"Jedem, der die Verlängerung von AKW-Laufzeiten fordert, muss klar sein, dass diese Anlagen erstmal ohne wichtige Prüfung weiterlaufen würden."

Frau Dr. Rohleder, Sie sind promovierte Juristin, waren viele Jahre in Ministerien beschäftigt (u.a. als Staatssekretärin im Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz) und sind seit diesem Jahr zur Staatssekretärin im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) ernannt worden.


Welche sind die Hauptthemen, mit denen Sie sich im BMUV beschäftigen?

Derzeit beschäftige ich mich intensiv mit der raschen und transparenten Aufklärung des Fischsterbens in der Oder. So eine Umweltkatastrophe derartigen Ausmaßes darf sich nicht wiederholen. Die Auswirkungen werden uns noch sehr lange beschäftigen, und wir müssen alles dafür tun, ohnehin geschwächte Ökosysteme vor dauerhaftem Schaden zu bewahren. Zusammen mit Polen haben wir eine Expertengruppe zur Ermittlung der Ursache eingerichtet, an der auch Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern beteiligt sind.


Mir liegen aber sehr viele weitere Themen am Herzen. Besonders wichtig ist mir der Verbraucherschutz. Hier geht es mir vor allem darum, Nachhaltigkeit und Verbraucherschutz zusammen zu denken. Ressourcen sind endlich. Daher müssen Produkte nachhaltig hergestellt werden, aber auch länger halten und besser reparierbar sein. Wichtig ist mir auch, Menschen mit niedrigem Einkommen in den Blick zu nehmen und z.B. die Schuldnerberatung zu stärken. Auch die Sicherheit und der Schutz von Verbraucher*innen bei ihren Online-Aktivitäten, sind mir sehr wichtig.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Als beamtete Staatssekretärin ist meine Aufgabe, zusammen mit Staatssekretär Stefan Tidow, dafür zu sorgen, dass die politischen Ziele des Ministeriums umgesetzt werden. Insofern spreche ich viel mit den Mitarbeitenden unseres Hauses dazu, welche Dinge dafür konkret zu veranlassen sind. Oft kommen auch die Mitarbeitenden unseres Hauses mit Vorschlägen auf mich zu. Dabei geht es mir vor allem darum Nachhaltigkeit, Umwelt- und Naturschutz und Verbraucherschutz zu stärken. Hierzu gehört auch, viele Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen anderer Ressorts zu führen, wenn unterschiedliche Auffassungen bestehen, um im Ergebnis zu einer gemeinsamen Linie zu kommen. Auch die Vertretung nach außen gehört zu meinen Aufgaben. Deshalb spreche ich oft auch bei öffentlichen Veranstaltungen, um unsere Politik zu erklären.

Im März dieses Jahres haben das BMUV und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) eine Prüfung des Weiterbetriebs von Atomkraftwerken in Deutschland aufgrund des Ukraine-Krieges veranlasst. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Atomkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen sei.

Können Sie die elementarsten Gründe nennen, weshalb eine Laufzeitverlängerung nicht empfehlenswert wäre?

Das Ergebnis der von Ihnen erwähnten Prüfung ist eindeutig: Der Beitrag einer AKW-Laufzeitverlängerung zur Energieversorgung wäre sehr begrenzt. Gleichzeitig hat die periodische Sicherheitsüberprüfung für die drei gegenwärtig noch am Netz befindlichen AKWs seit 13 Jahren nicht mehr stattgefunden. Diese wäre eigentlich 2019 fällig gewesen. Eine solche Sicherheitsüberprüfung hat den Zweck, mögliche Sicherheitsdefizite festzustellen. Der Gesetzgeber hatte hier nur deshalb eine Ausnahme zugelassen, weil der Leistungsbetrieb dieser AKWs am 31. Dezember dieses Jahres endet. Jedem, der die Verlängerung von AKW-Laufzeiten fordert, muss klar sein, dass diese Anlagen dann erstmal ohne diese wichtige Prüfung weiterlaufen würden.

Was entgegnen Sie den Menschen, die sich um die Versorgungssicherheit sorgen?

Die Bundesregierung hat zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Energieversorgung sicherzustellen. Zu nennen ist hier natürlich der massive Ankauf von Gas, aber auch Maßnahmen zum Energiesparen, was mir persönlich ganz besonders wichtig ist. Und es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, dass die erneuerbaren Energien schneller und naturverträglich ausgebaut werden. Hier ist in den letzten Jahren viel zu wenig passiert. Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums eine Sonderanalyse für den Winter 2022/2023 durchgeführt. Abgeschätzt wurden in diesem ersten sogenannten Stresstest mögliche Auswirkungen einer angespannten Lage der Energiemärkte auf den Stromsektor in Deutschland und Europa. Es wurde beispielsweise untersucht, wie viel Gasverbrauch zur Stromerzeugung sich einsparen ließe. Auf Basis der getroffenen Annahmen kommt die Sonderanalyse zu dem Ergebnis, dass ein sicherer Betrieb des Elektrizitätsversorgungsnetzes im Winter 2022/23 gewährleistet ist. Zusätzlich wird derzeit in einem zweiten Stresstest die Versorgungssicherheit im Stromsektor unter nochmals verschärften Annahmen geprüft. Dazu gehören zum Beispiel noch höhere Preisannahmen, ein noch gravierenderer Ausfall von Gaslieferungen, ein höherer Stromverbrauch aufgrund des verstärkten Einsatzes von Stromheizungen und ein stärkerer Ausfall von französischen Atomkraftwerken. Zudem nimmt dieser zweite Stresstest die Sondersituation im Süden Deutschlands noch stärker in den Blick, insbesondere in Bayern. Auch die Ergebnisse dieses zweiten Stresstests wird die Bundesregierung intensiv prüfen.

Laut einem Gutachten des TÜV-Süd könne der Betrieb in zwei AKWs in Bayern technisch problemlos fortgeführt werden. Das BMUV übte harsche Kritik an dieser Bewertung.

Können Sie kurz den Sachstand erläutern und erklären, wieso Sie die Einschätzung des TÜV-Süd nicht teilen?

Die Stellungnahme des TÜV Süd ist kein Gutachten. So benennt sie an entscheidenden Stellen nicht die Bewertungsmaßstäbe, enthält unzulässige Spekulationen und ist nicht schlüssig, nachvollziehbar und transparent. Sie erfüllt insgesamt nicht grundlegende Anforderungen an Gutachten und seriöse Sachverständigenaussagen und sollte deshalb nicht zur staatlichen Entscheidungsfindung herangezogen werden. Die periodische Sicherheitsüberprüfung hat seit 2009 nicht stattgefunden und daher kann auch niemand wissen, welche Ergebnisse diese hervorbringen würde.

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Themen des BMUV in dieser Legislaturperiode, für die es jetzt der richtigen Weichenstellung bedarf?

Die meisten Bürger treibt derzeit die Sorge um die Energiekrise um und auch die Frage, ob sie es sich noch leisten können, warm durch den Winter zu kommen. Viele spüren da einen großen Druck, und auch die Gefahr von Überschuldungen wächst. Daher braucht es weitere Hilfen für die Verbraucher*innen. Und diese sollten nicht mit der Gießkanne ausgeschüttet werden, sondern gezielt die Menschen erreichen, die dies auch brauchen, also Menschen mit kleinen bis mittleren Einkommen oder im Leistungsbezug.

Umwelt- und Verbraucherschutz sind häufig miteinander verbunden: ob es um Chemikalien in Kinderspielzeug oder Kosmetik oder um die Langlebigkeit und Reparierbarkeit von Produkten geht. Hier wollen wir mit Regelungen auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass Dinge besser reparierbar werden und Ressourcen geschont werden - ein Beispiel, wie Umwelt und Verbraucher*innen gleichzeitig profitieren können. Wir wollen die Grundlagen für eine ressourcenschonendere Wirtschaftsweise legen. Eine echte Kreislaufwirtschaft, die Wiederverwertung von Materialien, ist zentral, um die Klimakrise zu bewältigen.

Unsere natürlichen Lebensgrundlagen sind zusätzlich zur Klimakrise auch durch das Artenaussterben bedroht. Wir brauchen die Insekten für unsere Lebensmittel und auch die Lebewesen im Boden. Mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz wollen wir das Klima und die Natur und die Artenvielfalt gleichermaßen schützen. Darüber hinaus ist auch die Klimaanpassung ein zentrales Thema. Die Wasserstrategie wird hier zentral sein, aber auch die Unterstützung der Kommunen, z.B. mit dem Zentrum Klimaanpassung. 

Das Interview führte Lisa Hottes.