Vollgas für die Energiewende
Wer sich in Deutschland von einem Ort zum anderen bewegt, macht das – statistisch gesehen – in drei von vier Fällen mit einem Pkw. Der Güterverkehr wickelt zwei von drei Transporten mit dem Lkw ab. Sowohl Pkw als auch Lkw tanken fast ausschließlich den endlichen fossilen Energieträger Erdöl. Das kann und muss nicht so bleiben. Neben der Elektromobilität mit erneuerbarem Strom werden Biokraftstoffe wie Biomethan das Erdöl ersetzen. In der Gegend zwischen Schwarzwald und Neckar übernimmt der Energiehof Weitenau schon heute die Rolle des Kraftstofflieferanten. Dort ist Winfried Vees Landwirt, Kraftstofflieferant und Tankstellenbesitzer zugleich.
Auf einen Blick
Warum ist das ein gutes Beispiel für das notwendige Update unserer Energieversorgung?
Der Energiehof Weitenau kombiniert die flexible Strom- und Wärmeerzeugung aus Biogas mit der Vermarktung von Biomethan als Kraftstoff im Verkehrssektor durch eine eigene Biomethan-Tankstelle.
Gründung/Inbetriebnahme: 2003 (Biogasanlage) – 2015 (Biomethan-Tankstelle)
So werden Erneuerbare Energien genutzt:
Erneuerbare-Energien-Anlagen:
3 Biogas-BHKW (250 kW, 265 kW, 265 kW),
1 Biomethan-Aufbereitungsanlage,
1 Photovoltaik-Dachanlage (130 kW),
1 Photovoltaik-Freiflächenanlage (998 kW)
Erneuerbare Stromerzeugung:
ca. 5 Mio. kWh jährlich.
Das deckt den durchschnittlichen Verbrauch von 1.400 Haushalten.
Erneuerbare Wärmeerzeugung:
3,2 Mio. kWh jährlich.
Das deckt den durchschnittlichen Verbrauch von 150 Haushalten.
Erneuerbare Mobilität:
190.000 km jährlich zurückgelegte Entfernung bei durchschnittlichem Verbrauch eines Pkw
So trägt die Anlage zum Update bei
1. Flexibilität
- Flexible Fahrpläne: saisonal, Wochen-/Tagesfahrplan
- Koppelung: Strom/Wärme, Gas/Mobilität
2. Netze
- Stabilisierung Stromnetz: Eigenverbrauch geplant
3. Speicher
- Gasspeicher: 2.000 m3
4. Marktintegration
- Vermarktung von Strom: Reaktion auf Strombörsenpreis
- Vermarktung für Mobilität: Biokraftstoff (Biomethan-Tankstelle)
- Vermarktung von erneuerbarem Methan: Aufbereitung, Verkauf
Wie es dazu kam
Milchvieh und Schweinemast, dazu Kartoffelanbau: So bewirtschaftete das Ehepaar Winfried und Julia Vees seit Ende der 1980er Jahre ihren Hof auf der Gäuhochebene oberhalb des Neckartals. Mit Milch und Fleisch ließ sich jedoch immer weniger verdienen. Die Vees schauten sich nach Alternativen um, wollten wachsen, ohne vor Ort die Ellbogen gegen Berufskollegen auszufahren. Um die sowieso anfallende Gülle sinnvoll verwerten zu können, lag der Bau einer Biogasanlage nahe. Ein erstes Biogas-Blockheizkraftwerk (BHKW) mit 180 Kilowatt installierter elektrischer Leistung ging 2003 in Betrieb.
Anfangs nur als Ergänzung geplant, entwickelte sich die Biogaserzeugung schnell zum Hauptstandbein. Winfried und Julia Vees verabschiedeten sich drei Jahre später schweren Herzens von ihren Kühen. Als Landwirte wurden sie dann aber mit umso größerer Überzeugung auch Energiewirte. Der Energiehof Weitenau entstand. Nach einer ersten Photovoltaikanlage auf dem Dach eines Hofgebäudes folgte 2012 ein Freiflächen-Solarpark, den die beiden gemeinsam mit der Gemeinde Eutingen-Weitingen betreiben.
Damit nicht genug. Winfried Vees, den seine Frau Julia mit einem Augenzwinkern als „Technikträumer“ beschreibt, wollte nicht nur Strom und Wärme aus Sonne und Biomasse erzeugen. Da viele Biogas-Blockheizkraftwerke auf Lkw-Motorentechnik basieren, reifte bei ihm die Idee, das Biogas auch als Kraftstoff im Verkehr anzubieten. Könnte man nicht selbst den Kraftstoff für den Traktor erzeugen? Nach intensiven Vorarbeiten nahmen Julia und Winfried Vees 2015 ihre eigene Biomethan-Tankstelle in Betrieb.
Was hier passiert
Das Ehepaar Vees vergärt in den Fermentern ihrer Biogasanlage zunächst Energiepflanzen wie Mais und die Durchwachsene Silphie von eigenen Acker- und Grünlandflächen. Von der knallgelb blühenden Silphie ist Winfried Vees hellauf begeistert: „Die ist fast zu schön, um wahr zu sein. Die wächst fast ohne Energieeinsatz und ist gut für den Boden!“ Mit Imkern und Naturschützern arbeitet der Energiehof darum gut zusammen. Hinzu kommen Energiepflanzen von benachbarten Landwirten, so dass insgesamt rund 150 Hektar Anbaufläche genutzt werden. Vees‘ Berufskollegen freuen sich, ihre Gülle und ihren Rinder-, Schweine- und Pferdemist in die Biogas-Fermenter liefern zu können.
In drei BHKW wird das Biogas dann verbrannt. Dabei entstehen Strom und Wärme. Für die BHKW gibt es einen wöchentlichen Fahrplan, der so getaktet ist, dass möglichst viel Strom zu jenen Stunden erzeugt wird, an denen die Strombörsenpreise überdurchschnittlich hoch liegen. Ein Großteil der anfallenden Wärme hilft dabei, die vergorenen Rückstände aus dem Fermenter zu trocken. Diese Gärreste lassen sich dann als wertvoller Dünger wieder auf die Anbauflächen der Energiepflanzen ausbringen. So bleibt der Nährstoffkreislauf weitgehend geschlossen. Die benachbarten Landwirte sparen dadurch teuren Mineraldünger. Außerdem verringert das Trocknen den Ammoniakgehalt, so dass die Geruchsbelästigung minimiert wird.
Einen wachsenden Teil des Biogases leiten die Vees jedoch nicht zur Strom- und Wärmeproduktion in ihre BHKWs, sondern machen daraus den Kraftstoff Biomethan, der in Pkw, Bussen und Traktoren zum Einsatz kommen kann. Biomethan ist chemisch identisch mit fossilem Erdgas. Der Unterschied zum rohen Biogas, das aus dem Fermenter strömt, ist der geringere Gehalt an Schwefel, Kohlendioxid und Wasserdampf. Diese Stoffe würden in den Gasmotoren der Fahrzeuge stören. In einer Aufbereitungsanlage neben den Fermentern wird daher das Biogas gereinigt und auf Biomethan-Qualität gebracht. Die Aufbereitungsanlage wiederum ist mit einer Zapfsäule verbunden. Wer mit einem Fahrzeug mit Gasmotor unterwegs ist, biegt von der nahe gelegenen Autobahn oder Landstraße ab und kann 100 Prozent Erneuerbare Energien tanken.
Das Update für unser Energiesystem
Strom-, Wärme- und Verkehrssektor wachsen im Energiesystem der Zukunft immer stärker zusammen. Der Energiehof Weitenau baut die notwendige Brücke zwischen diesen drei Sektoren. Das ist vor allem notwendig, um den Energieverbrauch für unsere Mobilität auf Erneuerbare Energien umzustellen.
Der Schienenverkehr kann zwar bereits problemlos mit erneuerbarem Strom angetrieben werden. Auf der Straße sind die Herausforderungen allerdings größer. An die Stelle von Pkw mit Verbrennungsmotor sollen im Laufe der 2020er Jahre immer mehr Elektrofahrzeuge treten, die erneuerbaren Strom laden. Ihre Batterien könnten dann eine wichtige Speicherfunktion für die Stromnetze bereitstellen. Unter den 45,8 Millionen Pkw, die Anfang 2017 in Deutschland zugelassen sind, rollen aber erst 55.000 Elektrofahrzeuge.
Neben erneuerbarem Strom bieten Biokraftstoffe eine zweite Möglichkeit, sich im Verkehrssektor von den fossilen Energieträgern zu verabschieden. Biokraftstoffe können zunächst bis zu einem bestimmten Anteil den fossilen Kraftstoffen wie Diesel, Benzin oder Erdgas beigemischt werden. Sie können in geeigneten Verbrennungsmotoren aber auch ausschließlich genutzt werden. Das ist vor allem dort relevant, wo Elektromotoren im Straßenverkehr nicht sinnvoll zum Einsatz kommen können, beispielsweise für Schwerlast, über längere Strecken oder in Traktoren.
Winfried und Julia Vees bieten darum Biomethan an. Es ist identisch mit fossilem Erdgas. Zwar betreiben die Vees ihre Biomethan-Tankstelle als Inselbetrieb, doch könnten sie ihr Biomethan auch in das bestehende Erdgasnetz einspeisen. Es könnte dann die Entfernung zu anderen Städten überbrücken, wo schon Busflotten, Müllsammelfahrzeuge oder Lkw mit Gasmotor unterwegs sind. Diese schaffen die Euro 6-Norm, das heißt sie halten die strengsten Vorgaben zu Stickoxid- und Feinstaubemissionen ein.
Das Gasnetz bietet aber nicht nur ein weit verzweigtes Tanknetz für saubere Gasfahrzeuge. Es koppelt die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr. Wird Biomethan am Ort des Entstehens nicht benötigt, lässt es sich einfach im Gasnetz speichern. Zu einem späteren Zeitpunkt wird es dann andernorts bedarfsgerecht für die Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. Auch Strom lässt sich im Gasnetz speichern: Per Elektrolyse kann aus erneuerbarem Strom und Wasser energiereicher Wasserstoff gewonnen werden. Dieser wird entweder direkt ins Gasnetz eingespeist oder nach thermochemischer Synthese mit CO2 als synthetisches Methan.
Wie es sich rechnet
Die Stromerzeugung aus Biogas ist die Haupteinnahmequelle des Energiehofs Weitenau. Der Strom aus den Biogas-BHKW mit insgesamt maximal 640 Kilowatt elektrischer Leistung wird im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) per Direktvermarktung an der Strombörse abgesetzt und durch die Marktprämie ergänzt. Unter Inanspruchnahme der Flexibilitätsprämie ergänzte er 2014 ein drittes, größeres BHKW, einen neuen Trafo und einen zusätzlichen Fermenter, um bedarfsgerechter Strom einspeisen zu können. Die Einnahmen aus der EEG-Vergütung für den Solarstrom ergänzen die Erlöse der Biogas-BHKW.
Mit bis zu fünf Fahrzeugen pro Tag und rund 140.000 Kilowattstunden Biomethan (10.000 Kilogramm) jährlich ist der Absatz der Ende 2015 eröffneten Biomethan-Tankstelle noch überschaubar. Beim Jahresumsatz des Energiehofs Weitenau von rund 1 Millionen Euro fallen die 12.000 Euro Bruttoeinnahmen alleine kaum ins Gewicht. Allerdings können die Vees die verkaufte Menge Biomethan im Rahmen des Biokraftstoffquotengesetzes weiterverwerten. Große Mineralölkonzerne sind verpflichtet, die Treibhausgasemissionen ihres Kraftstoffabsatzes ab 2017 um 4 Prozent zu reduzieren. Die Vees vertreiben mit ihrem Biomethan einen Biokraftstoff, der rund zwei Drittel weniger Treibhausgase emittiert als fossile Kraftstoffe. Die Mineralölkonzerne können bei den Vees wie auch bei anderen Biokraftstoffanbietern deren Treibhausgasreduktion als Quote erwerben. Dieser Klimaschutzbeitrag wird dann statistisch auf die 4-Prozent-Reduktionspflicht angerechnet.
Insgesamt spart die Biogasanlage jährlich rund 3.600 Tonnen CO2-Äquivalent ein (Quelle: Treibhausgasrechner des Fachverband Biogas).
Wie es weitergeht
Als Pionier in Sachen Biogasaufbereitung empfiehlt Winfried Vees eine sehr sorgfältige Prüfung der Technologien. Die relativ kleine Pilotanlage mit Membrantrennverfahren zur Aufbereitung auf Biomethan-Qualität hat seiner Ansicht nach in der Zukunft noch Verbesserungspotenzial in Sachen Wirkungsgrad. Trotzdem lässt er keinen Zweifel daran, dass er den Verkehrssektor als Zukunftsfeld für die Biogasbranche erschließen will. Durch den Diesel-Skandal und immer schärfere Abgasvorschriften fühlt er sich bestätigt. Winfried Vees sieht ein „Henne-Ei-Problem“, wenn es um Biomethan geht: Ohne Fahrzeuge keine Tankstelle, ohne Tankstelle keine Fahrzeuge. Von der Politik erwartet er darum mehr Zuverlässigkeit und vereinfachte Zugangsregeln für Kleinanlagen wie auf dem Energiehof Weitenau.
Mit der Eröffnung der Biomethan-Tankstelle konnte er immerhin bereits Pkw-Fahrer davon überzeugen, sich ein Fahrzeug mit Gasmotor anzuschaffen. Da mit Biomethan die Tankrechnung nur etwa halb so hoch ausfällt wie beim fossilen Benzin, erwartet er einen wachsenden Absatz.
Gemeinsam mit seiner Frau Julia will er weiter Überzeugungsarbeit leisten für Erneuerbare Energien: mit einer „Gläsernen Produktion“ zeigen sie bei Aktionstagen, wie Pferdemist für Pferdestärken unter der Motorhaube sorgt. Sogar eine eigene Smartphone-App unterhält der Energiehof Weitenau. In ihrem Kuhstall, den sie zum Seminarraum umgebaut haben, werden sich auch in Zukunft neugierige Schulklassen, Besuchergruppen und Politiker die Klinke in die Hand geben.
Stand: September 2017
Energiehof Weitenau
info@energiehof-weitenau.de
www.energiehof-weitenau.de
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