"Der Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für 1 Million Jahre."
Im Gegensatz zum Einsatz Erneuerbarer Energien muss bei der Nutzung der Atomkraft der radioaktive Abfall und dessen Entsorgung immer mitgedacht werden. Dazu zählen die Endlagersuche, die Kosten für deren Bau und für die Lagerung genauso wie der Rückbau der AKWs. In unserem Gespräch mit Steffen Kanitz, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Geschäftsführung der Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE) widmen wir uns diesen Themen.
Herr Kanitz, wie oft im Jahr kommen Sie, natürlich geschützt, in Kontakt mit schwach- und mittelradioaktiven oder hochradioaktiven Abfällen?
In direkten Kontakt komme ich mit diesen Stoffen natürlich nie. Denn genau das ist ja der Sinn einer sicheren Zwischen- und Endlagerung: der Schutz. An zwei unserer Projektstandorte (Asse und Morsleben) lagern schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Dort bin ich regelmäßig und informiere mich auch „Unter Tage“, also in der Nähe der Abfälle, über die Projektfortschritte. Danach wird stets überprüft, ob ich nicht doch einer gewissen Strahlung ausgesetzt war, was bislang nie der Fall war. Und natürlich habe ich mittlerweile auch viele der Zwischenlagerstandorte, wo die radioaktiven Abfälle derzeit lagern, besucht.
Was ist das für ein Gefühl?
Aufgrund der wirklich umfangreichen Strahlenschutzmaßnahmen fühle ich mich stets gut aufgehoben. Es fühlt sich an diesen Orten also nicht anders an als in anderen Bergwerken oder Industrieanlagen – so komisch das für Außenstehende klingen mag. Für uns ist das Alltag.
Das BGE spricht von insgesamt 600.000 Kubikmeter radioaktiven Abfalls: 300.000 Kubikmeter aus Betrieb und Rückbau der Kernkraftwerke und aus Industrie, Forschung und Medizin. 200.000 Kubikmeter zurückgeholter Müll aus dem maroden Bergwerk Asse und 100.000 Kubikmeter Rückstände aus der Urananreicherung. Was kann man sich unter einer so hohen Zahl vorstellen?
Die Gesamtmenge der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle ist in der Tat groß. Diese Abfälle machen mengenmäßig 95 Prozent des gesamten deutschen Atommülls aus. Stellen Sie sich 28 Fußballfelder vor, auf denen drei Meter hochgestapelt wurde. Dann haben Sie eine ungefähre Vorstellung. Übrigens: Weit mehr als 90 Prozent der Abfälle aus dem Rückbau der Kernkraftwerke sind konventioneller Abfall und können ohne endgelagert zu werden sicher entsorgt oder weiterverwendet werden.
Zuletzt wurde viel über potentielle Endlager gesprochen. Eins davon ist das "Konrad" in Salzgitter, dessen grundlegendes geowissenschaftliches Gutachten 1982 als positiv bewertet wurde. 20 Jahre später erging der Planfeststellungsbeschluss. Nach weiteren Untersuchungen wurde dieser 2007 rechtskräftig. Sind die Erkenntnisse für das geowissenschaftliche Gutachten nach so langer Zeit nicht bereits überholt?
Das Land Niedersachsen hat den Planfeststellungsbeschluss für das Endlager Konrad 2002 erlassen. Seitdem hat sich in der Tat vieles geändert. Aber oft betrifft das technische Dinge, wie z.B. die zu verwendenden Materialien. Die Geologie hat sich in der Zeit nicht verändert, sie ist seit 150 Mio. Jahren stabil und deshalb besonders für ein Endlager geeignet. Was klar ist: Die Sicherheit muss jederzeit gewährleistet sein. Daher überprüfen wir derzeit die Einhaltung der sicherheitstechnischen Anforderungen des Endlagers Konrad in unserem Projekt „ÜsiKo“. Ein solches Vorgehen ist in seiner Art neu und viele externe Wissenschaftler*innen sind beteiligt. Wir werden in mehreren Phasen ermitteln, ob es sicherheitsrelevante Abweichungen zwischen dem damaligen und dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik gibt. Die Ergebnisse diskutieren wir dann mit der Öffentlichkeit.
Wie sieht es mit der Zustimmung der Bevölkerung aus?
Unser Ziel ist immer die größtmögliche Transparenz. Mit dieser werben wir für die Akzeptanz der Bevölkerung vor Ort. Es gibt Skepsis und Kritik, aber auch Vertrauen. Unser erster Tag der offenen Tür auf der Anlage Konrad im August 2022 hat gezeigt, dass es sehr viel Interesse an einem Blick hinter die Kulissen eines Endlagers gibt. Wir haben viele Gespräche mit Anwohner*innen geführt, die uns für die Zukunft positiv stimmen. Und es gibt eine große Einigkeit darüber, dass wir eine Verantwortung für die sichere Entsorgung der nuklearen Hinterlassenschaften haben.
Was garantiert Ihnen, dass Konrad sich nicht genauso entwickelt, wie das marode Bergwerk Asse, aus dem nun nach und nach der radioaktive Abfall zurückgeholt werden muss?
Es gibt entscheidende Unterschiede zwischen den beiden Standorten. In Konrad haben wir es zunächst mit einer ganz anderen Geologie zu tun als auf der Asse. Konrad eignet sich als Endlager vor allem aufgrund der guten Abdeckung durch dichten, gleichmäßigen Ton über dem Einlagerungsbereich. Die Schachtanlage Asse 2 hingegen ist ein altes Salzbergwerk, das ursprünglich nur für die Forschung vorgesehen war. Anders als in der Asse werden im Endlager Konrad keine bestehenden Hohlräume aus dem alten Bergwerk zur Lagerung verwendet. Wir haben ein speziell für diesen Zweck errichtetes Endlagerbergwerk „angebaut“. Man hat aus der Vergangenheit also gelernt.
Gibt es Sicherheitsvorkehrungen bei Asse, Morsleben und zukünftig auch bei Konrad hinsichtlich eines potentiellen Terroranschlags?
Unsere Anlagen müssen nach Atomrecht gesichert sein und das sind sie natürlich auch. Die Maßnahmen sind streng, so dass keine Unbefugten auf das Gelände kommen können und etwaige Einwirkungen von außen wirksam abgewehrt werden. Die Endlagerung in tiefen geologischen Schichten bietet generell den größten Schutz gegen Anschläge.
Bis Konrad fertig ist, füllen sich die 35 Zwischenlager, die über ganz Deutschland verteilt sind. Diese müssen dann später in das Endlager transportiert werden. Wieviel radioaktiven Müll kann so ein Zwischenlager im Vergleich zu einem Endlager aufnehmen?
Bei den Zwischenlagern muss man unterscheiden. Die Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle befinden sich in der Regel in direkter Nähe zu den Kernkraftwerken und werden so geplant, dass sie die Abfälle der Standorte aufnehmen und bis zur Endlagerung sicher verwahren können. Dann gibt es auch Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Das sind die Abfälle, die später ins Endlager Konrad kommen, die zum Teil aus den Rückbau der Kernkraftwerke stammen. In den Zwischenlagern befindet sich eine Vielzahl an unterschiedlichen Behälterbauarten mit verschiedenstem Inhalt. Die Unterschiede ergeben sich beispielsweise in der Wärmeleistung, Aktivität und Schwermetallmasse, so dass die Anzahl der eingelagerten Behälter keine Rückschlüsse auf die Größe eines Lagers zulässt. Generell kann man sagen, dass es in unserer Branche keine Lösungen „von der Stange“ gibt. Sowohl Endlager als auch Zwischenlager werden gezielt auf den Bedarf ausgerichtet und gebaut.
Wie hoch sind die Kosten für die Lagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen und für hochradioaktive?
Hier kann ich natürlich nur Einblicke in unsere BGE-Projekte geben. Aktuell betragen die geschätzten Gesamtkosten für die Errichtung des Endlagers Konrad 4,2 Milliarden Euro und für die Stilllegung des Endlagers Morsleben 1,9 Milliarden. Für die Asse gehen wir bis zum Beginn der Rückholung von Kosten in Höhe von 4,7 Milliarden aus. Diese Zahl ist eine Schätzung, denn es gibt dafür einfach keine Vergleichswerte. Das gilt auch für die Suche nach dem bestmöglichen Standort für die hochradioaktiven Abfälle, die ein einmaliges Jahrhundertprojekt ist. Hier wird eine bedarfsgerechte Finanzierung über den Endlagerfonds KENFO gewährleistet.
Drei Atomkraftwerke sind nun bis April 2023 im Reservebetrieb. Sollte der Ausstieg danach tatsächlich gelingen, was passiert dann mit Isar 2 beispielsweise: Mit dem Bauwerk, dem Inhalt, den Brennstäben? Können Sie diesen Prozess des Rückbaus beschreiben, vielleicht auch mit einem zeitlichen Horizont? Und können Sie sagen, was ein solcher Rückbau kostet?
Hier müssen wir leider auf die Kraftwerksbetreiber verweisen, die sind für den Rückbau zuständig.
Sind die AKW-Betreiber an den Kosten für den Rückbau und die Lagerung beteiligt? Wenn ja in welcher Höhe und was ist hierfür die Grundlage für diese Berechnung?
Dass die AKW-Betreiber einen wesentlichen Anteil der Kosten tragen, war Teil des Atomausstiegs. Die Betreiber der deutschen Kernkraftwerke haben 2017 insgesamt 24,1 Mrd. Euro auf die Konten des „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ (KENFO) des Bundes eingezahlt. Die Finanzmittel werden dort verwaltet und in nachhaltigen Finanzprodukten möglichst gewinnbringend angelegt. Dadurch soll die Finanzierung der Zwischen- und Endlagerung des radioaktiven Abfalls sichergestellt werden. Für die Kosten der sicheren Zwischen- und Endlagerung wird der Bundesrepublik derzeit jährlich ein dreistelliger Millionenbetrag erstattet.
Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle hat gerade erst begonnen. 2031 sollte es gefunden sein und bis 2050 gebaut. Ursprünglich war der Salzstock Gorleben vorgesehen. Was passiert in der Zwischenzeit mit hochradioaktiven Abfällen?
Der Zeitplan für die Endlagersuche wird derzeit auf Basis der bisherigen Erfahrungen diskutiert. Es hat sich herausgestellt, dass das Verfahren unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen nicht bis zum Jahr 2031 abgeschlossen werden kann. Im Januar 2023 wird die BGE einen Fahrplan für die Eingrenzung der 90 Teilgebiete zu Standortregionen (Schritt 2 der ersten Phase des Standortauswahlverfahrens) vorlegen und einen ersten Ausblick für die weiteren Phasen geben. Bis zur Fertigstellung des Endlagers werden die Abfälle in den Zwischenlagern bleiben. So werden unnötige Transporte vermieden.
Welche Voraussetzungen muss ein potentieller Standort dafür erfüllen?
Es darf nicht irgendein geeigneter Standort sein, sondern der Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für 1 Million Jahre. Deshalb gibt es zahlreiche Vorgaben im Standortauswahlgesetz. Entscheidend ist die Geologie in der Tiefe ab 300 Metern. Sie muss den Atommüll sicher von Mensch und Umwelt abschirmen können. In Frage kommen dafür Steinsalz, Tongestein und Kristallin. Das Verfahren läuft nach wissenschaftlichen Standards und ist lernend. Es werden immer genauere Sicherheitsanalysen für jeden Standort durchgeführt und so wird immer weiter abgewogen und aussortiert. Bis wir den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit gefunden haben.
Erhalten die Gemeinden, wenn ein Endlager bei Ihnen entsteht, eine Entschädigung?
Im gesamten Standortauswahlverfahren ist eine umfassende Beteiligung der Bürger*innen vorgesehen. In den sogenannten Regionalkonferenzen werden solche Fragen dann direkt mit den betroffenen Menschen in den Standortregionen diskutiert. Zudem hat die BGE die Aufgabe, für alle Regionen, die für den Standort des Endlagers in die engere Auswahl kommen, sogenannte sozioökonomische Potenzialanalysen als Basis für genau diese Diskussionen zu erstellen.
Auch nach dem geplanten Atomausstieg 2022 werden sechs weitere deutsche Kernreaktoren in Betrieb sein – Ausbildungs- und Forschungsreaktoren, die nicht kommerziell genutzt werden. Einer davon ist der Ausbildungskernreaktor 2, kurz AKR-2, im Walther-Pauer-Bau auf dem Campus der TU Dresden. Fällt hier Müll an, wenn ja welcher und wie viel?
Atommüll wird auch weiterhin in kleinen Mengen genau durch solche Projekte entstehen. Und natürlich müssen diese Abfälle dann auch zwischen- und später endgelagert werden. Da die Projekte zur Forschung sehr unterschiedlich ausgerichtet sind, kann ich zu Menge und Art dieser Abfälle so ad hoc leider keine Einschätzung abgeben.
Das Interview führt Anika Schwalbe.
Das Gespräch entstand im Rahmen der Atomausstiegskampagne „Erneuerbar statt atomar“.
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