanz führen. So soll zum Beispiel jede eingesparte Tonne CO2 durch die Elektromobilität künftig mit dem Faktor vier multipliziert werden (heute Faktor drei). Das heißt aus einer tatsächlich physisch eingesparten Tonne CO2 werden plötzlich vier Tonnen CO2, wovon drei Tonnen nicht eingespart werden, weil sie nicht existieren. Das ist Trickserei und verzerrt den Wettbewerb aller verfügbaren technischen Lösungen zur Treibhausgasminderung. Bei Biodiesel wird ehrlich und richtig gerechnet, eine Tonne bleibt eine Tonne, physisch und rechnerisch, ohne Multiplikatoren. Biokraftstoffe in Deutschland erfüllen übrigens die weltweit schärfsten Anforderungen an nachhaltige Lieferketten, werden unabhängig überwacht, auditiert und zertifiziert. Jeder Biokraftstoffproduzent in Deutschland muss sich jährlichen Kontrollen unterziehen und den Nachweis erbringen, dass jede eingesparte Tonne CO2 auch tatsächlich eingespart wurde.
Dies wird umso bedeutsamer, nachdem die Bundesregierung kommuniziert hat, Kohlekraftwerke weiter in Betrieb zu halten. Strom aus Kohlekraftwerken dürfte erhebliche negative Auswirkungen auf die CO2-Bilanz von E-Fahrzeugen haben. Dem Klimaschutz wird ein Bärendienst erwiesen.
Die Biokraftstoffproduktion leistet einen erheblichen Beitrag zur Nahrungsmittelsicherheit. Einschränkungen der Produktion von Biodiesel hätten unerwünschte Folgen für die klimafreundliche heimische Versorgung mit Futtermitteln und Basischemikalien. Sie würden die nationalen und europäischen Ziele in Bezug auf Versorgungssicherheit und Klimaschutz offen konterkarieren.
Deutschland möchte seine Selbstversorgung mit der Eiweißpflanzenstrategie steigern, tut aber genau das Gegenteil, denn der hieraus resultierende Wegfall von Futtermitteln müsste anderweitig kompensiert werden. Eine flächeneffiziente Eiweißpflanzenstrategie kann nur mit Biokraftstoffen gelingen, ohne ist sie zum Scheitern verurteilt.
Was würden Sie sich denn in der aktuellen Situation wünschen?
Die zuständigen Bundesministerien verdrängen die absehbaren Konsequenzen eines Biokraftstoffausstiegs. Ich möchte an dieser Stelle den Verantwortlichen in der Bundesregierung Folgendes zu bedenken geben: Eine mögliche Abschaffung von Biokraftstoffen würde bis zu 20.000 Arbeitsplätze in Deutschland gefährden und verunsichert bereits jetzt die Unternehmen, die investieren und planen wollen. Wir können uns in diesen Zeiten keinen politisch verursachten Wegfall der Produktion lebensnotwendiger Güter made in Germany erlauben!
Gerne wollen wir in den Austausch treten und in persönlichen Gesprächen zu klugen Lösungen beitragen, die der Komplexität der Sachzusammenhänge gerecht wird und echter Klimaschutz eine Chance erhält.
Und warum sind Biokraftstoffe so unverzichtbar für den Verkehr?
Die vielfältigen Vorzüge der Nutzung von Biokraftstoffen liegen auf der Hand. Zuallererst ersetzen Biokraftstoffe eins zu eins fossile Kraftstoffe. Fossile Öl- und Kraftstoffe stammen zu erheblichen Anteilen aus Krisenregionen. Der physische Beitrag zur Kraftstoffversorgung durch Biokraftstoffe betrug allein in Deutschland zuletzt bis zu 4,5 Millionen Tonnen — das entspricht 200 PKW-Tankfüllungen pro Minute. Anders ausgedrückt, müssten bis zu 7 Prozent mehr fossile Kraftstoffe, mit erheblich negativerer Klimawirkung durch hohen Treibhausgasausstoß, die Lücke füllen. Wir verschärfen die Abhängigkeit von fossiler Energie durch eine Begrenzung oder ein Ende der heimischen Produktion von Biokraftstoffen.
Nachhaltig zertifizierte Biokraftstoffe sind gut für das Klima. Sie werden fossilen Kraftstoffen in Deutschland aufgrund der gesetzlich verankerten Treibhausgasminderungs-Quote beigemischt, um die Emissionen im Verkehr wirksam zu reduzieren. Im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen mindern Biokraftstoffe Emissionen um bis zu 92 Prozent und sparen hierzulande jährlich weit über 13 Millionen Tonnen klimaschädliches CO2 ein — allein im Jahr 2020 rund 13,2 Millionen Tonnen. Biokraftstoffe weisen derzeit einen Anteil von über 98 Prozent an den erneuerbaren Energien im Straßenverkehr auf. Ihr kurz- und mittelfristiger Ersatz im Hinblick auf die Klimaschutzleistung ist aus heutiger Sicht nicht möglich.
Biokraftstoffe sind die einzigen verfügbaren und funktionierenden Kraftstoffe zur Minderung von Treibhausgasen in allen Verbrennungsmotoren (PKW und LKW). Auch wenn Verbrennungsmotoren ein Auslaufmodell für Neuzulassungen bis 2035 sein werden, wird es mindestens bis 2050 noch Millionen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren auf Deutschlands Straßen geben, die Treibhausgase emittieren.
Der Krieg in der Ukraine hat einen spürbaren Einfluss auf den Preis sowie die Verfügbarkeit von Speiseölen in Deutschland. Die Ukraine ist mit 51 Prozent eines der weltweit wichtigsten Exportländer für Sonnenblumenöl. Der Bedarf an Sonnenblumenöl in Deutschland wird zu 94 Prozent über Importe gedeckt. Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für die landwirtschaftlichen Abnehmer und Produzenten?
Was die Produktion von Speiseölen in Deutschland betrifft, so sehen wir — abgesehen von den inzwischen allgemein bekannten Einschränkungen des Sonnenblumenöls, von dem im Übrigen keine einzige Tonne zur Biokraftstoffproduktion, sondern ausschließlich zur Lebensmittelproduktion verwendet wird — derzeit in unserem Teil der Lieferkette keine Verknappung. Die Produktion in den Werken läuft bei normaler Auslastung. Die Abfüllanlagen für Speiseöl sind kontinuierlich in Betrieb und die Produkte werden ohne Störungen abtransportiert.
Die jüngsten Erhebungen zur Aussaat von Sonnenblumensaat in und außerhalb der Ukraine lassen bei guter Vegetation mit zufriedenstellenden Erträgen auf ein wenig Entspannung in diesem Sektor hoffen. Grundsätzlich gilt, dass Handelsbeschränkungen angesichts enger globaler Bilanzen bei manchem Getreide und Ölsaaten kontraproduktiv sind. Die Politik tut gut daran, kluge Lösungen für funktionierende Märkte und einen freien Warenverkehr sicherzustellen, statt Lieferketten durch praxisferne Regulierung weiter zu belasten. Wer Hungerkrisen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg weltweit abwenden will, muss alles tun, damit die Erträge auf vorhandenen Flächen gesteigert werden können. Nur durch eine nachhaltige Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft im Einklang mit der Farm-to-Fork-Strategie und der Biodiversitätsstrategie kann dies gelingen.
Zum Schluss habe ich noch eine persönliche Frage an Sie: Wer oder was inspiriert Sie?
Nach wie vor alles rund um die Landwirtschaft mit all ihrer natürlichen Komplexität und der wichtigen Verknüpfung regionaler Produktion mit den Weltmärkten.
Jede Landwirtin und jeder Landwirt lernt von klein auf wie Dinge zusammenhängen, das heißt: Jede vorgenommene Veränderung an einer beliebigen Stellschraube hat meist multifaktorielle Auswirkungen, die vorher überlegt und durchdacht sein sollten. Erreiche ich mit dem, was ich tue wirklich das, was ich erreichen möchte? Das ist die entscheidende Frage. Um diese Frage richtig beantworten zu können, bedarf es eines wertfreien offenen Austauschs, des Willens zuzuhören und möglicherweise auch der Bereitschaft, seine Position zu ändern.
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