Energie-Kommune des Monats: Wolfenbüttel
Oktober 2023
Das niedersächsische Wolfenbüttel ist mit seinen mehr als 50.000 Einwohner*innen die größte Stadt im gleichnamigen Landkreis. Die ehemalige Residenzstadt bietet Einwohner*innen und Touristen*innen ein historisches Ambiente und dabei alle Annehmlichkeiten einer modernen Kreisstadt. Auch Großprojekte sind für die Verwaltung nichts Neues. In einem gemeinsamen Kraftakt von Stadtverwaltung und Bürger*innen wurden in den 70er Jahren bis zum Abschluss 2016 große Teile der Altstadt denkmalgerecht saniert – damals mit zirka 52,5 Hektar eines der größten Sanierungsprojekte der Bundesrepublik. Heute steht die Kommune vor einer ähnlichen Herausforderung. Den deutschen Klimaschutzzielen folgend befindet sich Wolfenbüttel mitten in der Umsetzung der Transformation der Energie- und Wärmeversorgung sowie der Verkehrsinfrastruktur. Entsprechend dem „Masterplan 100% Klimaschutz im Großraum Braunschweig“ leistet die Stadt ihren Teil zur Umsetzung des integrierten Gesamtkonzeptes. Daneben werden in der Stadt aber auch weitere innovative Vorhaben wie das Projekt Fluxlicon umgesetzt. Im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projektes ist die Stadt Wolfenbüttel eine von acht Modellkommunen, die Konzepte für die Anwendung eines neuartigen Energiespeichers aus Second-Life-Batterien entwickeln. Zwei der acht Modellkommunen werden in naher Zukunft ausgewählt, um den Speicher und ihre entwickelten Konzepte für diesen tatsächlich in der Praxis zu testen.
Klimaschutzmanagerin setzt „Masterplan 100% Klimaschutz im Großraum Braunschweig“ um
Mit der Einstellung von Klara Krüger als Klimaschutzmanagerin wurde 2021 in der Verwaltung eine eigene Stelle geschaffen, die sich hauptberuflich mit der Reduktion der Treibhausgasemissionen beschäftigt. Der aktuell primäre Aufgabenbereich der über eine Kommunalrichtlinie geförderten Klimaschutzmanagerin ist die Umsetzung der Vorhaben aus dem Klimaschutzkonzept „100% Klimaschutz für den Großraum Braunschweig“. Dazu gehören Maßnahmen wie die Einführung eines Energiemanagements in der Stadt genauso wie die Kooperation mit Stakeholdern aus Einzelhandel und Wirtschaftsförderung, um Energiewende und Klimaschutz auch in weitere Lebensbereiche zu bringen. Auch überregional beteiligt sich die Klimaschutzmanagerin an Formaten und Projekten mit Klimaschutzpotenzial wie dem Runden Tisch Elektromobilität in der Region 38 oder HyExpert in SüdOstNiedersachsen.
Neben der Vernetzung mit Wissenschaft, Politik und Wirtschaft wirkt sich die Arbeit der Klimaschutzmanagerin auch positiv auf die Verwaltung Wolfenbüttels aus. „In der Stadtverwaltung hat die Einführung der Stelle einer Klimaschutzmanagerin zu mehr Bewusstsein in allen Bereichen geführt“, erklärt Klara Krüger. Besonders hervorzuheben sei die Bedeutung der Stelle als Multiplikatorin innerhalb der Verwaltung, aber gleichermaßen auch nach außen zur Bevölkerung. Städtischen Veranstaltungen geht nun eine Nachhaltigkeitsanalyse voraus, bei Baumaßnahmen wird aktiv auf energetische Bauweisen sowie die Nutzung Erneuerbarer Energien hingewirkt. Diese positiven Entwicklungen werden stets mit der Öffentlichkeit geteilt. Kooperationen mit dem Einzelhandel sowie der städtischen Wirtschaftsförderung im Bereich Klimaschutz und Energiewende stärken auch das Bewusstsein bei lokalen Akteuren.
Die Stadtverwaltung steht hinter der energetischen Transformation
Der Kommune fällt eine Schlüsselrolle bei der energetischen Transformation zu. Die Stadt Wolfenbüttel „(…) wird zunehmend auf die lokale Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien setzen“, erklärt Bürgermeister Ivica Lukanic. Auch auf die Wärmewende bereitet die Kommune sich vor, wobei die Erstellung einer Wärmeplanung maßgeblich der Begleitung und Steuerung dieses Prozesses dienen soll.
Während die kommunale Wärmeplanung erst in den kommenden Jahren ihre volle Wirkung entfalten wird, arbeitet die Stadt bereits seit Jahren an der urbanen Verkehrswende. Im letzten Jahr hat der Rat der Stadt beschlossen, 21 E-Autos zu kaufen. Diese sind ausgeschrieben und werden in Kürze alle fossilen Pkws der Verwaltung aber auch erste städtische Nutzfahrzeuge ersetzen. Die Umstellung des weiteren Fuhrparks wird folgen. Heute befinden sich zwei vollelektrische Fahrzeuge im städtischen Fuhrpark.
Für Bürgermeister Lukanic ist ein Punkt entscheidend, damit die Transformation gelingen kann: „Wichtig ist es, nicht nur als Vorbild voranzugehen, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger bei ihren Entscheidungen zu unterstützen.“ Deswegen arbeite man in der Stadt weiter daran, die Anwohner*innen und weitere lokale Akteure einzubinden und das Angebot an nachhaltigen Alternativen zu fossilen Verkehrsmitteln in der Stadt zu verbessern. Als fahrradfreundliche Kommune entwickelt Wolfenbüttel das eigene Radnetz fortlaufend weiter. Ein Beispiel dafür ist das im Jahr 2023 fertiggestellte Fahrradparkhaus direkt neben dem Bahnhof. Auf 120 Stellplätzen können Pendler*innen ihr Rad sicher und überdacht abstellen, bevor es zum Zug geht. Zukünftig werden große Fahrradzonen geschaffen. Das erleichtert den Bürger*innen den Umstieg aufs Fahrrad oder Pedelec.
Gerade die Integration verschiedener Verkehrstypen ist wichtig, damit sich die Wolfenbüttler*innen in Zukunft gerne für nachhaltige Optionen entscheiden. Ein wichtiger Baustein dafür ist das neue Stadtbuskonzept der Kommune. In Zusammenarbeit mit der Kraftverkehrsgesellschaft Braunschweig und auf Grundlage eines Beteiligungsverfahrens für Bürger*innen wurden die Linienführung vereinfacht und das Angebot erweitert. Insbesondere die Anbindung weiterer Ortsteile, bessere Anschlussverbindungen sowie die Schaffung eines 15-Minuten-Takts entlang der Hauptverkehrsachsen erhöhen die Attraktivität der Stadtbusse seit der Einführung 2021. Auch in diesem Bereich treibt die Stadt die Elektrifizierung der Fahrzeuge voran. Im Herbst 2023 wird bereits die Hälfte der 22 Busse vollelektrisch betrieben.
Für Wolfenbüttel als Mittelzentrum und Kreisstadt bleiben auch die Pkws ein wichtiger Teil eines ganzheitlichen Verkehrskonzeptes. Über eine Konzessionsvergabe zum Ausbau des Ladenetzes wird die Attraktivität von E-Mobilität zukünftig weiter gestärkt und eine Reduzierung der Emissionen erreicht.
Aus Alt mach Neu dank Fluxlicon
Eine oft vorgebrachte Kritik von Skeptiker*innen elektrischer Pkws ist, dass nach Ende der Laufzeit einer Batterie erhebliche Kosten bei der Entsorgung anfallen und Recyclingmöglichkeiten in noch nicht ausreichendem Maße vorhanden sind. Weniger bekannt ist, dass solche Batterien im Regelfall weiterhin als stationäre Energiespeicher genutzt werden können – zumindest in der Theorie. Im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekt Fluxlicon wird die Theorie nun in Kürze in zwei Pilotkommunen gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft in die Praxis umgesetzt. Das Besondere am Fluxlicon-Energiespeicher ist dabei nicht nur, dass Second-Life-Batterien zum Einsatz kommen, sondern dass die Systemarchitektur sowie das Speicherdesign es ermöglichen, Batteriesysteme verschiedener Hersteller zu verwenden. Durch fortschreitende Elektrifizierung des Pkw-Marktes werden immer mehr Batterien ihren ersten Lebenszyklus beenden. Der Fluxlicon-Speicher ermöglicht durch seine flexible Konfiguration die Weiterverwendung dieser Batterien. Damit wird deren Nutzungsdauer deutlich erhöht sowie ein Beitrag zur Erhöhung der inländischen Speicherkapazität geleistet. Ein wichtiger Baustein für ein Energiesystem, das seinen Strom bis zu 100 Prozent nachhaltig, also auch witterungsabhängig, produzieren möchte.
Von der ersten Planung zur energieautarken Kläranlage mit Fluxlicon
Die erste Initiative für die Bewerbung der Kommune in 2022 ging von einem engagierten Wolfenbüttler und Mitglied des Rates aus. Schnell wurde die Stadt durch den Einbezug eines breiten Stabs an Experten*innen Modellkommune. Florian Jürgens, Leiter des Amtes für Stadtentwicklung und Bauaufsicht, erklärt den Erfolg der Stadt während der Bewerbung so: „Unsere Stärke als etwas kleinere Stadt ist, gut miteinander vernetzt zu sein und offen über Ideen und Visionen sprechen zu können. Die Konstellation aus Hochschule, Stadtwerken und Stadt, die gemeinschaftlich an einem Strang ziehen und ein Ziel vor Augen hat, hat unserer Meinung nach überzeugt.“ Gerade die Zusammenarbeit verschiedener Stakeholder*innen könnte es, falls Wolfenbüttel eine der noch zu nominierenden zwei Pilotkommunen wird, ermöglichen, zahlreiche, unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten für den Speicher in der Stadt zu prüfen.
Die ursprüngliche Idee, den Speicher zum Laden von E-Autos zu verwenden, wurde schnell verworfen, da der eigentliche Mehrwert des Speichers in seiner Vielseitigkeit liegt. Diese müsse sich auch im Einsatz des Speichers widerspiegeln, so der Bürgermeister. Sollte der Energiespeicher in Wolfenbüttel zum Einsatz kommen, wird er deswegen in Zukunft dafür sorgen, dass die städtische Kläranlage durch Solarenergie weitgehend autark versorgt werden kann. „Unser Einsatzzweck ermöglicht die Erhöhung der Eigenstromnutzung, die Sicherung des geregelten Betriebs der Kläranlage sowie die Entlastung des Stromnetzes“, fasst Jürgens zusammen. Der Speicher schaffe so nicht nur die Voraussetzungen für eine besonders wirtschaftliche Nutzung der PV-Anlage, sondern ermöglicht es, den größten Energieverbraucher im Stadtgebiet weitgehend vom Stromnetz zu entkoppeln. Aktuell steht die Bekanntgabe der Pilotkommunen noch aus. Sollte Wolfenbüttel jedoch ausgewählt werden, steht der Auslieferung des Speichers in die Kommune nichts mehr entgegen.
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