Energie-Kommune des Monats: Oldenburg
November 2020
Im Nordwesten Deutschlands hat sich die kreisfreie Stadt Oldenburg in ihrer jüngeren Geschichte als innovativer Wirtschaftsstandort behauptet. Gleichzeitig steckt sich die Großstadt hohe Ziele beim Klimaschutz. Bis Ende 2020 sollen bis zu 35 Prozent der Emissionen pro Kopf verglichen mit 1990 eingespart werden. Die ehemalige Residenzstadt in Niedersachsen verzückt Anwohner*innen und Touristen*innen also nicht nur mit ihren weitläufigen Gartenanlagen und Kanälen, sondern beweist ebenso ökologische Weitsicht. „Klimaschutz hat insgesamt eine zentrale Bedeutung für die Stadt Oldenburg“, erklärt Reinhard Schenke, Pressesprecher der Stadt. Erst im vergangenen Jahr ist die Stadt mit dem European Energy Award für ihre Bemühungen ausgezeichnet worden. Dabei setzt Oldenburg und seine Partner besonders innovative Projekte um. Eines davon ist das smarte Nachbarschaftsquartier Fliegerhorst. Das Reallabor der Stadt soll als Blaupause für die Umsetzung der Energiewende durch Sektorenkopplung und smartes Wohnen dienen.
Mobile Klimaschutzschule Oldenburg: die Energiewende auf dem Lehrplan
Oldenburg selbst ist Standort für Unternehmen und Verbände, die sich für die Umsetzung der Energie- und Wärmewende einsetzten. Gebündelt wird dieses Wissen seit nunmehr 15 Jahren im Oldenburger Energiecluster e. V. (OLEC). Dieser bringt aktuell über 60 kleine und große Unternehmen, Universitäten sowie staatliche Institute zusammen, um den Austausch und Technologietransfer in der Energiewende zu beschleunigen. Die enge Verzahnung zwischen Stadt und engagierten Bürger*innen reicht heute bis in den Stadtrat. Hier haben Mitglieder*innen von Fridays for Future zusammen mit der Stadt 106 Maßnahmen zur Umsetzung der Energie- und Wärmewende in einem zentralen Workshop erarbeitet und im Stadtrat beschlossen. Zwar prallen hier „Welten aufeinander“, wie es Jürgen Krogman, Oberbürgermeister der Stadt, beschreibt, gleichzeitig wissen die Verantwortlichen aber, dass nur gemeinsam die Klimaziele der Stadt erreicht werden können. Auf einer Seite stehen die jungen Aktivisten*innen, die Druck auf die Politik ausüben, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Dem gegenüber steht der Stadtrat, der viele einzelne Maßnahmen miteinander vereinen und finanzieren muss. Derzeit werden einzelne Maßnahmen gemeinsam mit den Bürger*innen in Themenworkshop erarbeitet und so Kompromisse gefunden.
Weil die Energiewende ein Generationenprojekt ist, spielt die Klimaschutz-Bildung eine wichtige Rolle. Die „Mobile Klimaschutzschule Oldenburg“, ein Projekt des Regionalen Umweltbildungszentrum, erreicht auch die Kleinsten und bringt ihnen die Herausforderungen der menschengemachten Erderhitzung und die Notwendigkeit nachhaltiger Maßnahmen näher. Mit der "Sonnenwoche" bietet die Stadt die Chance für Lehrer*innen, im Rahmen einer Themenwoche den Schüler*innen Themen wie Photovoltaik und Solarthermie näherzubringen.
Siegeszug der Erneuerbaren Energien
Zwischen 1990 und 2015 gab es bereits einen rückläufigen Trend bei der Entwicklung energiebedingter Treibhausgasemissionen in Oldenburg. Hier nahm die Menge an ausgestoßenen Treibhausgasen von 1.226 Tausend Tonnen CO2-Äquivalent um 9,2 Prozent auf 1.128 Tausend CO2-Äquivalent ab. Zur gleichen Zeit wuchsen Bevölkerung sowie Wirtschaft beständig, sodass die Pro-Kopf-Abnahme mit 19 Prozent mehr als doppelt so groß war. Zum Vergleich: Während in Deutschland durchschnittlich pro Jahr 9,1 Tonnen CO2-Äquivalent pro Kopf emittiert werden, liegt der Durchschnitt in Oldenburg bei 6,9 Tonnen.
Gleichzeitig konnte die Stadt auch den Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromproduktion vervielfältigen. 2003 wurden in Oldenburg gerade einmal 0,6 Gigawattstunden (GWh) erneuerbarer Strom produziert. In 12 Jahren hat sich dieser Wert mit über 66 GWh mehr als verhundertfacht. Im selben Zeitraum ging der Anteil des durch fossile Energieträger produzierten Stroms um die Hälfte zurück.
Photovoltaik-Anlagen produzieren anteilsmäßig mit 24,6 GWh den meisten erneuerbaren Strom, aber auch die vier im Jahr 2014 in Betrieb genommenen Windenergieanlagen (WEA) von produzieren jährlich mehr als 20 GWh. Zusammen versorgen die 150 Meter hohen ENERCON-Anlagen 25.000 Oldenburger*innen mit erneuerbarem Strom. Zusätzlich zu Wind und Sonne werden in Oldenburg auch Biomasse mit 18,3 GWh und Wasserkraft mit 2, 4 GWh zu Stromerzeugung genutzt. In der Zukunft sieht die Stadt großes Potenzial in der Herstellung von Wasserstoff. Gerade die Windenergie spielt hier eine zentrale Rolle. „Zum einen verfügt der Nordwesten mit der Windkraft über die notwendigen Energiemengen, zum anderen ist die notwendige Infrastruktur, bestehen aus Rohrleitungen, Häfen oder Kavernenspeichern, weitgehen vorhanden. Jetzt geht es darum, die Marktdurchdringung von grünem Wasserstoff voranzubringen“, erklärt Pressesprecher Schenke. Das Vorhaben „Hyways for future“ entwickelt von der EWE Gasspeicher GmbH mit knapp 90 Partnern, soll bis 2024 als Aktivierungsprogramm für den Einsatz von grünem Wasserstoff in der Region dienen. Die Stadt unterstützt diese Entwicklung durch die Umstellung der Linienbusse auf Brennstoffzellen und die Ausweitung der passenden Tankstelleninfrastruktur.
Modernes Wohnen durch Sektorenkopplung
Unter dem Motto: „Energie von Nachbarn für Nachbarn“ wurde das besonders ambitionierte und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Energetisches Nachbarschaftsquartier Fliegerhorst Oldenburg“ entwickelt. Gemeinsam mit dem OLEC und weiteren Partner soll das Quartier Hellheide auf dem ehemaligen Fliegerhorst in den nächsten vier Jahren als „Smart-City“ neu konzipiert werden. Das Projekt profitiert von seiner Nähe zur Forschungs- und Industrielandschaft der Stadt. Komplexe Projekte – wie die Umsetzung einer urbanen Transformation des lokalen Energiesystems bis hin zum praktischen Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung – können so vor Ort bearbeitet werden. Ziel ist die Vernetzung individueller Erzeuger bzw. Verbraucher*innen lokal erzeugter Energie, deren Speicherung sowie Umwandlung. So soll die lokale Energieproduktion möglichst effizient genutzt werden.
Die Energieversorgung des Wohnprojekts soll erzeugerseitig voraussichtlich über eine Kombination aus PV-Anlagen, Blockheizkraftwerken, Wärmepumpen sowie Geothermie und Windenergie gedeckt werden. Der so produzierte Strom sowie die produzierte Wärme sollen dann gemeinsam im Wohnquartier verbraucht werden. Der Vorteil: Die lokale Nutzung schont die Umwelt, indem „Abfallenergie“ von Nachbar*innen genutzt werden kann. Der lokale Verbrauch wird so optimiert und das allgemeine Stromnetz entlastet. Dadurch steigt aber ebenso die Komplexität des Versorgungssystems, welches sich dynamisch Veränderungen anpassen muss. Die Lösung dieses Problems soll ein Quartier-Energiemanagementsystem bringen. Dieses überwacht die energetischen Zustände der Anlagen, soll aber auch auf äußere Einflüsse reagieren und damit helfen, das Gesamtsystem zu verbessern.
Bis Ende 2024 will das Wohnungsunternehmen GSG Oldenburg das Projekt in zwei Bauabschnitten mit rund 230 Wohnungen und weiteren Gemeinschaftsgebäuden wie einer Kindertagesstätte errichten. Die Umsetzung einer klimafreundlichen Energieversorgung wurde zuvor in einem Modell konzipiert. Neben der Nutzung verschiedener nachhaltiger Erzeugungstechnologien, die vom Projektpartner – dem Institut für vernetzte Energiesysteme – ermittelt wurden, spielt die Vernetzung und Regelung der Energie eine entscheidende Rolle. In einem „Dashboard“ soll der Erzeugungs- sowie Verbraucherstatus von der im Quartier erzeugten Energie dargestellt werden. Die so entstandene Energie-Community wird dadurch in die Lage versetzt, die erzeugte Energie möglichst kosten- und klimaschonend einzusetzen. Die Stadt vergleich den Zusammenhalt in einem solchen Quartier gerne mit einer klassischen Dorfgemeinschaft: „Alle kennen einander, tauschen sich aus, unterstützen sich gegenseitig – nur eben mit digitaler Unterstützung.“
Fotos: Stadt Oldenburg
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