Reußenköge

1. Die Kommune

1.1 Strukturelle und sozioökonomische Ausprägungen

Beinahe am nördlichsten Punkt Deutschlands, im Kreis Nordfriesland in Schleswig-Holstein, liegt die Gemeinde Reußenköge. Hier leben 324 Einwohner*innen (Stand 2019). Die knapp 46 Quadratkilometer (km2) große Gemeindefläche, die sich entlang der Nordsee erstreckt, umfasst sieben Köge – also Landflächen, die durch den Bau von Deichen vom Meer abgegrenzt werden, um sie besiedeln oder (land-)wirtschaftlich nutzen zu können. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Jahreseinkommen im Landkreis beträgt derzeit 24.384 Euro und liegt damit über dem Bundesdurchschnitt .

1.2 Lokale politische Entscheidungsstrukturen

Reußenköge hat den Status einer „amtsfreien Gemeinde“ inne, was bedeutet, dass es über keine eigene Verwaltung verfügt. Im Jahr 2008 wurde eine Verwaltungsgemeinschaft mit dem Amt Mittleres Nordfriesland geschlossen, welches die Kommune seither mitverwaltet. Im Zuge dieser Reform erwarb und renovierte die Gemeinde Reußenköge ein Verwaltungsgebäude in Bredtstedt – eine ehemalige Landwirtschaftsschule – und stellt es seither dem Amt im Rahmen eines Miet-Kauf-Vertrags zur Verfügung. Das Bürgermeisteramt wird seit 2013 von Dirk Albrecht von der Wählergemeinschaft Reußenköge (WGR) ausgeübt. Darüber hinaus setzt sich die Gemeindevertretung aus acht weiteren Personen zusammen, die im Rahmen der letzten Kommunalwahl im Mai 2018 mit einer Beteiligung von 64,7 Prozent gewählt wurden .

1.3 Politische Rahmenbedingungen für Windenergie in Schleswig-Holstein

Reußenköge hat wie viele andere Standorte in Schleswig-Holstein sehr gute Bedingungen für den Betrieb von Windenergieanlagen. Die Landesregierung aus CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP unter Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) bezeichnet die Windenergie in ihrem Koalitionsvertrag als „sehr wichtigen Wirtschaftsfaktor“, den es weiter auszubauen gilt . Das schleswig-holsteinische Energiewende- und Klimaschutzgesetz (EWKG) setzt unter anderem das Ausbauziel einer Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien von mindestens 37 Terrawattstunden (TWh) bis zum Jahr 2025 fest; 10 Gigawatt (GW) sollen bis dahin aus der Windenergie stammen . Im Jahr 2019 erreichten die Erneuerbaren Energien in Schleswig-Holstein und Hamburg bereits einen Anteil von insgesamt 84 Prozent an der Bruttostromerzeugung . Davon stammen 39 Prozent aus Onshore-Windenergie, 32 Prozent aus Biomasse und 23 Prozent aus Offshore-Windenergie. Da in Schleswig-Holstein dank der zahlreichen Erneuerbare-Energien-Anlagen insgesamt fast viermal so viel Strom erzeugt wird, wie in den Städten und Gemeinden vor Ort verbraucht werden kann, ist das Bundesland mittlerweile zum Nettoexporteur von Strom geworden.

2. Die Erneuerbare-Energien-Projekte

2.1 Beschreibung der Fallbeispiele

Der Bürgerwindpark Reußenköge ist einer der größten Windparks in Bürgerhand weltweit. Er ist aus mehreren Vorgängerprojekten hervorgegangen. Bereits vor mehr als 30 Jahren investierten Landwirte aus Reußenköge in einzelne Windenergieanlagen: Im Jahr 1989 wurde das erste Windrad errichtet; es folgten weitere Anlagen. Auf diese Weise entstanden in den kommenden Dekaden insgesamt sechs Windparks auf den Flächen der Kommune. Schließlich wurden die einzelnen Parks im Jahr 2015 zum Bürgerwindpark Reußenköge fusioniert, dessen gemeinschaftliche Betreibergesellschaft seither die BWP Reußenköge GmbH & Co. KG ist. Die Zusammenlegung der Windparks war unter anderem eine Reaktion auf die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) auf Bundesebene im Jahr 2014, welche eine starke Senkung der Fördersätze von Onshore-Windenergielagen vorsah. Aktuell umfasst der Bürgerwindpark Reußenköge insgesamt 84 Windenergieanlagen, die einen Jahresertrag von 750 Millionen Kilowattstunden (KWh) produzieren – dies würde theoretisch für die Versorgung von ca. 150.000 Haushalten reichen. In den vergangenen Jahren gab es mehrere Repowering-Maßnahmen, bei denen alte Anlagen gegen neuere und leistungsstärkere ersetzt wurden. In 2021 wird ein weiteres Repowering abgewickelt, dazu sind die Baumaßnahmen bereits angelaufen: Bis Ende des Jahres werden im Bürgerwindpark Reußenköge 91 Windenergieanlagen fast 1 Mrd. Kilowattstunden klimaneutralen Strom erzeugen.

Darüber hinaus ist in Reußenköge eine große Biogasanlage zu finden, welche zur lokalen Wärmeversorgung beiträgt und von der Familie Wulff betrieben wird. Auf ihrem fast 100 Jahre alten Bauernhof widmet sie sich neben der Gästevermietung vor allem dem Ackerbau (Gerste, Raps, Weizen und Zuckerrüben) und der Schweinehaltung. Diese beiden Betriebszweige liefern das notwendige Material – Gülle und nachwachsende Rohstoffe – zur Produktion von Biogas, das im Anschluss in das Gasnetz eingespeist wird. Die Anlage der wird über die eigens gegründete Biogas Wulff GmbH & Co. KG verwaltet.

2.2 Art der finanziellen Beteiligung

Damit die Wertschöpfung vor Ort bleibt, ist die finanzielle Beteiligung am Bürgerwindpark ausschließlich den Ortsansässigen vorbehalten. Der Bau der Windenergieanlagen wurde stets von Informationskampagnen begleitet; Standorte und Abstandsflächen wurden mit den betroffenen Landwirten und Grundstückeigentümer*innen abgestimmt. Die Bevölkerung wurde insofern erfolgreich über die Teilhabemöglichkeiten aufgeklärt, als dass mittlerweile fast alle Einwohner*innen der Gemeinde mit Eigenkapital an der BWP Reußenköge GmbH & Co. KG beteiligt sind. Dabei wurde von Beginn an seitens der Betreibergesellschaft sichergestellt, dass alle Bürger*innen unabhängig des sozialen Hintergrunds gleichermaßen am Windpark teilhaben können. Mittels der Windenergie generierten Gewerbesteuereinnahmen kann die Gemeinde in öffentliche Infrastrukturen, Radwege, Breitbandausbau für schnelleres Internet sowie in Gemeinderäume, Kindergärten und Schulen investieren.

2.3 Portrait der Projektträger

Der Dirkshof, ursprünglich ein landwirtschaftlicher Betrieb, ist der Projektierer des Bürgerwindparks und steht auf dem Sönke-Nissen-Koog, einem der sieben Köge von Reußenköge. Während die früheren Generationen der Familie Ketelsen sich in erster Linie der Landwirtschaft widmeten, setzte Dirk Ketelsen – Inhaber und Geschäftsführer der Dirkshof / EED GmbH & Co. KG – seit Beginn der 1990er Jahre gemeinsam mit seinem Team mehrere Windenergieprojekte um. Im Fall des Bürgerwindparks Reußenköge übernehmen der Dirkshof und die BWP Reußenköge GmbH & Co. KG, unter der Geschäftsführung des Bürgermeisters Dirk Albrecht und Dirk Ketelsen, die Planung sowie den kaufmännischen und technischen Betrieb. Um breite gesellschaftliche Akzeptanz für die Projekte zu erreichen, sollen die Bürger*innen vor Ort von der durch die Windenergie generierten Wertschöpfung profitieren. Aus diesem Grund betreut der Dirkshof heute den Bürgerwindpark Reußenköge sowie auch zahlreiche Gesellschafter weiterer Bürgerwindparks.

Fotos: Dirkshof

Den Steckbrief von Reußenköge finden Sie hier auch im PDF-Format.