"Um unsere Klimaziele zu erreichen, müssen wir alle Sektoren dekarbonisieren."
Susan Wilms ist seit 2021 in der Geschäftsführung des Instituts für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V. (IKEM) tätig. Mit ihr sprachen wir über ihre Tätigkeit im IKEM, die Sektorenkopplung und Frauen in Führungspositionen.
Frau Wilms, Sie sind studierte Juristin, waren in einer gemeinnützigen Stiftung tätig, dann beim IKEM wissenschaftliche Referentin und später Leiterin des Energierechtsteams. Seit einem Jahr sind Sie nun Mitglied der Geschäftsführung des IKEM. Was bedeutet Ihnen dieser Aufstieg?
Die offenen Strukturen am IKEM haben es mir von Anfang an ermöglicht, Verantwortung zu übernehmen und zunächst den Schritt in die Teamleitung und dann in die Geschäftsführung zu gehen. Diese Führungsposition hat spannende und herausfordernde Aufgaben mit sich gebracht und es war sicherlich eine Umstellung, nicht nur Ansprechpartnerin für das eigene Team, sondern für alle unsere rund 70 Mitarbeiter:innen zu sein. Gleichzeitig freue ich mich darüber, Dinge anzupacken und die Zukunft des IKEM mitgestalten zu können.
Noch immer sind Frauen in Führungspositionen die Ausnahme. Was raten Sie jungen Frauen, die ins Berufsleben starten und wie schätzen Sie die gesetzlichen Vorschriften (Frauenquote) ein?
Am IKEM sind sie nicht die Ausnahme. Unsere Bereichsleiter:innen sind mehrheitlich Frauen. Das Foto vom CEO-Lunch auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz hat uns allerdings wieder klar vor Augen geführt, dass die Gesellschaft insgesamt und die Arbeitswelt noch immer weit von gleichberechtigter Teilhabe von Frauen entfernt ist. Ich denke, dass wir ohne Instrumente wie die Frauenquote keine substanziellen Veränderungen sehen werden. Dafür sind die Strukturen und die Prozesse, die diese Männerdominanz bedingen, noch zu wirkmächtig. Aber es verändert sich etwas in den Köpfen. Viele junge Frauen streben Führungspositionen an. Sie trauen sich Verantwortung zu. Es ist wichtig, sich nicht durch neue und möglicherweise unkomfortable Situationen abschrecken zu lassen, sondern die Chance zu ergreifen, die Dinge und vor allem auch die Bedingungen der Position mitzugestalten.
Wie sind Sie zum Bereich Klimaschutz und Erneuerbare Energien gekommen?
Eigentlich wollte ich Journalistin werden, habe mich dann aber für ein Jurastudium entschieden. Recht habe ich immer als Vehikel verstanden, um Menschen zu Gerechtigkeit zu verhelfen. Deshalb habe ich mich während des Studiums und auch bei meinen ersten beruflichen Stationen mit dem Thema Menschenrechte und Nachhaltigkeit beschäftigt. Nach meiner Mitarbeit in einer gemeinnützigen Stiftung bins2016 bin ich zum IKEM gegangen, um wieder stärker wissenschaftlich zu arbeiten und mich gleichzeitig für ein Thema zu engagieren, mit dem ich mich identifizieren kann. Das Recht ist nicht starr und kann fortentwickelt werden. Und genau das macht das IKEM im Bereich Klimaschutz.
Das IKEM ist ein unabhängiges Forschungsinstitut, welches den Politik- sowie Rechtsrahmen von Klimaschutz, Energietransformation und Mobilitätswende erforscht und darauf aufbauend Handlungsempfehlungen für die Politik ausspricht. Wo sehen Sie den Schwerpunkt der Arbeit des IKEM?
Unser Standbein ist ganz klar die interdisziplinäre Forschung zu den von Ihnen bereits genannten Themen. Wir haben als An-Institut der Universität Greifswald selbstverständlich einen akademischen Anspruch – dem wir zum Beispiel mit der Betreuung von Doktorand:innen nachkommen – aber wir sitzen nicht im Elfenbeinturm. Unsere Projekte beschäftigen sich mit ganz praktischen rechtlichen und ökonomischen Herausforderungen von Energie- und Mobilitätswende. Wir sind Teil zahlreicher Reallabore und arbeiten dort mit unseren Praxispartnern an konkreten Lösungsvorschlägen, etwa wie das Energierecht angepasst werden kann, um den erneuerbaren Energien im Mittelpunkt unseres Energiesystems gerecht zu werden.
In denen von Ihnen geleiteten Projekten forschten Sie unter anderem zur Sektorenkopplung. Wo liegen hier die größten Chancen?
Um unsere Klimaziele zu erreichen, müssen wir alle Sektoren dekarbonisieren. Beim Strom sind wir mit einem wachsenden Anteil der Erneuerbaren schon auf einem guten Weg, doch die Energieversorgung von Gebäuden oder im Verkehr basiert immer noch weitgehend auf Erdöl und Erdgas. Wir müssen es also schaffen, die Erneuerbaren auch in diese Sektoren zu bekommen und dafür benötigen wir die Sektorenkopplung, zum Beispiel über Wärmepumpen oder Elektrolyseure, die Wasserstoff für den Schiffs- und Flugverkehr produzieren. Die Sektorenkopplung wird uns auch dabei helfen, die schwankende Erzeugungsleistung von Windenergie und Photovoltaik auszugleichen und mehr Flexibilität im Stromnetz bereitzustellen.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Obwohl die technischen Lösungen für die Sektorenkopplung vorliegen, werden solche Anlagen kaum eingesetzt. Grund dafür sind wirtschaftliche Herausforderungen, die vornehmlich von den bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen verursacht werden. Zu den Hemmnissen zählen die erheblichen Stromnebenkosten und die fehlende Möglichkeit zur Weitergabe der „grünen“ Eigenschaft des Stroms aus erneuerbaren Energien. Das IKEM hat sich zum Beispiel mit Vorschlägen zu Experimentierklauseln für die Sektorenkopplung für Reformen stark gemacht – es muss sich zeigen, ob die neue Bundesregierung hier handelt.
Wer oder was inspiriert Sie?
Die Wissenschaftler:innen vom Weltklimarat IPCC. Denn mit ihrer Arbeit zeigen sie, dass unabhängige Forschung und internationale Kooperation für den Klimaschutz unerlässlich sind und dass es sich lohnt, am Ball zu bleiben, um Veränderungen anzustoßen.
Das Interview führte Lisa Hottes.
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