Energie-Kommune des Monats: Havelberg

April 2025

Havelberg ist kein Ort, der Schlagzeilen macht. Doch was Bürgermeister Mathias Bölt und seine Mitstreiter hier anschieben, könnte für viele Kommunen zum Vorbild werden. Zwischen klammen Kassen und großen Fragen wagt die kleine Stadt an der Mündung der Havel in die Elbe den Aufbruch in die Energiewende – mit Transparenz, Beteiligung und dem festen Glauben daran, dass Wandel vor Ort beginnt.

© Hansestadt HavelbergEs ist die Geschichte einer Kommune, die exemplarisch für viele in Deutschland steht. Idyllisch im Biosphärenreservat gelegen – geprägt von der Flusslandschaft von Havel und Elbe – will Bürgermeister Mathias Bölt die Hansestadt Havelberg zukunftssicher machen. Die knapp 6.500 Einwohner*innen zählende Kommune in Sachsen-Anhalt steht vor finanziellen Herausforderungen, denen sie angesichts der Masse an kommunalen Pflichtaufgaben und mangelndem Personal nur schwer gewachsen ist. Und genau dieser Umstand führt in Havelberg, wie auch in zahlreichen anderen Kommunen hierzulande, nicht selten dazu, dass der Wille, mit Erneuerbaren Energien ein neues Kapitel aufzuschlagen, eben nicht am Engagement und Einverständnis der Verantwortlichen oder Bürger*innen scheitert.

Doch wir würden eben nicht Havelberg als Energie-Kommune des Monats April auszeichnen, wenn die Kommune nicht versuchen würde, dennoch ihren Weg zu gehen. Ein Weg zu kommunaler Handlungsfähigkeit trotz leerer Kassen, schwieriger geografischer Voraussetzungen und eines Gegenspielers, der schwer zu fassen, aber ernst zu nehmen ist. Die Geschichte beginnt nicht mit Technik, sondern mit Vertrauen und Zutrauen in unsere Institutionen und in unsere Bürger*innen – wir brauchen wieder mehr davon.

© Stadtwerke HavelbergWarum Havelberg? Die Kommune befindet sich in vielerlei Hinsicht nicht mehr auf dem Trampelpfad zu mehr Erneuerbaren, sondern auf einem Kopfsteinpflaster. 2019 war der Strom der Havelberger Stadtwerke GmbH zu 60,3 Prozent erneuerbar. Hierbei spielt beispielsweise der Betrieb einer von drei Biogasanlagen im Havelberger Gemeindegebiet eine Rolle, die Strom und Wärme für das Nahwärmenetz liefert. 80 Hausanschlüsse sind angeschlossen. 53 Photovoltaik-Anlagen mit einer Leistung von 2.485 Kilowatt Peak (kWp) sind im Einheitsgebiet der Kommune zu finden. An das Einheitsgebiet Oberfeld grenzt ein PV-Park. „Wärmeüberkapazitäten im Sommer werden genutzt, um beispielsweise zur Erwärmung der Becken im Freibad Havelberg beizutragen“, so Bürgermeister Bölt. „Diese Projekte stehen exemplarisch für unser Bestreben, ökologische, wirtschaftliche und soziale Aspekte der Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen.“ E-Ladestationen für Fahrräder und Autos sind zu finden, Radwege und Radwanderwege sollen ausgebaut werden.

Was ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts für Havelberg bedeutet

Um nachhaltige Energieversorgung in Havelberg zu ermöglichen, wäre die Errichtung von Windenergieanlagen willkommen, doch das fehlende planungsrechtliche Fundament setzte hier Grenzen. Erst in jüngerer Zeit wurden die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um überhaupt über Windkraftnutzung in diesem Bereich nachdenken zu können. Hier spielt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende 2022 eine bedeutende Rolle. Dieses stufte das generelle Verbot zur Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von Windenergieanlagen im Wald im damaligen Thüringer Waldgesetz als nicht verfassungskonform ein:

„Die Landesgesetzgeber können Waldgebiete aufgrund ihrer Gesetzgebungskompetenz für Naturschutz und Landschaftspflege unter Schutz stellen, sofern diese Gebiete aufgrund ihrer ökologischen Funktion, ihrer Lage oder auch wegen ihrer Schönheit schutzwürdig und -bedürftig sind.“

Sachsen-Anhalt setzte im Sommer 2024 das Urteil des Bundesverfassungsgerichts um und ermöglicht nun den grundsätzlichen Bau von Windenergieanlagen im Wald, wenn letzterer nicht aufgrund der vom Gericht angegebenen Eigenschaften schützenswert ist.

Für Havelberg, wie auch für viele Privatwaldbesitzer, eröffnete dies nun neue Chancen, das Kopfsteinpflaster auf eine neue Ebene zu führen. Nördlich der Stadt könnten, wenn alle Prüfverfahren positiv ausgehen und eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorläge, bis 2030 Windenergie- und Photovoltaikanlagen in und um einen Wirtschaftswald entstehen. Also kein sehr alter, natürlich entstandener Wald. Bezüglich der im Wald entstehenden Anlagen werden Ausgleichflächen geschaffen. Zudem soll der Großteil des Wind- und PV-Parks auf Ackerfläche entstehen. Eine Änderung im Bundesnaturschutzgesetz zum Bau von Windenergieanlagen im Landschaftsschutzgebiet (Paragraf 26, Absatz 3, seit Februar 2023) ist hierfür die Grundlage. Diese Neuerungen erweitern den Spielraum erheblich.

Die neue Gesetzesänderung im Gepäck, wollte Bürgermeister Bölt zusammen mit den Stadtwerken und dem Windkraftplaner wpd etwas Positives anstoßen. Havelberg diskutiert nicht nur über Windenergieanlagen, es denkt weiter – und setzt auf Mitsprache, Naturverträglichkeit und soziale Rendite. So setzt er auf Einbindung der Bevölkerung, der Landwirt*innen und Stadträt*innen – und das zu einem Zeitpunkt, der vorbildlich ist. Nämlich bevor bereits Genehmigungen und Prüfverfahren abgeschlossen sind. Eine Herangehensweise, die alles andere als üblich ist.

Beteiligung und Gegenwind

Unsere Umfragen und Forschungsarbeiten haben bisher stets gezeigt, dass die möglichst frühe Einbindung der Bürger*innen sowie der politischen und wirtschaftlichen Akteur*innen dringend erforderlich ist, um das Vertrauen in die Verfahren und Institutionen zu stärken und demokratische Mehrheitsentscheidungen herbeizuführen. Tatsächlich geht es gerade bei den Bürger*innen nicht nur darum, eine finanzielle Beteiligung zu ermöglichen. Dies ist nur ein Aspekt der Beteiligung. Vielmehr gilt es, die Bevölkerung abzuholen, sie in rechtsstaatliche Prozesse einzubinden, um eben ein Projekt für die Kommune zu schaffen. „Es ist in der Tat herausfordernd, wenn trotz intensiver Bürgerbeteiligung und transparenter Entscheidungsprozesse Kritik laut wird, wir würden nicht im Interesse der Bürger*innen oder der Natur handeln. Solche Rückmeldungen nehmen wir ernst und nutzen sie als Ansporn, unsere Kommunikationsstrategien zu überdenken und den Dialog weiter zu intensivieren“, so der Bürgermeister. Ein Projekt kann mehr als Energieversorgung sein. Es stärkt die oft gebeutelten Kassen der Gemeinde und kommt so direkt dem Wohlbefinden der Bürger*innen in ihrem Alltag zugute, kann günstige Energiepreise ermöglichen und neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnen.

In Havelberg ist eine Möglichkeit zur festverzinslichen finanziellen Beteiligung vorgesehen, ein Ökostromtarif über die Stadtwerke Havelberg geplant. Der Projektierer wpd würde an die Kommune eine freiwillige Kommunalabgabe nach Erneuerbarem Energien Gesetz zahlen. Mit jeder gebauten Windenergieanlage könnte sich durch Pachterträge das Haushaltsloch in der Gemeindekasse um 30.000 bis 100.000 Euro jährlich reduzieren lassen. Mit Blick auf die zunehmend eher wachsenden Aufgaben der Kommunen könnte die Windenergie so zu einem wichtigen Baustein zur Konsolidierung des Haushalts und anderer, wichtiger Vorhaben der Gemeinde werden.

© Hansestadt HavelbergAm 29. Mai 2024 fand eine erste Informationsveranstaltung zum „Energiepark Havelberg“ statt, die vorgestellte Präsentation ist öffentlich zugänglich (PDF-Download). Fragen beziehungsweise Unklarheiten zu Aspekten wie Infraschall, Vogelschlag, Insektensterben, Flächenverbrauch im Wald und Lärm werden hier adressiert. Der Mindestabstand von 1.000 Metern zu Häusern würde eingehalten. Der Stadtrat hat sich bereits für die Windenergie ausgesprochen, 90 Prozent der betroffenen Grundbesitzer*innen bisher auch.

Doch diese sehr offene und transparente Herangehensweise des Havelberger Bürgermeisters nutzen Gegner*innen des Projekts, um Misstrauen zu säen. Eine Bürger*innen-Initiative gegen Windenergie versuchte u. a. mit 1.000 Unterschriften einen Bürgerentscheid herbeizuführen und scheiterte, da dieser aufgrund formaler Fehler abgewiesen wurde. Gehört werden die Bedenken trotzdem, Gespräche finden weiterhin statt. „Widerstand gegen Vorgänge, die man für sich nicht akzeptieren kann oder möchte, finde ich völlig gerechtfertigt. Ich versuche, den Menschen weiterhin offen zu entgegnen und beantworte alle aufkommenden Fragen so gut es mir möglich ist“, zeigt Bölt dafür Verständnis. „Wichtig finde ich ist, dass wir am Ende dieser Reise weiterhin als Bürgerinnen und Bürger in unserer Gemeinde zusammenleben können.“

Haltung, Ausdauer und die Bereitschaft, einander zuzuhören

In der Zwischenzeit arbeiten der Bürgermeister der Kommune und die Stadtwerke daran, die Bürger*innen zu den Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten und Fragen zu beantworten. „Wir stehen noch ganz am Anfang. Aktuell sind wir damit befasst, zu überprüfen, welche Flächen im Suchgebiet sich aus natur- und artenschutzrechtlicher Sicht überhaupt für die Errichtung von Windkraft- und PV-Anlagen eignen. Das machen wir aber natürlich nicht selbst. Vielmehr sind hier unabhängige Planungsbüros tätig, die ihre Ergebnisse in Umweltgutachten zusammenfassen“, heißt es in einem Flyer der Stadtwerke. Und weiter: „Neben den baurechtlichen Voraussetzungen müssen umfangreiche Genehmigungsverfahren durchlaufen werden. Dabei werden unsere Vorstellungen von den zuständigen Behörden geprüft. Schenken Sie uns bitte das Vertrauen, dass wir den Energiepark zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger, der Stadt Havelberg und der Region entwickeln werden.“

Schulen, Kitas und Fledermäuse: Havelberg denkt Klimaschutz ganzheitlich – mit Projekten, die schon bei den Jüngsten ansetzen. Manchmal beginnt Zukunft leise. Nicht mit großen Reden oder millionenschweren Förderprogrammen, sondern mit Gesprächen in Turnhallen, mit Fragen auch aufgeregter Bürger*innen und einem Bürgermeister, der nicht müde wird, immer wieder zu erklären. Havelberg zeigt, dass es nicht viel braucht, um den Wandel zu wagen – vor allem aber Haltung, Ausdauer und die Bereitschaft, einander zuzuhören.