Energie-Kommune des Monats: Chemnitz

August 2024

Foto: Gunnar Kaplick/unsplash.com

Im Südwesten Sachsens liegt das ehemalige Zentrum der Textilindustrie. Heute ist Chemnitz als drittgrößte Stadt des Bundeslandes mit seinen über 247.000 Einwohner*innen ein bedeutender Standort für die Automobilindustrie und den Maschinenbau. Anfang des Jahres ging das letzte Kohlekraftwerk der Stadt vom Netz. Seitdem sorgen zwei Motorenheizkraftwerke für Wärme und Strom. Sie können Erdgas, Biogas, synthetisches Gas und bis zu 20 Prozent Wasserstoff im Gasgemisch verbrennen. Zukünftige Motorengenerationen sollen dann bis zu 100 Prozent Wasserstoff verbrennen können. Neben der Industrie blickt die Energie-Kommune des Monats August auch auf ein reiches kulturelles Erbe. Kultur und Industrie erscheinen zunächst gern fremd, doch weit gefehlt. Sie bedingen und befruchten einander. Die Stadt Chemnitz steht dafür. 2025 präsentiert sie sich als Kulturhauptstadt Europas.

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien kann diese Verknüpfung vorantreiben, und so entwickelte die Kommune 2019 ein Klimaschutzteilkonzept und schrieb 2023 das Integrierte Klimaschutzkonzept fort: 2040 will die Stadt klimaneutral sein. 2022 lag die installierte Leistung im Bereich Strom im Stadtgebiet bei 86,5 Megawatt (MW). Besonders im Bereich der Solarenergie wurde in Chemnitz in den vergangenen fünf Jahren viel vorangetrieben. Über 65 Prozent der installierten Leistung bei den Erneuerbaren Energien (2022: 70 MW) gingen auf Photovoltaik zurück. Gefolgt von Windenergie mit 13,1 Prozent. Vor zwei Jahren wurde Chemnitz zur Solarhauptstadt 2022 gekürt: Mit 0,29 Megawatt pro 1.000 Einwohner*innen installierter Solarleistung, gefolgt von Erfurt (0,27), Halle (0,26) und Münster (0,25). Sowohl Privatanlagen als auch Anlagen auf städtischen Gebäuden tragen dazu bei. Da wundert es nicht, dass die Kommune Gründungsmitglied des „Europäischen Netzwerks für Kreative Dachnutzungen“ ist, gefördert durch das Programm „Kreatives Europa“. Zusammen mit Städten wie Amsterdam, Antwerpen, Barcelona, Belfast, Faro, Göteborg, Nikosia und Rotterdam will das Netzwerk Dachlandschaften entwickeln. Dachkunst, Cafés oder auch Dachgärten als Klimaanpassungsmaßnahmen spielen neben Photovoltaik eine große Rolle.

Foto: Stadt Chemnitz / Dirk HanusFür die Aufnahme regenerativ erzeugten Stroms bedarf es flexibler Systeme. Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme seit 2017 betreibt der Energieversorger „eins energie in sachsen“ einen Batteriespeicher mit einer Kapazität von ca. 16 MW (ca. 18.000 Autostarterbatterien) und sichert damit die regionale Stromqualität. Durch den Batteriespeicher werden jährlich rund 46.000 Tonnen Kohlendioxid eingespart.

Zehn Prozent des städtischen Strombedarfs werden derzeit von Erneuerbaren erzeugt, doppelt so viel wie 2013.

Die Stadt beteiligt sich am European Energy Award (EEA), dem europäischen Zertifizierungsverfahren für die Klimaschutzarbeit einer Kommune. Hierbei geht es darum, in allen Bereichen des kommunalen Handelns Energie einzusparen oder diese effizient zu nutzen und gleichzeitig die Erneuerbaren Energien auszubauen. Alle vier Jahre erfolgt eine Überprüfung und Bewertung. Erreicht eine Kommune 50 Prozent der möglichen Punkte, wird der European Energy Award verliehen, ab 75 Prozent der European Energy Award in Gold. Seit 2015 kann die Stadt Chemnitz den erreichten Goldstatus halten. Die Klimapolitik der Stadtverwaltung Chemnitz, der kommunalen Unternehmen sowie der Netzwerkpartner wurden bei dem letzten Audit 2023 mit 78,2 Prozent bereits zum dritten Mal in Folge mit dem (EEA) ausgezeichnet.

Wärmewende im Quartier – ohne Mieterhöhung

Foto: Stadt Chemnitz / Dirk Hanus

Im Bereich der Wärme sind es sechs Prozent, wobei Holz und Pellets den größten Anteil ausmachen (2020: 96 Gigawattstunden). Umgebungswärme (24 Prozent) und Solarthermie (13 Prozent) tragen ebenfalls dazu bei. Schauen wir hierzu auf das Gründerzeitquartier Brühl. Im Zuge einer Aufwertungsstrategie des Brühls wurde mit der TU Chemnitz, eins energie in sachsen“ sowie dem Netzbetreiber „inetz“ ein energetisches Quartierskonzept erarbeitet. Dabei ging es um die technische Modernisierung und Erweiterung des vorhandenen Fernwärmenetzes sowie den Einsatz von Solarthermieanlagen und eines Wärmespeichers. 2016 wurden das 1.800 m2 umfassende Solarthermiefeld und ein solarer Wärmespeicher in unmittelbarer Nähe zum Brühl in Betrieb genommen. Schafe finden dort zwischen Solarpanelen Schatten und halten den Grünwuchs kurz, sodass der Einsatz von Maschinen nicht notwendig ist. Die Solaranlagen liegen an einem Umweltlehrpfad, der von Familien gern genutzt wird. Kinder erleben so Tiere und Technik vereint inmitten der Stadt. In der Solarthermieanlage wird Wasser durch Solarenergie erhitzt, welches je nach aktueller Wärmenachfrage in das Quartiers-Fernwärmenetz eingespeist oder dem 1.000 Kubikmeter großen Wärmespeicher zugeführt wird. Mehr als vier Kilometer Wärmeleitungen führen zu den Haushalten im Brühl. Das Wärmenetz wurde 2018 fertiggestellt. 2022 war der Anschluss der Haushalte im Quartier schließlich komplett abgeschlossen. Um eine klimaneutrale Wärmeversorgung mit Wärme aus Solarthermieanlagen zu ermöglichen, wurde ein Niedertemperaturnetz aufgebaut, welches vom restlichen Fernwärmenetz entkoppelt ist. Das sogenannte LowEx-Fernwärmenetz kann bereits mit Temperaturen von 70 Grad Celsius im Sommer und 80 Grad Celsius im Winter betrieben werden. Mit dem Einsatz eines intelligenten Energieverbrauchsteuerungssystems, der Smart Grid Wärme, wird zudem die Funktion des Wärmesystems gemessen und effizient angepasst.

Auch die Menschen im Brühl profitieren auf verschiedene Weisen von der klimafreundlichen Wärmeversorgung. Grit Stillger, Abteilungsleiterin Stadterneuerung im Stadtplanungsamt Chemnitz erklärt: „Die Fernwärme in Chemnitz ist seit Jahrzehnten eine verlässliche Quelle für angenehm warmes Wohnen in kalten Jahreszeiten.“ Dabei wird mit dem neuen Niedertemperaturnetz am Brühl genau die Wärme geliefert, die gebraucht wird, ohne Verluste und auch noch zu einem großen Teil von der Sonne gespeist. Dieses Konzept und seine schnelle Umsetzung sind deshalb von den Eigentümern und auch den Bewohnern im Quartier gut angenommen worden. Nach anfänglicher Skepsis dem Neuen gegenüber sorgten eine gute Kommunikation, die Förderung von Anschlusskosten und das lebenslange Serviceversprechen für breite Zustimmung. Mietsteigerungen durch diese Investitionen konnten vermieden und Betriebskosten gesenkt werden.

Die Sanierungsbedarfe im Brühl, die zu hohen Leerständen geführt hatten, konnten behoben werden und das Quartier konnte an Attraktivität gewinnen. Als erfolgreiches Beispiel für die Umsetzung der Wärmewende wird der Ansatz nun auch auf andere Quartiere ausgeweitet und in die Kommunale Wärmeplanung aufgenommen. „Der Brühl in Chemnitz hat mit einem neuen Niedertemperatur-Fernwärmenetz (LowEx) und der energetischen Sanierung des Gründerzeitquartiers eine Beispielrolle für eine ökologische, sozialverträgliche und nachhaltige Energieversorgung eingenommen“, betont Grit Stillger.

Das Windkraftpotenzial

Im Januar dieses Jahres veröffentlichte das Umweltamt der Stadt Chemnitz Daten zum Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen. Der Gesamtenergieverbrauch liegt bei 3.309 Gigawattstunden jährlich (2022) ohne Verkehr. Neben der verbesserten Nutzung von Rest- und Bioabfall wird auch der „zügige“ Ausbau von Wind- und Solarenergie angegeben. Derzeit plant das Projektentwicklungsunternehmen JUWI am Spitzberg den Windpark Chemnitz-Altenhain, der zukünftig mit drei Windenergieanlagen und einer Leistung von je 6,8 Megawatt 15.600 Haushalte mit erneuerbarem Strom versorgen könnte.

Im Nordwesten der Energie-Kommune des Monats im Ortsteil Rabenstein befinden sich sieben Windenergieanlagen. Vier davon werden von „eins energie in sachsen“ betrieben, zwei weitere sollen nun folgen. Hierfür stimmte der Stadtrat sogar der Unterschreitung des Mindestabstandes von 1.000 Metern zur Wohnbebauung zu. Damit sollen jeweils 7 MW Leistung hinzukommen. Die Idee ist, damit das Vitesco-Werk in Limbach-Oberfrohna mit Strom zu versorgen, das mit dem Strom grünen Wasserstoff herstellt.

Power-to-X

Im Hinblick auf die Erreichung der Klimaneutralität spielt die Dekarbonisierung der Industrie für Chemnitz eine tragende Rolle. Ein wesentlicher Baustein dafür ist grüner Wasserstoff. Seit fast zehn Jahren setzen sich Forschungseinrichtungen und Wirtschaft hier mit der Entwicklung von grünen Wasserstofftechnologien und der industriellen Fertigung von Brennstoffzellen auseinander. Im Zuge dessen wurde 2017 das Wasserstoffcluster „HZwo e. V.“ gegründet, Träger des gleichnamigen sächsischen Innovationsclusters „Wasserstoffland Sachsen“.

Foto: Stadt Chemnitz / Dirk Hanus Von 08/21 bis 12/22 förderte der Freistaat Sachsen das Projekt „Wasserstoff-Technologie RegionChemnitz“, womit der HZwo e. V. befähigt wurde, die Akteure der Region Südwestsachsen zum Thema Wasserstoff abzuholen und zu vernetzen. Arbeitskreise zum Aufbau einer Wasserstoffwertschöpfungskette von der Erzeugung über die Speicherung bis hin zur Anwendung wurden gebildet und durchgeführt. Gemeinsam hat man eine Bewerbung der Stadt Chemnitz für die „HyExperts“-Förderung ermöglicht. Der Antrag wurde erfolgreich bewilligt und die Stadt Chemnitz konnte für die gesamte Region eine Detailstudie zur H2-Projekteentwicklung im Wert von 400.000 Euro beauftragen. Das HyExperts-Projekt wurde vom 07/22 bis 09/23 durchgeführt. Die Ergebnisse finden Sie unter https://hzwo.eu/project/hyexperts-chemnitz/.

Von Mai 2022 bis zum Sommer 2023 förderte das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr das Projekt „HIC Start“. Hierbei erarbeitete der HZwo e. V. die Entwicklung des „HIC Hydrogen Innovation Center“ in Chemnitz, welches als industrielle Forschungs-, Test- und Zertifizierungseinrichtung ein Standort des Innovations- und Technologiezentrums für Wasserstoff (ITZ H2) Chemnitz werden soll: „Startups, kleine und mittelständische Unternehmen, Automobilzulieferer und Industrieunternehmen aus ganz Deutschland sollen im HIC die Möglichkeit erhalten, ihre Innovationen zu testen, zu zertifizieren und neue Standards für den Weltmarkt zu entwickeln“, beschreibt das Wasserstoffcluster HZwo e. V. die Idee dahinter.

Ein weiteres Projekt der zahlreichen Cluster- und Leuchtturmprojekte der Stadt rund um Wasserstoff ist „Clean Energy City“, das im Frühjahr 2022 abgeschlossen wurde. Ziel war die Erprobung von H2-Technologien in der Sektorenkopplung und die Erweiterung der Wasserstoff-Forschungsinfrastrukturen der TU Chemnitz (6 Millionen Euro).

Um so überraschender war in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass Chemnitz im geplanten bundesweiten Wasserstoffkernnetz nicht als Anschluss berücksichtigt wurde. Die Stadt solle über das Verteilnetz angeschlossen werden. Für die Ziele der Kommune reicht das jedoch nicht. Im Januar dieses Jahres startete deshalb das „Wasserstoffbündnis Region Chemnitz“, bestehend aus der Stadt Chemnitz, dem HZwo e. V., der IHK Chemnitz, eins energie in sachsen und der inetz GmbH sowie mehreren Industrieunternehmen, Stadtwerken und dem Landkreis Mittelsachsen, um sicherzustellen, dass die Region an das Wasserstoffkernnetz angebunden wird. Erst im August forderte „eins energie in sachsen“ erneut den Anschluss.Foto: Stadt Chemnitz / Dirk Hanus

Mobilität mit und ohne Wasserstoff

Gleichzeitig geht die Forschung weiter. So ist die Professur „Alternative Fahrzeugantriebe“ der TU Chemnitz Teil des sächsischen Konsortiums für das vom Bundesministerium für Verkehr und Digitales im Rahmen des „Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie Phase 2“ geförderte Projekt „HyTraGen“, das 2026 Europas erste wasserstoffbetriebene Straßenbahn in Görlitz auf die Schiene bringen will.

Das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU arbeitet mit WätaS Wärmetauscher Sachsen GmbH (Olbernhau), 1to1design (Prag), Czech Technical University (ČVUT, Prag) und ÚJV Řež (Husinec) in der Zwischenzeit an einem Wasserstoff-Motorrad, das bis Ende 2025 das erste Mal auf Straßen getestet werden soll.

Das größte Verkehrsunternehmen der Stadt Chemnitz, die CVAG, lässt die Straßenbahnen der Stadt seit 2017 mit umweltfreundlichem Strom fahren. Zudem fahren 15 Omnibusse mit Diesel-Hybridtechnologie (142,5 Tonnen CO2-Minderung) und 30 Biogas-Hybridbusse (1.271 Tonnen CO2-Einsparung) dank einer 70-prozentigen Förderung aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) im Stadtgebiet Chemnitz. Zwei Wasserstoffbusse sind geplant.

Nachhaltige Mobilität im Individualverkehr hat die Energie-Kommune des Monats ebenfalls im Blick. „Neues urbanes Mobilitätsbewusstsein in Chemnitz“ (NUMIC) ist das Stichwort. Teil dessen war das zwischen 2019 und 2022 umgesetzte Projekt zur Planung einer Modellroute für den Rad- und Fußverkehr mit den Bürger*innen der Stadt. Sowohl bei der Auswahl einer von drei möglichen Wegeführungen für die Modellroute als auch bei der Verbesserung dieser wurden die Einwohner*innen mitgenommen. Eine Website, Postwurfsendungen und Aktivitäten unter freien Himmel (Corona) sind nur ein paar der eingesetzten Beteiligungsformate. Eine App ermöglichte es, Daten von Interessierten zur Auswertung der Nutzung der Route und anderer Wege zu sammeln und auch Feedback zur Strecke einzuholen. Selbst die Beteiligung an der Umgestaltung bestimmter Brachflächen entlang der Route wurde angestrebt und von vielen dankbar angenommen. Bis 30. Mai 2025 läuft nun das Projekt NUMIC 2.0. Hierbei geht es um die Entwicklung verschiedener Beteiligungsformate für weitere Verkehrsprojekte der Stadt.

Die Auszeichnung zur Energie-Kommune des Monats steht unter der Schirmherrschaft des BMWKBundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.