"Zwischen 2035 und 2040 soll Rheinland-Pfalz klimaneutral werden"
Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit Mai 2021 Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität sowie Stellvertreterin der Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in Rheinland-Pfalz. Wir sprechen mit ihr über ihren Werdegang, ihre Pläne für die kommende Legislatur sowie den Umgang mit Windenergie-Gegner*innen.
Frau Spiegel, Sie haben Politik, Philosophie und Psychologie studiert, wie kam es zu dieser Kombination?
Mich hat bereits in der Schule die Frage beschäftigt, was eine Gesellschaft aber auch den einzelnen Menschen umtreibt, welche Ziele und welchen moralischen Kompass jemand hat und warum. Daher kam es zu dieser Kombination der Studienfächer. Mir war es wichtig, das zu studieren, was mich interessiert und umtreibt. Nebenbei habe ich aus meiner Leidenschaft für Sprachen heraus auch noch ein paar Sprachkurse belegt, vor allem Estnisch fand ich sehr spannend. Alternativ hatte ich damals überlegt, Mathematik zu studieren – Zahlen und mathematische Fragestellungen faszinieren mich. Rückblickend war es für mich aber die richtige Wahl, ich würde mich genauso erneut entscheiden!
Sie waren 2005 die erste deutsche Jugenddelegierte bei den Vereinten Nationen. Wie ist es dazu gekommen?
Damals war ich im Bundesvorstand der Grünen Jugend und habe mich dort vehement für mehr Mitsprachrechte von jungen Menschen eingesetzt. Als ich gefragt wurde, ob ich mir diese Aufgabe vorstellen könnte, habe ich sofort zugesagt. Ich fand die Möglichkeit, jungen Menschen eine Stimme bei den Vereinten Nationen zu geben wahnsinnig wichtig und interessant. Es war ein unvergessliches Jahr! Mit jungen Menschen aus der ganzen Welt in New York bei den UN zu sein und an Sitzungen teilzunehmen, war sehr spannend.
Was hat Sie in dieser Zeit am meisten beeindruckt oder erschreckt?
Am meisten beeindruckt hat mich, junge Menschen aus allen Teilen der Welt zu treffen und mehr über deren Länder und über die Mitspracherechte von jungen Menschen dort zu erfahren. Was Jugendbeteiligung anbelangt, steckte Deutschland noch in den Kinderschuhen. Erschreckt hat mich, wie mühsam und zäh der Kampf um einzelne Wörter und Halbsätze bei den Sitzungen der Vereinten Nationen war. Tagelang wurde da gerungen.
Sie sind seit dem 18. Mai nun Ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität in Rheinland-Pfalz. Was wollen Sie in den kommenden fünf Jahren in Sachen Klimaschutz und Energiewende erreichen?
Wir haben uns in der neuen Landesregierung sehr ambitionierte Ziele gesetzt. Zwischen 2035 und 2040 soll Rheinland-Pfalz klimaneutral werden. Damit haben wir im Bundesvergleich die weitreichendsten Ziele. Dies ist aber auch dringend notwendig, um unseren Beitrag zum Klimaschutz und zur Einhaltung des Pariser Abkommens zu leisten. Hierfür ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien zentral. Bis 2030 wollen wir den Bruttostrombedarf aller Rheinland-Pfälzer bilanziell vollständig durch Erneuerbare Energien decken. Dafür brauchen wir mindestens eine Verdopplung der Energie aus Windkraft und eine Verdreifachung der Solarenergie bis 2030. Wir haben unsere Ziele fest im Blick und setzen daher bei der Windkraft auf Repowering, geringere Mindestabstände und bei Solar auf Förderprogramme und eine Photovoltaik-Pflicht für gewerbliche Neubauten und Parkplätze mit mehr als 50 Stellplätzen.
Daneben wollen wir die Sektorenkopplung, die hocheffiziente grüne Kraft-Wärme-Kopplung und den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Mobilität vorantreiben, denn auch die Mobilitätswende ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Klimaschutz. Zudem wollen wir Rheinland-Pfalz zu einer Modellregion für grünen Wasserstoff machen. Im Wärmebereich streben wir die Senkung des Wärmebedarfs durch verstärkte energetische Sanierung sowie eine möglichst hohe und schnelle Durchdringung mit Erneuerbaren Energien an, vorrangig mit effizienten Wärmepumpen und kalter Nahwärme, die ihren elektrischen Strom aus Erneuerbaren Energien beziehen, sowie mit Solarthermie- und Holzpelletanlagen. Zudem planen wir die Erstellung eines Wärmekatasters für Rheinland-Pfalz.
Am 23. August 2014 trat in Ihrem Bundesland das Landesklimaschutzgesetz in Kraft. Im Wahlkampf hörte man, Sie wollen den Klimaschutz in die Landesverfassung aufnehmen. Was ist hier der Vorteil gegenüber 2014?
Mit dem Ziel, den Klimaschutz als Staatsziel in die Landesverfassung aufzunehmen, unterstreichen wir seine herausragende Bedeutung. Wir sehen, dass es mittlerweile großen Zuspruch für das Thema gibt und das viele Menschen hier aktiv mitgestalten wollen. Eine Aufnahme in der Landesverfassung heißt: Wir ordnen dem Thema auch für alle Entscheidungen, Investitionen, Maßnahmen und Strategien einen zentralen Stellenwert zu.
Wo herrscht in Rheinland-Pfalz der größte Nachholbedarf in Sachen Energiewende und wo sind vielleicht auch größere Erfolge zu sehen als in anderen Bundesländern?
Rheinland-Pfalz ist bei der Umsetzung der Energiewende in den zurückliegenden Jahren gut vorangekommen. Im Jahr 2000 war es noch ein klassisches Stromimportland mit einer Importrate von über 70 Prozent – vorrangig Strom aus Braunkohle, Steinkohle und Atomkraft. Insbesondere durch den Ausbau der Windenergie und der Photovoltaik im eigenen Land konnte der Stromimport in den zurückliegenden Jahren deutlich gesenkt werden und beträgt derzeit weniger als 30 Prozent. Vor allem die Windenergie trägt mit einem Anteil von mehr als 62 Prozent zur regenerativen Stromerzeugung im Land bei. Bei der kumulierten Leistung und der Anlagenanzahl nimmt Rheinland-Pfalz in der Südregion Deutschlands die Spitzenposition ein.
Klar ist aber auch, dass sich die Ausbaugeschwindigkeit für die erneuerbare Stromerzeugung in den vergangenen Jahren auch bei uns durch die Verschlechterung der bundesweiten gesetzlichen Rahmenbedingungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz deutlich verringert hat. Die neue Bundesregierung muss daher dringend die notwendigen gesetzlichen Vorgaben für einen dynamischen Ausbau der Erneuerbaren schaffen.
Wie gehen Sie mit den 15.000 Menschen um, die einen Online-Petition gegen den Bau von Windrädern im Pfälzerwald unterzeichnet haben?
Wir nehmen die Bedenken und die Sorgen vor Ort natürlich wahr und ernst. Deswegen verfolgen wir eine behutsame Weiterentwicklung beim Ausbau der Windenergie. Alle Maßnahmen, die geprüft werden, werden deshalb in enger Abstimmung und im Dialog mit den Kommunen und dem MAB-Komitee und auf Grundlage der von dort gestellten Anforderungen erfolgen. Der Status bzw. das international verliehene Prädikat „UNESCO-Biosphärenreservat“ ist für das Land von zentraler Bedeutung und darf nicht gefährdet werden. Kern- und Pflegezonen sowie bewaldete Flächen der Entwicklungszone des Biosphärenreservats Pfälzerwald sind von der Windenergienutzung vorab ausgenommen. Nur wenige vorbelastete Flächen – etwa entlang der A6 – kommen infrage. Klar ist: Es gibt noch keine konkreten Planungen. An erster Stelle steht jetzt der Dialog mit dem MAB-Komitee und den Kommunen vor Ort.
Klar ist jedoch auch: Die Folgen des Klimawandels sind auch in Rheinland-Pfalz schmerzlich spürbar. Auch hiesige Wälder - auch der Pfälzerwald - leiden massiv unter Klimawandelfolgen wie anhaltenden Hitze- und Dürreperioden. Um das Klima zu schützen, ist ein Ausbau der Erneuerbaren Energien dringend notwendig. Hier müssen wir uns trauen, mutige Schritte zu gehen.
Spüren Sie in Situationen des Widerstands gegen die Energiewende einen anderen Ton gegenüber Ihnen und männlichen Kollegen?
Meine Wahrnehmung ist, dass es bei sämtlichen Themen und vor allem bei persönlichen Angriffen insbesondere im Netz beleidigender, abwertender und massiver zugeht, wenn Frauen betroffen sind. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn es inhaltlich harte Auseinandersetzungen und Diskurse gibt, das ist Teil einer lebendigen Demokratie. Wenn es aber nicht mehr um Fakten, sondern um persönliche diffamierende Äußerungen geht, ist eine rote Linie klar überschritten.
Darf ich Ihnen zum Abschluss noch eine persönliche Frage stellen? Wer hat Sie in der Vergangenheit inspiriert bzw. wer inspiriert Sie heute?
Mich inspirieren damals wie heute Menschen, die für ihre Überzeugung eintreten, die auch entschieden gegen den Strom schwimmen, die nicht opportunistisch sind und die klar Position beziehen. Und vor allem inspirieren mich all jene, die sich solidarisch mit der jungen Generation zeigen und bereit sind dicke Bretter zu bohren: für unser Klima, für unsere Natur und Umwelt, für den Erhalt der Lebensgrundlagen, für eine gerechte Zukunft aber auch gegen Hass und Hetze und gegen Rassismus und Ausgrenzung.
Pressekontakt
Anika Schwalbe
Agentur für Erneuerbare Energien e.V.
Tel.: 030 200 535 52
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