"Die Bevölkerung sollte die Möglichkeit haben, die Energiewende bewusst mitzugestalten."

Heike Winkler ist seit über 11 Jahren Journalistin und PR-Managerin in der Offshore-Windindustrie und hat über sechs Jahre die Unternehmenskommunikation von AREVA Wind geleitet. Seit Juni 2019 ist sie Interim-Geschäftsführerin des WAB e.V. in Bremerhaven. Wir haben mit ihr über die Krise der Windbranche, die Relevanz von guter Kommunikation für die Energiewende und Feminismus gesprochen.

Portraet_Heike_Winkler__Copyright_WAB_e.V.__Fotografin_Martina_Buchholz_72dpiFrau Winkler, die WAB ist ein Branchennetzwerk für die Windenergie und versteht sich als Schnittstelle von Politik und Wirtschaft. Worin genau besteht diese Netzwerkarbeit und was sind die größten Herausforderungen ihres Vereins aktuell?

Die WAB ist das Sprachrohr ihrer Mitglieder und artikuliert deren Interessen in Richtung Öffentlichkeit und Politik. Trotz des durch die Politik ausgerufenen Ziels von 65-Prozent Erneuerbarer Energien im Stromsektor wird die Offshore-Windbranche von der Politik in ihrem Wachstum eingeschränkt. Die Deckelung des Ausbaus und die damit einhergehenden unsicheren Rahmenbedingungen belasten die Offshore-Wertschöpfungskette und damit unsere Mitglieder. Wenn die Energiewende politisch gewollt ist, dann muss sie sinnvoll geplant werden. Hier fehlen ein Master-Plan und ein ambitionierter Ausbau der Erneuerbaren Energien entsprechend des jeweiligen Potenzials.

Die Windenergie-Branche steckt in einer Krise: Es herrscht ein Ausbaustopp wegen verlängerten oder neu aufgenommenen Genehmigungsverfahren, Klagen und Co. Was muss aus Ihrer Sicht jetzt passieren, dass der Ausbau wieder voran geht?

Wir fordern die Politik auf, kurzfristig den im Koalitionsvertrag zugesagten Offshore-Sonderbeitrag in Höhe von bis zu 2 GW nach der Sommerpause zeitnah zu vergeben. Mit einem langfristigen Ausbauziel von mindestens 20 GW Offshore-Wind bis 2030 hat die Industrie einen verlässlichen Pfad, damit sich Investitionen wieder lohnen. Berücksichtigt man zusätzliche Bedarfe aus Sektorkopplung und voranschreitender Elektrifizierung, ist dank der Power-to-X-Technologie sogar ein Zielwert von 35 Gigawatt denkbar, um das 65-Prozent-Ziel zu erreichen. Die Herausforderungen durch komplizierte Genehmigungsverfahren sind ein großes Thema für die Windenergie an Land. Hier bedarf es vereinfachte Strukturen und kontinuierliche Anforderungen, um Projekte umsetzen zu können. Die Hürden zum Bau von Onshore-Windanlagen sind stetig gewachsen und die Akzeptanz ist parallel nicht gestiegen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Ausbau der Windenergie an Land und auf See in Deutschland muss wieder ermöglicht werden. Politische Weichenstellungen haben den Ausbau der Windkraft drastisch ausgebremst. Die Windindustrie kann wieder ungebremst arbeiten, wenn Verfahren vereinfacht, ambitioniertere Ausbauziele ausgerufen und die Hürden jetzt verringert werden.

Welche Rolle spielt dabei Kommunikation: mit Bürger*innen, der Politik und anderen wichtigen Akteur*innen?

Kommunikation ist unser wichtigstes Instrument. Die Thematik der Energiewende ist relativ komplex. Daher sehen wir es auch als unsere Aufgabe, komplizierte Sachverhalte in Bezug auf die Windenergie einfach und verständlich zu erläutern und zu vermitteln. Die Bevölkerung sollte die Möglichkeit haben, die Energiewende bewusst mitzugestalten. Herausforderungen im Bereich der Akzeptanz bei Onshore-Wind sind auch ein Ergebnis des fehlenden Miteinanders in der Vergangenheit. Die aktuelle politische Stimmung in der Bevölkerung scheint die Energiewende mehr denn je zu wollen. Es sollte daher besser erklärt werden, welche Weichenstellungen für die Energiewende erforderlich sind und warum. Kommunikation kann ein Weg sein, um die Akzeptanz für den Ausbau bestimmter Erneuerbarer Energieträger zu erhöhen.

Der BEE hat kürzlich ein Szenario zur Umsetzung des 65-%-Ziels für Erneuerbare Energien im Jahr 2030 vorgestellt. Was glauben Sie, wo wir in elf Jahren stehen – gerade mit Blick auf die Windindustrie?

Konkret reden wir bei dem BEE-65%-Ziel von jährlich 4.700 MW Windenergie Onshore; 1.200 MW Offshore-Windkraft; 10.000 MW Photovoltaik; 600 MW Bioenergie; 50 MW Wasserkraft und 50 MW Geothermie. Grundsätzlich halte ich es für wichtig, auf die Notwendigkeit des stärkeren Ausbaus von Erneuerbaren Energien hinzuweisen. Allerdings bezweifle ich, dass es sich hier um eine realistische Einschätzung des umzusetzenden Potenzials des jeweiligen Energieträgers handelt. Mit sicheren Rahmenbedingungen im Rücken wird sich die Offshore-Windkraft zum Fundament der Energiewende entwickeln. Unter anderem durch Power-to-X-Technologien ist bis zum Jahr 2035 ein Ausbaupfad von 35 Gigawatt denkbar. Somit können tausende Arbeitsplätze in einer Wertschöpfungskette geschaffen werden, die sich über das gesamte Bundesgebiet erstreckt. Wenn ich ab dem Jahr 2020 rechne, sind das 10 Jahre bis 2030 und wenn ich von mindestens 30 GW bis dann ausgehe, dann sind es nicht 1,2 GW Windkraft auf See, sondern mindestens 3 GW. Berücksichtigt man den stetig wachsenden Strombedarf, müsste die Planung ohnehin entsprechend den Ausbaumöglichkeiten der jeweiligen Erneuerbaren Energie angepasst werden. So würden diese Technologien weder in ihrem Wachstum beschränkt, noch um potenzielle Exportmöglichkeiten gebracht.

Flugreisen sind zum Inbegriff und Symbolbild für klimaschädliches Verhalten geworden. Wie stehen Sie zur allgemeinen Forderungen nach (mehr) Eigenverantwortung von Bürger*innen?

Die Eigenverantwortung ist plausibler für die Bevölkerung, wenn sie Teil eines umfassenden Energiewendeplans ist. Bisher ist die politische Weichenstellung jedoch unzureichend, wenn wir z.B. den Netzausbau, die CO2-Bepreisung und die Umstellung energieintensiver Unternehmen auf Erneuerbare Energien betrachten. Auch die Bedeutung des beschleunigten Netzausbaus steht aktuell im Schatten der Akzeptanzdiskussion um den Netzausbau. Ich bezweifle, dass die anstehende CO2-Bepreisung zu einer wachsenden Akzeptanz der Energiewende beitragen wird. Hier ist öffentliche, auch politisch öffentliche Aufklärung erforderlich, die nicht allein von Vereinen, Verbänden und Fridays for Future getragen werden kann. Eigenverantwortung erachte ich generell als sinnvoll, allerdings kann diese nicht verlangsamte politische Entscheidungen kompensieren. Solange energiepolitisch keine umfassenden Planungen vorhanden sind, kann auch schlecht der Einzelne, die Einzelne an seine/ihre Verantwortung erinnert werden.

Sie sind im Beirat der Women of Wind Energy – ein Netzwerk, das die (wenigen) Frauen der Branche für Austausch und Kooperation zusammenbringt. Welche Ziele verfolgt das Netzwerk und wie erfolgreich sind Sie damit?

Women of Wind Energy möchte als Bundesverband einen Beitrag dazu leisten, dass Unternehmen, Verbände und Forschungseinrichtungen der Windindustrie als attraktive Arbeitgeber für beide Geschlechter gelten, damit auch in Zukunft qualifizierte und motivierte Menschen ihre Arbeitskraft der Windbranche zur Verfügung stellen und somit die Energiewende langfristig erfolgreich gestalten. Unser Ziel ist es, Frauen in der Windenergie mit anderen Frauennetzwerken, auch außerhalb der Branche, zu verbinden sowie die Erhöhung des Frauenanteils in der Windbranche in allen relevanten Bereichen, sowohl im kaufmännischen als auch im technischen Bereich. Zudem wollen wir den Frauenanteil in Führungspositionen bis hin zur obersten Hierarchiestufe erhöhen. Mit mittlerweile 14 Firmenmitgliedern und rund 200 Privatmitgliedern ist der Verein seit 2011 stetig gewachsen.

Aktuell habe ich mit sehr kompetenten Gründungsmitgliedern in diesem Jahr mit mEErFrauen e.V. einen weiteren Verein mit ähnlichen Zielen – regional auf die Küstenregion fokussiert – ins Leben gerufen. Dieses Netzwerk steckt noch in den Kinderschuhen. Wir wollen in der Region Bremen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein die Zusammenarbeit mit den Unternehmen, Akteuren und der Politik verbessern und zielführende Konzepte mit Wirtschaft (KMU), Forschung und Universitäten, unterstützt durch die Politik, realisieren. Mithilfe dieser Konzepte soll die Energiewende gleichberechtigter, innovativer und mit weiblichen Führungsmodellen und Synergien effizienter gemacht werden.

Was bedeutet Feminismus für Sie und was geben Sie jungen Frauen mit auf den Weg, die in die Branche einsteigen?

Unter Feminismus verstehe ich zunächst feministische Ziele wie Emanzipation, Geschlechtergerechtigkeit und die Abschaffung von Diskriminierung. Als Feministin setzt Frau sich solidarisch für andere Frauen ein. Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit stehen für mich im Vordergrund, aber auch Equal-Pay und ein höherer Anteil von Frauen in Fach- und Führungsrollen sind ganz praktische Inhalte.

Wer ist Ihr Vorbild und für wie wichtig halten Sie role models generell?

Es gibt viele Frauen in meiner Branche, die Vorbildcharakter haben. Ich habe in der Windindustrie bereits eine Vielzahl starker Frauen in Fach- und Führungspositionen kennenlernen dürfen. Natürlich ist das auch immer wieder Inspiration für die eigene berufliche Entwicklung und ich freue mich über jede Frau, die dazu kommt. Starke Frauen im Beruf können ein tolles Vorbild für junge Frauen sein: In einem innovativen Berufsfeld wie der Erneuerbare-Energien-Branche einschließlich der Windbranche kann sich dies positiv auf den Anteil von Frauen auswirken und damit nicht zuletzt die Entwicklung der Industrie rund um die Erneuerbaren Energien beschleunigen.

Dieser Artikel wurde im Renews, dem Newsletter der Agentur für Erneuerbare Energien, veröffentlicht.

Foto: WAB e.V./Martina Buchholz

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