"Aus der Vogelperspektive betrachtet, machen wir Fortschritte"
Connie Hedegaard, ehemalige EU-Kommissarin für Klimaschutz und langjährige dänische Ministerin für Umwelt und Energie, ist heute Vorsitzende des dänischen Think Tanks Concito und engagiert sich weiterhin leidenschaftlich für die globale Klimapolitik. Sie spricht mit uns über die Herausforderungen der Klimadiplomatie, die Notwendigkeit sektorübergreifender Zusammenarbeit und die Bedeutung einer entschlossenen Umsetzung von Klimazielen.
Sie haben sich intensiv gegen Trumps klimapolitische Rückschritte auf nationaler und internationaler Ebene engagiert. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Zutaten für erfolgreiche Klimadiplomatie?
Connie Hedegaard: Beharrlichkeit! Dranbleiben! Es bedarf konkreter Beispiele und Fakten sowie eines aktualisierten Narrativs, in dem Klima, grüne Transformation, wirtschaftliches Wohlergehen, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit miteinander verwoben sind.
In Deutschland wird es zunehmend schwieriger, Menschen mit dem Thema Klimawandel zu erreichen, wenn sie nicht direkt betroffen sind. Ist das in Dänemark ähnlich? Wie gehen Sie mit dieser Herausforderung um?
Auch in Dänemark gibt es die Tendenz, dass sich die öffentliche Debatte stärker auf andere Themen konzentriert – wie Verteidigung, Sicherheit oder… Trump. Dennoch liegt laut aktuellen Umfragen der Klimawandel weiterhin an dritter Stelle auf der Prioritätenliste der Wähler*innen: Sicherheit, Gesundheit und dann Klima – deutlich vor der Wirtschaft, zum Beispiel. Trotzdem gibt es nach wie vor eine klare Mehrheit in der Bevölkerung, die ungeduldig darauf wartet, dass Behörden und Unternehmen ihre ambitionierten Klimaziele umsetzen. Es ist politisch kostspielig, beim Thema Umsetzung als zögerlich wahrgenommen zu werden. Zum Beispiel wurde letzten Sommer ein großer politischer Kompromiss zur Reduzierung der Klimaauswirkungen des Agrarsektors geschlossen – mit fast allen Parteien, dem Sektor selbst und dem Dänischen Naturschutzbund – das sogenannte Tripartite Agreement. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung fordert dessen Umsetzung. Es gibt allerdings auch zwei Parteien am rechten Rand, die versuchen, sich gegen diese Regulierung des Agrarsektors zu profilieren – Tendenzen zur Polarisierung sind also erkennbar. Dennoch arbeiten Parteien sowohl rechts als auch links der Mitte gemeinsam in der Opposition daran, die Regierung zur Umsetzung der Klima- und Energieziele zu drängen.
„Wir brauchen eine soziale Transformation“ – das hört man oft, wenn es um die Akzeptanz von Erneuerbaren hierzulande geht. Kennen Sie diese Debatten aus Dänemark? Welche Ansätze gibt es dort?
Auch in Dänemark gibt es Debatten rund um erneuerbare Energien – sei es bei Windkraftprojekten oder Solarfeldern. Anhörungsverfahren können dabei zu schwierigen und langwierigen Planungsprozessen führen. Allerdings wurden auch Maßnahmen eingeführt, etwa finanzielle Unterstützungen für Gemeinden, die neue Kapazitäten bei Erneuerbaren installieren. Die Projektträger haben zudem dazugelernt und bemühen sich, die lokale Bevölkerung frühzeitig in den Dialog einzubeziehen – noch bevor Projektvorschläge finalisiert sind. Derzeit sollen im Rahmen des Grünen Tripartite-Abkommens 21 lokale beziehungsweise regionale Einheiten einen umfassenden Dialog darüber beginnen, wie die Umsetzung in ihrem Gebiet konkret aussehen soll. Die Novo-Stiftung hat unter anderem zugesagt, diesen lokalen Dialog mit erheblichen Mitteln zu unterstützen. Mit anderen Worten: Der Fokus auf lokale Beteiligung und Dialog ist stark – aber was letztlich dabei herauskommt, wird sich noch zeigen, da der Prozess gerade erst begonnen hat.
Als EU-Kommissarin für Klimapolitik hatten Sie die schwierige Aufgabe, alle Mitgliedstaaten auf einen gemeinsamen Kurs zu bringen. Was war dabei die größte Herausforderung?
Da dies während der Finanzkrise geschah, bestand eine der größten Herausforderungen darin, den Regierungen und EU-Abgeordneten aufzuzeigen, welchen wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und beschäftigungspolitischen Nutzen beispielsweise mehr Energieunabhängigkeit für Europa bringt. (Energieeffizienz etwa kann viele Arbeitsplätze schaffen, die nicht ausgelagert werden können.) Selbst Mitgliedsstaaten wie Polen, die traditionell zurückhaltend in Sachen Klimapolitik waren, erkannten die Vorteile geringerer Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen – etwa aus Russland. Die Kombination aus CO₂-Ziel, Ausbauziel für Erneuerbare und Effizienzziel ermöglichte ein Paket, in dem alle Mitgliedstaaten Interessen wiederfanden. Schwieriger war es, alle auf ein hohes Ambitionsniveau zu bringen, solange unsere globalen Wettbewerber nicht ähnlich ehrgeizig waren. Ein spezielles EU-Problem ist, dass große Wirtschaftsverbände oft erst dann neue Initiativen unterstützen, wenn mindestens die Hälfte ihrer Mitglieder dahintersteht. Das führt leider dazu, dass wir häufig zu langsam handeln, obwohl Veränderung notwendig ist. Am Ende erkannten aber die vorausschauenderen Unternehmen Europas, dass sie ein Interesse an der langfristigen Transformation haben – und nicht nur an kurzfristigen Gewinnen. Die grüne Transformation als Treiber für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit war – und ist – eines der stärksten Argumente, um Dinge in Bewegung zu bringen.
In den letzten Jahren – auch dank Ihrer Arbeit – hat die EU sich ambitionierte Klimaziele gesetzt, mit Klimaneutralität bis 2050. Halten Sie diese Ziele für realistisch? Was sind die größten Risiken?
Das Risiko besteht darin, dass wir nicht schnell genug handeln. Dennoch denke ich, dass Europa durch den Ukraine-Krieg, die Sicherheitslage und die Angriffe der Trump-Administration auf Globalisierung, Freihandel und unsere Grundwerte einen Weckruf erhalten hat – und dieser ist angekommen. Viele starke Akteure erkennen inzwischen, dass Europa einen grundlegenden Gangwechsel braucht.
Was treibt Klimaschutz mehr an – starke staatliche Maßnahmen oder nachhaltige Initiativen aus der Wirtschaft?
Beides ist notwendig – öffentliche und private Akteure müssen zusammenarbeiten. Staatliche Maßnahmen allein reichen nicht. Ziele und Standards sind gut – und Preisanreize sind zentral – aber die Umsetzung und Entwicklung neuer Lösungen, die Menschen wirklich nutzen wollen, passiert in den Unternehmen. Der Markt allein kann diese Herausforderung aber nicht bewältigen – es braucht einen klaren, verlässlichen und vorhersehbaren politischen Rahmen. Das Schlüsselwort lautet: Zusammenarbeit – auch über Sektorengrenzen hinweg.
Als Vorsitzende des OECD Round Table on Sustainable Development und des grünen Thinktanks Concito – welche Technologien oder Innovationen machen Ihnen am meisten Hoffnung im Kampf gegen den Klimawandel?
Es gibt wirklich viele: die Verbindung von Digitalisierung, Daten, KI und Klima, intelligente Stromzähler, Batterien, Power2X. Aber auch sehr bewährte Technologien wie Fernwärme und Energieeffizienz haben enormes Potenzial. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum wir nicht mehr der so naheliegenden und schnell umsetzbaren Effizienz-Maßnahmen ergreifen.
Sie setzen sich seit Jahrzehnten für Klimaschutz ein. Was motiviert Sie? Und welchen Rat würden Sie jungen Klimaaktivist*innen geben?
Ja, es ist leicht, angesichts des langsamen Tempos frustriert zu sein. Aber: Wir MACHEN Fortschritte. Als ich 2004 Ministerin wurde, konnte man keine Klimadebatte führen, ohne jemanden einzuladen, der den Klimawandel grundsätzlich infrage stellte. Heute diskutieren wir nicht mehr, ob es ein Problem gibt (von ein paar Ausnahmen wie Herrn Trump abgesehen!). Vor 10–15 Jahren galten E-Autos als Nische – heute ist mehr als die Hälfte der Neuwagenverkäufe in China elektrisch! Oder schauen Sie auf den Ausbau der Erneuerbaren und den Kostenrückgang bei Wind und Solar – heute sind sie wettbewerbsfähig. Es hat 15–20 Jahre gedauert, aber jetzt ist es Realität. Es gäbe viele weitere Beispiele. Mein Punkt ist: Ja, es dauert (zu) lange, bis sich wirklich etwas verändert – aber aus der Vogelperspektive betrachtet, machen wir Fortschritte. Mein Rat an junge Menschen: Engagiert Euch, strebt nach Wissen und gebt nicht auf – aber habt auch Verständnis dafür, dass andere angesichts der vielen aktuellen Herausforderungen momentan stark verunsichert sein können. Und habt Geduld – wirklicher Wandel ist schwierig und braucht Zeit. Aber meine Erfahrung ist: Wandel ist möglich.
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