Energie-Kommune des Monats: Greifswald
Juni 2025
Etwas außerhalb der Stadt, auf einem kleinen Hügel, der von Schafen bewohnt wird, fühlt man sich sofort an die Worte des Geschäftsführers der Stadtwerke Greifswald GmbH, Thomas Prauße erinnert: „Wir sind die Sonnenbank Deutschlands.“ Der Himmel ist weit, ohne ein Wölkchen, und die Intensität der Sonne ist beeindruckend. Der Blick auf Greifswald über Wiesen hinweg ist von Dunst begleitet. So ähnlich muss es der berühmte Sohn der Stadt, Caspar David Friedrich, gesehen haben, als er sein Werk „Wiesen bei Greifswald“ um 1821/22 geschaffen hat.
Die Solaranlage der Firma Carlim GmbH am Fuße des Hügels wird es damals jedoch nicht gegeben haben – den Hügel übrigens auch nicht. Aber dazu an anderer Stelle mehr.
Klimaarbeit über Stadt- und Landesgrenzen hinweg
Das vorpommersche Greifswald hat eine bewegte Geschichte hinter sich. 1250 erlangte die Stadt das Stadtrecht, bereits 1456 wurde die Universität gegründet, die auch heute über einen ausgezeichneten Ruf verfügt. In diesem Jahr feiert Greifswald sein 775-jähriges Bestehen. 184 Jahre davon gehörte es zu Schweden, 1815 fiel es an Preußen. Die Internationalität Greifswalds prägt die Stadt bis heute. Der aktuelle Oberbürgermeister der Universitäts- und Hansestadt, Dr. Stefan Fassbinder, ist sehr engagiert. 2023 erhielt er den World Mayor Award für seine Unterstützung und Zusammenarbeit mit Kommunen in der Ukraine, Polen und Brasilien. „Gemeinsam mit vielen seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger hat der Oberbürgermeister auch großzügige Hilfe für Flüchtlinge aus der kriegsgebeutelten Ukraine geleistet“, heißt es in der Begründung. Die Internationalität der Energie-Kommune des Monats Juni zeigt sich auch im Klimaschutz. Seit 2024 unterhält Greifswald mit der bosnisch-herzegowinischen Stadt Goražde im Rahmen unseres vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts „Energiewende Partnerstadt“ eine Klimapartnerschaft. Im Mai besuchte eine Delegation aus Goražde die Stadt.
Greifswald ist zudem Gründungsmitglied des „Konventes der Bürgermeister“ – ein europaweites Bündnis der im Klimaschutz engagierten Städte. Bereits im Mai 2007 verabschiedete die Bürgerschaft einstimmig ein 10-Punkte-Programm. Energieeffizienz von Gebäuden, Nutzung regenerativer Energien, Verkehrs- und Radverkehrsplanung, aber auch die Stärkung des Umweltbewusstseins in der Bevölkerung waren darin enthalten. 2008 wurde das Klimaschutzbündnis Greifswald gegründet – eine Kooperation lokaler Akteure wie etwa den Stadtwerken, der Uni und der Stadt. Damals lagen die CO2-Emissionen bei etwa 305.625 Tonnen. „Hand in Hand mit den Greifswalder Stadtwerken und den großen Greifswalder Wohnungsunternehmen schreiten wir bei der Wärmewende zielstrebig voran“, sagt Oberbürgermeister Dr. Fassbinder. „Unser Ziel, umfassende Klimaneutralität bis zum Jahr 2035 zu erreichen, bleibt dennoch eine große Herausforderung. Nicht nur für uns; die Voraussetzungen dafür müssen auch auf Bundesebene geschaffen werden.“
Innovatives Kraftwärmekopplungssystem
Besonders beeindruckend ist der Blick auf die Solarthermieanlage im Energiepark „Helmshäger Berg“ für die emissionsfreie Versorgung der Kommune. „Wir sind die Sonnenbank Deutschlands“, sagt der Geschäftsführer der Stadtwerke Greifswald GmbH, Thomas Prauße, bei einem Besuch der Greifswalder Stadtwerke. Sektorenkopplung spielt in Greifswald eine große Rolle. Mehr als 40 Millionen Euro werden in den Aufbau der nachhaltigen Wärme investiert. Dazu gehören die derzeit größte Solarthermieanlage Deutschlands (Inbetriebnahme 2022) mit 3.792 Kollektoren und einem Jahresertrag von ca. 8.000 Megawattstunden (MWh). Das entspricht dem jährlichen Wärmebedarf von 800 bis 1.000 Haushalten und spart jährlich 1800 Tonnen CO2.
Der Zeitplan war nicht nur herausfordernd, sondern auch beispielhaft. 30 Monate ging es um Genehmigungen und die Erfüllung von Umweltauflagen wie Ausgleichsflächen für Reptilien oder das Anpflanzen von frei zugänglichen Streuobstwiesen etc. Der Aufbau betrug lediglich vier Monate.
Zum „innovativen Kraftwärmekopplungssystem“ (iKWK) gehören neben der Solarthermieanlage ein Elektroheizkessel zur Umwandlung von perspektivisch regenerativen (Überschuss-) Strom in Wärme sowie ein Blockheizkraftwerk zum Erhalt der KWK-Leistung (thermische Leistung 4,6 Megawatt, elektrische Leistung 4,2 Megawatt). Zusätzlich gibt es am Standort einen Druckwärmespeicher sowie den etwa 5.500 m³ große atmosphärische Wärmespeicher. Dieser verfügt über eine Kapazität von 200 MWh bei einer Speichertemperatur von 98 Grad Celsius und kann im Sommer bis zu 30 Stunden Wärme für Greifswald zur Verfügung stellen bzw. Wärme für ein Wochenende – wodurch u.a. die KWK-Anlagen strompreisgeführt betrieben werden können. Im vergangenen Jahr wurden zur Steigerung der Wärmeeffizienz die zwei bestehenden Gasturbinen durch das effizientere Blockheizkraftwerk „Boddenluft“ (2. iKWK-System) ersetzt, das mit einer Großwärmepumpe kombiniert wird. Dadurch können jährlich weitere bis zu acht Millionen Kilowattstunden an emissionsfreie Wärme für Fernwärmeversorgung der Kommune genutzt werden. So können die Stadtwerke von Ostern bis Oktober klimaneutrale Wärme bereitstellen. Zusammen mit der BHKW-Anlage Kapaunenstraße in der Altstadt, welche mit Biomethan betrieben wird, beträgt der Anteil der erneuerbaren Fernwärmeerzeugung mittlerweile bis zu 20 Prozent der gesamten Fernwärmeerzeugung. Insgesamt können so derzeit etwa 46.500 Tonnen CO2 jährlich eingespart werden. Die im Energiepark befindliche Gasturbine ist H2-ready. Die Umgestaltung Lubmins als Hydrogen Hub spielt in der Zukunft der Greifswalder Wärmeversorgung eine große Rolle.
Kommunale Wärmeplanung
Das große Fernwärmenetz ist hinsichtlich der Wärmeplanung der Kommune ein wichtiger Baustein. Hierüber können, wenn der Anteil Erneuerbarer Energien bei der Erzeugung der Wärme weiter steigt, sehr viele Haushalte erreicht werden. 70 Prozent sind bereits angeschlossen. Die Theta Concepts GmbH aus Rostock beschäftigt sich mit der kommunalen Wärmeplanung Greifswalds. Die Fernwärme spielt auch hierbei eine Rolle, gerade mit Blick darauf, wie stark die Erneuerbaren weiter ausgebaut werden müssten, um die restlichen Anteile der Wärmeversorgung zu dekarbonisieren. Aber auch die Frage nach einem Anschluss noch nicht erfasster Gebiete in der Stadt, wie etwa der Obstbaumsiedlung, wird analysiert. Dabei wird die sogenannte „heat line density" bestimmt. Diese beschreibt, wie schnell sich eine Investition in den Ausbau zum Beispiel des Fernwärmenetzes amortisieren würde, weil Bedarf und Wärmeliniendichte entsprechend hoch sind. Ist die „heat line density“ wie bei der Obstbaumsiedlung, welche vorrangig durch Einfamilienhäuser geprägt ist, zu niedrig, lohnt sich der Ausbau des Netzes nicht. Vielmehr würden hier Wärmepumpen wie auch in dem einen oder anderen neu gebauten Wohngebiet sinnvoller sein.
Gern würde die Universitäts- und Hansestadt auch abgeregelten Strom von Windenergieanlagen nutzen, um die Kälte- und Wärmeversorgung nachhaltiger zu gestalten. Das lohnt sich derzeit jedoch leider nicht, so die Stadtwerke, da insbesondere die Netzentgelte und weitere Umlagen beim Nutzen dieses Überschussstroms zu hoch sind. Abgeregelter, also aufgrund der engen Netzkapazitäten nicht genutzter Strom, gilt nur so lange als abgeregelt, wie er nicht genutzt wird. In dem Moment, wo dieser Strom abgenommen wird, damit er nicht einfach verloren geht, gilt er gesetzlich nicht mehr als abgeregelt und unterliegt dann wiederum anderen steuerlichen Abgabeberechnungen.
Aus der Vergangenheit lernen
Zurück zum Hügel, zu dessen Füßen die Universitäts- und Hansestadt liegt. Es handelt sich hierbei nämlich nicht um eine natürliche Erhebung. Beim genaueren Hinsehen sieht man in regelmäßigen Abständen kleine Rohre, die aus dem Boden kommen. Tatsächlich stehen wir auf der ehemaligen Deponie der Kommune. Seit den 60er Jahren wurden hier Bauschutt, Asche, Schlacke und beispielsweise auch Sperr- und Hausmüll angehäuft. Alte Bilder lassen erahnen, wie es damals war, sich auch nur in der Nähe des Müllbergs zu befinden, geschweige denn auf ihm spazieren zu gehen. Fast zwei Millionen Tonnen Abfall auf einer Fläche von fast zwölf Hektar. 1996 wurde die Deponie geschlossen. Ein kompliziertes Abdichtungssystem aus Spezialvlies, Folie und Rekultivierungsboden verhindert die Emission aus der Deponie. Bäume oder tiefer wurzelnde Pflanzen sucht man hier vergebens. Diese würden die Schutzschicht durch ihre Wurzeln zerstören. 27 Gasbrunnen produzierten zudem seit 1999 über ein Blockheizkraftwerk aus dem Deponiegas Strom, der in das Stromnetz der Stadtwerke Greifswald eingespeist wird. Doch die anfänglich stündlich austretenden rund 200 Kubikmeter Gas sind so stark gesunken, dass sich heute eine Verstromung nicht mehr lohnt. In zwei bis drei Jahren soll die Deponie ausgegast sein. Vorschläge zur Nachnutzung des Hügels für die Bevölkerung gibt es bereits.
Von der Deponie aus kann man einen Blick auf die Greifswalder Moore werfen. Während die „Reetwiese“ entwässert ist, ist der zentrale Bereich im Moor „Ladebower Moor“ wieder vernässt. Ebenso die „Salzwiese Ladebow“. Beim „Polder Eisenhammer“ wird seit 2021 an der Renaturierung gearbeitet. Die Wiedervernässung der Moore als Kohlenstoffspeicher ist im Rahmen des Klimaschutzes ein oft vernachlässigter Aspekt. Die Moore binden fast ein Drittel des auf der Erdoberfläche gespeicherten Kohlenstoffs. Rund 70 Prozent der deutschen Moore sind entwässert und werden forst- oder landwirtschaftlich genutzt. Die Torfdegradation infolge der Entwässerung führt jedoch zu erheblichen Emissionen von Kohlendioxid. Trockengelegte Moorböden, die landwirtschaftlich genutzt werden, sind für etwa 80% der Emissionen aus Mooren verantwortlich. Die Entwässerung bewirkt, dass der im Torf gebundene Kohlenstoff mit Sauerstoff reagiert und in Form von CO2 und Lachgas freigesetzt wird. Das „Greifswald Moor Centrum“ setzt hier mit der „Michael Succow Stiftung“ nicht nur vor Ort, sondern weltweit Akzente. Die Stadt Greifswald hat eine eigene Moormanagerin. 2024 erhielt die Moorforscherin Dr. Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrum, den „Deutschen Umweltpreis“ der Deutschen Bundesstiftung Umwelt.
44 Prozent der täglichen Wege werden hier mit dem Fahrrad zurückgelegt
Beim Laufen durch die Stadt und den Gesprächen mit Zuständigen in der Verwaltung, wie etwa Michael Haufe und Dr. Juliane Brust-Möbius (Masterplanmanagement/Klimaschutz im Stadtbauamt, Abteilung Umwelt- und Naturschutz) und Bürger*innen, überkommt einen das Gefühl, dass Erneuerbare Energien und Klimaschutz bzw. die Bewahrung der Natur und Heimat stets bei Entscheidungen mitgedacht werden. So auch im Verkehr – 2008 der größte Sektor hinsichtlich der Emissionen. Das hat sich deutlich geändert. Greifswald ist quasi hidden bike champion. „Im Bereich der Fahrrad-Mobilität setzt Greifswald Maßstäbe. 44 Prozent der täglichen Wege werden hier mit dem Fahrrad zurückgelegt, von den knapp 10.000 Studierenden sogar über 90 Prozent“, betont Oberbürgermeister Dr. Fassbinder. „Greifswald ist eine Stadt der kurzen Wege – und am schnellsten ist man tatsächlich mit dem Rad. Das wissen schon die Kinder - so fuhren beim STADTRADELN 2025 die besten 4 Greifswalder Schulen insgesamt beachtliche 150.000 Kilometer.“ Das Radwegenetz ist sehr gut ausgebaut, mit dem StadtRad Greifswald können auch Touristen Fahrräder nutzen oder Bürger*innen, die vielleicht vormittags mit den Öffentlichen unterwegs waren und am Nachmittag aufs Fahrrad umsteigen möchten.
Die klassischen Fahrzeuge im Stadtbusverkehr sind Biomethan-betriebene Busse. Der Fuhrpark der Stadtwerke ist zur Hälfte elektrisch. Rund 40 öffentliche Ladestationen gibt es in der Stadt. Acht davon als Schnellladesäulen. Hier soll in den kommenden Jahren noch stärker ausgebaut werden.
Kräfte bündeln
Energieeffizienz und Nachhaltigkeit spielen auch im Bereich des Bauens eine große Rolle. Seit dem Bürgerschaftsbeschluss zum „Nachhaltigen und wirtschaftlichen Bauen“ im Jahr 2012 werden alle kommunalen Neubau- und Sanierungsvorhaben entsprechend den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGBNB) errichtet. Darunter die sanierte und erweiterte Käthe-Kollwitz-Schule. „Für den Neubau der Käthe-Kollwitz-Schule wurden 40 Nachhaltigkeitskriterien vorgegeben“, heißt es in der Information zur DGNB-Zertifizierung. „Durch die bedachte Auswahl umweltverträglicher, beständiger, größtenteils recycelbarer Baustoffe konnten die gebäudebedingten Emissionen stark reduziert werden, was durch eine positive Ökobilanz ausgewiesen wird. (…) „Positiv wurden besonders die für das Gebäude ermittelten geringen Ressourcenverbräuche (Energie, Wasser etc.) als ein Ergebnis der komplexen, lebenszyklusorientierten Planung bewertet. Die Photovoltaikanlage auf dem Dach sorgt für eine anteilige Deckung des Strombedarfs.“ Nachhaltiges Planen und Bauen sei nur bedingt mit Mehrkosten verbunden, durch die ganzheitliche Betrachtung des geplanten Objektes werden die Lebenszykluskosten, zu denen u.a. Energieverbräuche aber auch Renovierungs- und Unterhaltungskosten gehören, reduziert. Nur durch die Berücksichtigung in der Phase des Projektentwurfes und der planerischen Ausarbeitung können die größten Effekte im Sinne der Wirtschaftlichkeit erzielt werden. Ein weiteres DGNB-Projekt ist die Gesamtschule „Erwin Fischer“.
So vielfältig wie die Geschichte der Universitäts- und Hansestadt, so vielfältig ist auch das Klimaengagement. Stadt, Bürger*innen, Wirtschaft und Universität agieren in sämtlichen nur denkbaren Feldern des Klimaschutzes und des Ausbaus der Erneuerbaren Energien. Ein wunderbares Beispiel, dem es zu folgen lohnt.
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