Energie-Kommune des Monats: Hanse- und Universitätsstadt Rostock

Im Rathaus der Stadt wird die regionale Energie- und Wärmewende konzipiert (Foto: A.Savin).August 2022

Mit einer über 800-jährigen Geschichte nimmt die Hanse- und Universitätsstadt Rostock schon seit Jahrhunderten eine wichtige Stellung in Nordostdeutschland ein. Als größte Stadt Mecklenburg-Vorpommerns und Zentrum der Regiopolregion Rostock setzt die Stadt heute noch wichtige Akzente. Die Küstenstadt wird vom Klimawandel und dem damit verbundenen Anstieg des Meeresspiegels unmittelbar getroffen. Das hat die Stadtverwaltung erkannt und sich ambitionierte Ziele gesetzt. Ab 2030 wird der im Moment noch in Bau befindliche HyTechHafen Grünen Wasserstoff mit bis zu einem Gigawatt Energieeinspeisung produzieren. Außerdem ist geplant, die gesamte im Stadtgebiet verbrauchte Fernwärme bis 2035 durch regenerative Quellen bereitzustellen. Ein neuer Wärmespeicher ist bereits in den Testbetrieb gestartet. Ergänzt wird dieser ab dem Frühling 2023 durch eine Power-to-Heat-Anlage, die den Speicher perspektivisch klimaneutral wieder aufladen kann. Rostock zeigt, dass auch in einer Zeit politischer sowie energetischer Unsicherheit Investitionen in die Erneuerbaren möglich, notwendig und sinnvoll sind.

Die Energie- und Wärmewende in Rostock aus einem Guss

Für die Rostocker Verwaltung steht fest, da energetische Planungen sowie deren Umsetzung weitreichende Verzahnungen aufweisen, ist es notwendig, Bebauungsplanung, Wärmepläne bis hin zu standardisierten Energiekonzepten zusammenzudenken. Bebauungsstrukturen beeinflussen die Wärmeplanung und die langfristige Überplanung von Stadtvierteln muss gemeinsam mit Sanierungsinitiativen und Klimaanpassungsmaßnahmen gedacht werden. Um eine abgestimmte Kooperation zwischen den zuständigen Stellen sicherzustellen, wurde so zuletzt im Juni 2022 der Wärmeplan Rostock 2035 von der städtischen Bürgerschaft beschlossen. Durch dieses von Land und Bund geförderte Projekt wird eine koordinierte Umsetzung der Maßnahmen im gesamten Stadtgebiet sowie deren Überprüfung auf ihren Erfolg hin gewährleistet. Die Planung beschränkt sich aber keineswegs auf die Wärmeplanung. So verfügt die Stadt über „Masterplan 100% Klimaschutz für die Hansestadt Rostock“, über ein Klimawandelanpassungskonzept, ein Mobilitätskonzept sowie ein Umwelt- und Freiraumkonzept.

Darüber hinaus engagiert sich Rostock in weiteren Initiativen und will nicht zuletzt selbst eine Vorbildrolle einnehmen, was die energetische Sanierung und den Ausbau von EE-Anlagen auf kommunalen Gebäuden angeht. Insbesondere bei der Finanzierung der notwendigen Investitionen will sie durch Fördermittelakquise und dem Anstoßen weiterer Projekte den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen, um das 2020 erklärte Ziel der Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen.

Rostock setz auf einen breiten Mix aus Erneuerbaren Energien

Nachdem vor zwei Jahren das ursprüngliche Ziel der Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2050 gegenüber dem Bezugsjahr 1990 um 95 Prozent auf 2035 vorgezogen wurde, arbeitet die Verwaltung gemeinsam mit den Stadtwerken daran, möglichst schnell und trotz der multiplen externen Krisen der letzten Jahre den städtischen CO2-Fußabdruck zu verkleinern. Rostock kann hier schon einige Erfolge vorweisen: Im Vergleich zu 2010 konnte die Stadt den einwohner*innenbezogen CO2-Ausstoß bis 2017 von 4,17 Tonnen CO2 auf 3,58 Tonnen pro Einwohner*in senken. Deutschlandweit war der pro Kopf Ausstoß 2018 mit 8,4 Tonnen pro Kopf mehr als doppelt so hoch. Möglich wurden diese Erfolge durch konsequente kommunale sowie private Investitionen in die Erneuerbaren sowie in die Energieeffizienz von Gebäuden. Die Stadt hat beispielsweise das begrenzte städtische Potenzial für Windenergie im Stadtgebiet ausgeschöpft. Zwölf Anlagen stellen auf dem Stadtgebiet 6,9 Megawatt erneuerbaren Strom zur Verfügung. Der Schwerpunkt der Stadt liegt deswegen auf dem Ausbau der Solarenergie. Aktuell sind im Stadtgebiet 864 Solaranlagen mit rund 27,1 Megawatt Peak installiert. Das gesamtstädtische Solarpotenzial wird gerade im Förderprojekt „Solaroffensive“ ermittelt. Insbesondere die Potenziale von kommunalen Gebäuden sollen schnell erfasst und nutzbar gemacht werden. Auch die Stadtwerke sind am Ausbau beteiligt. Zuletzt nahm im September 2017 die mit 8.000 Quadratmetern drittgrößte PV-Freiflächenanlage in Rostock den Betrieb auf. Insgesamt stellen die Stadtwerke durch PV-Anlagen circa ein Gigawatt erneuerbaren Strom bereit. Weitere zwanzig Gigawatt werden von den Stadtwerken von Biomethan-Blockheizkraftwerken (Biomethan-BHKW) produziert. Gleichzeitig stellen die BKHWs CO2-neutrale erneuerbare Wärme bereit. Holger Matthäus, Senator für Infrastruktur, Umwelt und Bau, bringt das städtische Transformationskonzept auf den Punkt: „Als Stadt am Meer ist der Klimaschutz seit jeher Verpflichtung: Das Ziel 2035. Unsere Rostocker Strategie ist die Nutzung von Windenergie onshore, Solaranlagen, Großwärmepumpen in der Warnow und Biomasse.“

Mit grünem Wasserstoff und Energiehafen sichert Rostock die nachhaltige Entwicklung der gesamten Regiopolregion

Als Mitglied des 2020 gegründeten Netzwerks der Rostocker Wasserstoffinitiative arbeitet die Stadt gemeinsam mit Projektpartnern aus Wirtschaft und Forschung an der Etablierung einer leistungsfähigen Wasserstoffindustrie entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Im Zusammenspiel mit dem vom Bund geförderten Projekt „Regiopolen und Regiopolregionen für Deutschland“, das in Rostock einen Schwerpunkt auf Energieinfrastruktur legt, konnte eine Geschäftsstelle geschaffen werden, welche die energetische Transformation der Regionpolregion Rostock koordiniert. Ziel der Initiative bleibt die Erreichung der Klimaneutralität bis 2035 sowie die Schaffung einer leistungsfähigen Wasserstoffinfrastruktur.

Über die Stadtgrenzen hinaus werden von Unternehmen und Forschungseinrichtungen der Region Nord-Ost Technologien für die saisonale Erzeugung und Nutzung von grünem Ammoniak als kohlenstofffreien Wasserstoffträger entwickelt und am Standort Poppendorf umgesetzt. Das „CAMPFIRE-Bündnis“ eröffnet somit den regionalen Unternehmen innovative neue Pfade in der Produktentwicklung und einen zukünftigen Technologie-Roll-Out von Energie- und Speichertechnologien für Ammoniak aus Mecklenburg-Vorpommern. Es wurde im Rahmen des Förderprogramms “WIR!- Wandel durch Innovation in der Region” des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gegründet. Aus Erneuerbaren Energien erzeugter Ammoniak ist ein kohlenstofffreier Kraftstoff, der zukünftig eine vollständige Reduktion der Treibhausgasemissionen und eine Zero-Emission-Mobilität ermöglichen kann. NH3 bietet einen idealen Kompromiss zwischen Energiedichte und Produktionskosten im Vergleich zu anderen synthetischen Brennstoffen.  Die Partner*innen aus Wirtschaft und Forschung wollen die bereits in Rostock-Peez und Rostock Poppendorf zum Großteil vorhandene Chemie-Infrastruktur nutzen, um Technologien und Produkte auf industrierelevanter Skale zu testen und zu produzieren.

Entscheidender Baustein der städtischen Transformation ist das Vorhaben Energiehafen Rostock. Dieser wird mittelfristig zum Wasserstoffdrehkreuz an der Ostsee ausgebaut. Als neues Umschlagzentrum für grüne Energieträger ist geplant Wasserstoff genauso wie Wasserstoffträger (Ammoniak oder Methanol) zu produzieren und über eine im Rahmen des Projektes „doing hydrogen“ in Planung befindliche Pipeline zu transportieren. Bis 2026 werden hier zunächst 475 Kilometer Pipeline zur Verfügung stehen, um den Wasserstoff in Deutschland und perspektivisch in ganz Europa zu vermarkten. Damit der Energiehafen der stetig steigenden Nachfrage nach grünem Wasserstoff gerecht werden kann, sollen die Erzeugungskapazitäten des Hafens bis 2030 schrittweise auf ein Gigawatt Energieeinspeisung hochskaliert werden. Damit das gelingt, arbeitet die Stadt mit Partner*innen aus der Wirtschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette zusammen. Zusätzlich dazu wird in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut für Großstrukturen der Produktionstechnik sowie dem Greifswalder Leibnitz-Institut für Plasmaforschung und Technologie eine H2-Forschungsfabrik umgesetzt. Entscheidender Standortvorteil der Stadt ist ihre lange, windreiche Küstenlinie, die sich optimal zur Bereitstellung von erneuerbarem Strom für die Produktion von grünem Wasserstoff nutzen lässt. Um das Potenzial der Offshore-Windenergie und dessen Einbindung in die Wasserstoffwertschöpfungskette weiter zu erforschen, ist der Bau eines Offshore-Testfeldes für Windenergie am Standort Rostock-Warnemünde geplant. Bis 2025 ist die Fertigstellung von Offshore-Windenergieanlagen mit einer Gesamterzeugungsleistung von 150 Megawatt geplant. Die Anlagen werden im Anschluss helfen, neue Technologien und Innovationen in der Praxis zu erproben.

Im April 2022 startete der Testbetrieb des neuen Wärmespeichers der Stadtwerke im Industriegebiet Marienehe  (Foto: Stadtwerke Rostock AG).Stadtwerke bringen Wärmewende mit Wärmespeicher und Power-to-heat-Anlage voran

Nach zwei Jahren Bauzeit ging am 4. April am Standort Marienehe der neue Wärmespeicher der Stadtwerke erstmals ans Netz. Geplant lange vor den krisenhaften Entwicklungen des letzten halben Jahres, ist der Speicher nicht nur ein wichtiger Baustein zur Erreichung der Treibhausgasneutralität, sondern trägt genauso zur Unabhängigkeit der Wärmeversorgung der Stadt bei. Die Ausmaße des Speichers, der nach der Testphase im Herbst in den Regelbetrieb starten wird, sind schlicht gigantisch: In einem drucklosen Stahlbehälter können insgesamt 45 Millionen Liter Wasser bei 98 Grad gespeichert werden. Das entspricht einer Speicherkapazität von zwei Gigawatt und damit genug Wärme, um alle Fernwärmekunden*innen der Stadtwerke ein Wochenende mit Wärme zu versorgen. Direkt neben dem Speicher wird derzeit eine Power-to-Heat-Anlage errichtet. Dem Prinzip eines überdimensionierten Tauchsieders folgend, kann ab Anfang 2023 ansonsten abgeregelter Strom aus Wind- oder Solarenergie direkt in Wärme umgewandelt. Die erzeugte CO2-neutrale Wärme kann im nächsten Schritt genutzt werden, um den Wärmespeicher wieder aufzuladen.

Rostock wäre nicht Rostock, wenn Stadtverwaltung und Stadtwerke nicht auch bei Wärmeversorgung und Energiehafen vernetzt geplant hätten. Der Senator für Infrastruktur, Umwelt und Bau, Matthäus fasst zusammen: „Vom Projekt des Grünen Energiehafens erwarten wir neben der Wasserstoffproduktion auch die Abwärmenutzung. Unser die Stadt überspannendes Fernwärmenetz ist dabei ideal zum Speichern und Verteilen solidarischer Wärme.“ Investitionen in die Zukunft der Stadt entlasten so mittelfristig deren Bürger*innen. Kurzfristig arbeiten die Stadtwerke daran, gestiegene Kosten für Privathaushalte abzufedern. Das soll durch die schnelle Umsetzung von im Wärmeplan formulierten „No-regret-Maßnahmen“ erreicht werden. Bis jetzt ungenutzte Abwärme aus dem Abwasser des Klärwerks und der Klärschlammverwertungsanlage sowie die Nutzung von Saisonalwärmespeichern schützen das Klima und verringern gleichzeitig die Abhängigkeit der Bürger*innen vom Import fossiler Energieträger.