"Die Wärmewende muss nachhaltig, sozial und partizipativ gestaltet werden."
Bürger*innenbegehren haben oft den Ruf, politische Entscheidungen zu bremsen oder Entwicklungen zu verhindern. Anna Welz vom BürgerBegehren Klimaschutz e.V. erklärt im Interview, dass solche Begehren oftmals aber eher erst politische Prozesse initiieren und zeigt, welche Rolle sie in der kommunalen Politik spielen und wie wichtig Akzeptanz und Beteiligung für Klimaschutz und Wärmewende sind.
Was sagen Sie denjenigen, die behaupten, Bürgerbegehren lähmen die Umsetzung wichtiger politischer Entscheidungen?
In der Regel werden Bürgerbegehren gestartet, wenn die Menschen schon länger das Gefühl haben, dass die Politik zu wenig tut. Insbesondere im Klimaschutz wurden politische Entscheidungsprozesse durch Bürgerbegehren überhaupt erst angestoßen. Viele der mittlerweile über 80 Klimaentscheid- oder 50 Radentscheid-Initiativen in Deutschland mündeten in Verhandlungen mit Politik und Verwaltung. Ein Bürgerentscheid war nicht mehr nötig, da gemeinsam ein Maßnahmenkatalog erarbeitet wurde.
Der Name Ihres Vereins betont, dass es inhaltlich um den Klimaschutz geht. Doch es gibt auch Bürgerbegehren, die sich gegen den Klimaschutz stellen, wenn es um das Verhindern des Ausbaus der Windenergie geht oder vielleicht gegen Radschnellwege. Wie bewerten Sie diese Bürgerbegehren?
Windkraft-Bürgerbegehren sind besser als ihr Ruf. Eine Analyse von Mehr Demokratie e.V. zeigt, dass von 2018 bis 2022 die Zahl der Anti-Windkraft-Initiativen abgenommen hat. Wenn sie starten, bleiben sie häufiger erfolglos. Zudem gibt es einen Trend hin zu Bürgerentscheiden pro Windkraft. Rund 74 Prozent der direkt-demokratischen Verfahren in dem Zeitraum endeten für den Ausbau der Windenergie. Im Übrigen gibt es grundsätzlich mehr Bürgerbegehren für den Klimaschutz als dagegen. Das wird nur häufig anders wahrgenommen.
Kam es auch schon vor, dass Ihr Verein gefragt wurde, was man solchen Bürgerbegehren entgegensetzen kann?
Die Sorge der Politik ist, dass ihre Vorhaben von den Bürger*innen ausgebremst werden. Das kann tatsächlich passieren – hat allerdings meist etwas damit zu tun, wie stark sich die Menschen ‚mitgenommen‘ fühlen. Die Kommune kann einem sogenannten “kassierenden” Bürgerbegehren also vorbeugen, in dem sie Einwohner*innen über geplante Vorhaben frühzeitig transparent informiert und an den Entscheidungsprozessen beteiligt. Es gibt auch Geschäftsmodelle, mit denen die Kommune und die Einwohner*innen vom Ausbau der erneuerbaren Energien finanziell profitieren. Das steigert das Interesse und die Akzeptanz vor Ort.
Sie beraten auch die Kommunalpolitik. Was sind hier in Deutschland die häufigsten Anfragen?
Gerade beim Thema Wärmeplanung ist es enorm wichtig, die Menschen mitzunehmen. Es kommen hier viele Veränderungen auf uns zu. Die Reaktionen auf das Gebäudeenergiegesetz haben gezeigt, dass sich viele Menschen um steigende Preise und zu viel Veränderung Sorgen machen. Deshalb beschäftigen sich viele Kommunen jetzt damit, wie sie besser informieren und beteiligen können. Und das ist genau richtig!
Welchen Stellenwert haben Bürgerbegehren in Deutschland im Vergleich zum europäischen Ausland?
Das ist schwer zu vergleichen, da selbst innerhalb von Deutschland die Instrumente nicht gleichermaßen genutzt werden. Das hängt mit den unterschiedlichen Regelungen in den Kommunalverfassungen der Länder und den immer noch zu hohen Hürden zusammen. Die Schweiz ist im europäischen Vergleich natürlich Spitzenreiter hinsichtlich direkter Demokratie. Aber auch viele andere Länder haben, im Vergleich zu Deutschland, die Möglichkeit zu nationalen Volksentscheiden. Bei uns ist das auf Landes- und Kommunalebene begrenzt.
Sie konzentrieren sich in Ihrem Verein als Campaignerin auf die Wärmewende. Hat sich hier seit Einführung des „Gesetzes für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze“ etwas geändert?
Während wir in den letzten Jahren sehr viel darüber diskutiert haben, wie die Wärmeplanung angegangen und beschleunigt werden kann, steht jetzt die Umsetzung im Mittelpunkt. Die großen Kommunen hatten bereits mit der Wärmeplanung begonnen oder sogar schon abgeschlossen, wie in Baden-Württemberg. Die kleineren Kommunen ziehen jetzt nach und auch die ersten Bundesländer (Brandenburg und Thüringen) haben mit eigenen Wärmeplanungsverordnungen nachgezogen.
Dabei beobachten wir, dass die Akteursbeteiligung von den Kommunen sehr unterschiedlich verstanden wird. Die Beteiligung von Bürger*innen wird leider häufig noch vernachlässigt. Die Bürger*innen benötigen Informationen, vor allem wenn sie als Eigentümer*innen Entscheidungen treffen sollen. Wir sind überzeugt davon, dass eine gute Beteiligung nicht nur die Akzeptanz der Entscheidungen fördert, sondern auch zur Qualität der Wärmeplanung beitragen kann.
Kommen die Anfragen hier eher aus Richtung der Kommunen? Wie sehen hier die Anfragen aus?
Wir erleben, dass insbesondere Best Practice Beispiele nachgefragt werden. Hier sind vor allem technische Best Practice Beispiele gefragt und solche, die Genossenschaften beinhalten. Wir haben solche Beispiele in unserer Vortragsreihe ‘Wärme vor 12’ vorgestellt. Da gibt es z.B. das Best Practice Beispiel aus Venne, das gleich doppelt spannend ist. Zum einen wird das Wärmenetz von einer Genossenschaft betrieben, zum anderen koppelt die Genossenschaft Abwärme aus einer Waffelproduktion aus und nutzt die Abwärme.
Sie bieten auch Seminare rund um die Wärmewende an. Was raten Sie Kommunen?
Kurz und knapp: Die Wärmewende muss nachhaltig, sozial und partizipativ gestaltet werden, so heißt auch unser Leitfaden zur kommunalen Wärmeplanung.
Konkret verstehen wir unter nachhaltig, die konsequente Transformation, weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien wie Sonne, Wind oder Erdwärme. Wasserstoff gehört für uns nicht dazu, da hier teure Lock-ins zu befürchten sind. Sozial bedeutet für uns, dass die Wärmewende, insbesondere für die Menschen bezahlbar sein muss und z.B. mit Förderprogrammen aktiv eine Energiearmut verhindert wird. Außerdem setzen wir auf eine frühzeitige Beteiligung, die nicht nur Information beinhaltet, sondern echte Mitgestaltung und Mitbestimmung der Wärmewende.
Ein Bürgerbegehren wurde vom Bündnis "Klimabegehren Flensburg" angestoßen. Können Sie anhand dieser darlegen, wie hier die Unterstützung Ihrerseits und der Werdegang aussahen?
Anfang 2021 gründete sich das Klimabegehren Flensburg mit dem Ziel, dass die Flensburger Stadtwerke bis 2025 komplett auf fossile Brennstoffe verzichten. Wir haben die Flensburger Initiative von Anfang an beraten und unterstützt. Konkret haben wir bei der Ausarbeitung der Fragestellung sowie bei der Einhaltung der formalen Voraussetzungen für das Bürgerbegehren geholfen. Aufgrund unserer Erfahrungen mit anderen Kampagnen konnten wir auch wichtige Kampagnenskills und Tipps zur Gruppenorganisation vermitteln. Wir haben das Klimabegehren dann kontinuierlich begleitet und waren natürlich auch vor Ort. Das Bürgerbegehren wurde schließlich zu einem großen Erfolg. Über 10.000 Flensburger*innen unterschrieben das Bürgerbegehren. Im Dezember 2022 übernahm dann der Flensburger Stadtrat einstimmig das Bürgerbegehren in wesentlichen Teilen, so dass ein abschließender Bürgerentscheid nicht mehr nötig war. Ein verbindlicher Maßnahmenplan, der den Weg Flensburg zur Fossilfreiheit bis 2035 festlegt, wurde erarbeitet und befindet sich in der Umsetzung.
Wie messen Sie den Erfolg Ihrer Initiativen im Hinblick auf die Umsetzung klimafreundlicher Maßnahmen in den Kommunen, und welche konkreten Beispiele können Sie dafür anführen?
Ich möchte betonen, dass dies nicht unsere Initiativen sind, sondern wir lokale Initiativen vor Ort beraten und unterstützen. Der Erfolg wird häufig von den Initiativen selbst definiert. Nicht so selten kommt es nämlich zu Kompromissen zwischen Politik und Initiative, wie im Beispiel von Flensburg. Danach bleiben die Initiativen oft selbst am Thema dran, sind an der Erarbeitung eines Maßnahmenkatalogs beteiligt und prüfen, wie ihre Forderungen umgesetzt werden. Wir beraten auch hier zu möglichen Follow-Ups und verfolgen selber die jeweiligen Entwicklungen. Einen einheitlichen Prüfbogen gibt es nicht, dazu sind die Bürgerbegehren zu unterschiedlich und streben sehr unterschiedliche Maßnahmen in verschiedenen Sektoren an. Tatsächlich arbeiten wir aber momentan mit Studierenden zusammen, um die Erfolge der Initiativen einmal etwas breiter unter die Lupe zu nehmen.
Teilweise braucht es aber auch einen sehr langen Atem, da sich der Erfolg erst nach Jahren messen lässt. Hamburg ist hier ein spannendes Beispiel: 2013 wurde mit dem Volksentscheid ‘Unser Hamburg - Unser Netz’ gefordert, dass die Energienetze und Fernwärme¬versorgung rekommunalisiert werden sollen. 2022 war es dann soweit und alle Energieversorgungsunternehmen sind unter dem Dach der Hamburg Energie vereint.
Welche Strategien verfolgen Sie, um das Bewusstsein und das Engagement der Bürger*innen für lokale Klimaschutzprojekte zu stärken, insbesondere in Gemeinden, die möglicherweise weniger sensibilisiert sind?
Wir wollen Menschen unterstützen und dazu ermächtigen, sich für ihre eigenen Interessen und Belange einzusetzen. Dafür stellen wir Material z.B. über unsere Webseite zur Verfügung, bieten aber auch Schulungen und individuelle Beratungen an.
Bei den Kommunen setzen wir zum Beispiel mit dem Modellprojekt ‚Klima trifft Kommune‘ an. Hier unterstützen wir mit Expertise, aber auch finanziellen Ressourcen bei der Initialisierung und Umsetzung eines Klima-Bürger*innenrates. Das spannende an diesem Projekt ist die Kopplung an einem verbindlichen Ratsbeschluss, das heißt dass die Einwohner*innen über die Handlungsempfehlungen am Ende abstimmen.
Malchin, eine Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern, hat Anfang des Jahres einen Bürger*innenrat zur Frage, wie die künftige Wärmeversorgung Malchins auf Basis erneuerbarer Energien aussehen soll, durchgeführt. Der Bürgermeister war von den Rückmeldungen, der Beteiligung und auch den Ergebnissen positiv überrascht.
Pressekontakt:
Agentur für Erneuerbare Energien e.V.
Anika Schwalbe
Pressesprecherin
Tel: 030 200535 52
Mail: a.schwalbe@unendlich-viel-energie.de
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