Energie-Kommune des Monats: Gemeinde Großbardorf
November 2023
Das Wort „Gemeinschaftsprojekte“ wird im unterfränkischen Großbardorf ganz großgeschrieben. Die Gemeindeverwaltung unterstützt und begleitet Maßnahmen zur Erzeugung und zum Vertrieb Erneuerbarer Energien, sowie die landwirtschaftlichen Aktivitäten. Das kommt nicht von ungefähr, denn in der 955 Einwohner*innen zählenden Kommune im Landkreis Rhön-Grabfeld sind die politische und die soziale Gemeinde von gleich großer Bedeutung. Die Zusammenarbeit, von der der gesamte Ort profitiert, zeigt sich besonders bei der kommunalen Energiewende: Das Gemeindegebiet umfasst unter anderem einen kleinen Windpark, mehrere Solaranlagen und ein Nahwärmenetz, das überwiegend die Abwärme einer Gemeinschaftsbiogasanlage mit zwei Blockheizkraftwerken (BHKW) nutzt, allesamt zum Großteil in Großbardorfer Bürger*innenhand.
Um die Bedeutung regenerativer Energiequellen für die Gemeinde – oder eben die Gemeinschaft – zu verstehen, lohnt ein kurzer Blick in die Geschichte. Seit dem Mittelalter wurden Windmühlen vor allem zum Mahlen, Pumpen und Hämmern genutzt. Während der Industrialisierung erreichte ihr Einsatz einen Höhepunkt. Ende des 19. Jahrhunderts erfand man windgetriebene Generatoren beziehungsweise Dynamos zur Erzeugung elektrischen Stroms. Diese wurden hauptsächlich für industrielle Zwecke eingesetzt und später auch vermehrt für elektrisch betriebene Verkehrsmittel. Die großflächige Elektrifizierung begann hierzulande in den 1920er Jahren, als das heutige deutsche Verbundnetz aufgebaut wurde. Da Versorgungslücken vielerorts noch lange Zeit normal waren, rüstete man für die lokale Stromerzeugung bestehende Windmühlen um oder baute in Eigenregie neue Anlagen speziell für diesen Zweck. So wurde Großbardorf bereits vor über 100 Jahren die erste Gemeinde, die elektrische Energie aus Wind nutzte. Das 1921 erbaute „Windrad am Auhügel“ mit einem Rotordurchmesser von 15 Metern erzeugte bis in den Zweiten Weltkrieg hinein eine Leistung von 10 bis 36 PS – schon damals in den Händen einer Großbardorfer Energiegenossenschaft.
Großbardorfer Bürger*innen investieren gemeinsam in erneuerbare Zukunft
Auch heute gibt es wieder eine solche Energiegenossenschaft. 2009 gründeten 40 Großbardorfer*innen, darunter der Enkel eines Gründungsmitglieds von 1921, die Friedrich-Wilhelm Raiffeisen (FWR) Energie eG Großbardorf – nach dem Motto „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele“ des namensgebenden Sozialreformers. Sie griffen den lokal verankerten Pioniergedanken auf und schufen mit Unterstützung der unterfränkischen Agrokraft GmbH eine vernetze Struktur, um einen Großteil der Wertschöpfungskette von der Produktion bis zum Vertrieb Erneuerbarer Energien im Dorf zu verankern.
Vorangegangen war die Errichtung eines Bürger*innensolarparks im Jahr mit dessen Erweiterung zwei Jahre später. Dieser liefert mit durchschnittlich 1.800 Megawattstunden jährlich genügend klimafreundlichen Strom für 560 Haushalte, was einer CO2-Ersparnis von 955 Tonnen pro Jahr entspricht. Zusätzlich spült die Anlage Gewerbesteuereinnahmen in die Gemeindekasse. Um dieses ebenfalls von der Agrokraft GmbH initiierte Projekt auf acht Hektar zu realisieren, beteiligten sich über 100 Menschen mit insgesamt etwa 1,75 Millionen Euro am Solarpark. Heute profitieren die zum Großteil aus Großbardorf stammenden Anteilseigner*innen nicht nur vom Gemeinschaftsgefühl, sondern vor allem auch in finanzieller Hinsicht. Die FWR Energie eG baute nach ihrer Gründung fünf weitere Photovoltaikanlagen auf dem Gemeindegebiet.
Unendlich viel Energie durch Erneuerbare-Energien-Anlagen
Der beinahe bedarfsdeckende Solarstrom markiert aber nur den Beginn der Großbardorfer Investitionen in eine klimafreundliche und unabhängige Zukunft. Die Energiegenossenschaft plante und baute ab 2010 für über vier Millionen Euro ein Nahwärmenetz. „Das Wärmenetz ist für unsere Gemeinde eine Infrastrukturbereicherung, die uns in der gemeindlichen Entwicklung weiter nach vorne bringt und die Attraktivität des Ortes steigert“, fasst der engagierte, ehrenamtliche Bürgermeister der Kommune, Josef Demar, zusammen. Bis heute erfreut sich das 2011 in Betrieb genommene Nahwärmenetz einer stetig wachsenden Beliebtheit und kann immer mehr Anschlüsse verzeichnen. Gespeist wird es überwiegend aus lokaler Bioenergie. Der mit Abstand größte Teil stammt dabei mit 93,6 Prozent aus der Abwärme der Biogasanlage. Die verbleibenden 6,2 Prozent des Wärmebedarfs werden durch Hackschnitzel der Genossenschaftsmitglieder gedeckt. Für die Finanzierung der 3,5 Millionen Euro teuren Anlage sowie deren Betrieb schlossen sich lokal ansässige Landwirt*innen in der Agrokraft Großbardorf GmbH & Co. KG zusammen, einem Tochterunternehmen der Agrokraft Großbardorf GmbH. Der Vertrieb der Wärme wird dabei von der FWR Energie eG Großbardorf organisiert.
Seit der Inbetriebnahme der Biogasanlage 2011 spart diese seitdem jedes Jahr etwa 400.000 Liter Heizöl ein. Von den circa 4.000 Megawattstunden Wärme pro Jahr durch das an die Biogasanlage angeschlossene BHKW profitieren wiederum mehr als 70 Prozent der Haushalte und zudem öffentliche und gewerbliche Gebäude. Insgesamt entspricht das etwa drei Vierteln des Wärmebedarfs in Großbardorf. Zusätzlich produziert die Biogasanlage 5.000 Megawattstunden Strom, was den Bedarf der Kommune um ein Vielfaches übersteigt.
Zusammenspiel von Energiepflanzen, Wildpflanzen und Gülle
Die Grundlage für die lokal erzeugte Energie bilden die rund um den Ort angebauten Energiepflanzen. Da Mais pro Anbaufläche die meiste Energie liefert, trägt die Getreideart etwa zur Hälfte der Biomasse bei. Der Maisanteil im Anbau hingegen entspricht nur sechs bis acht Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in der Region. Das ist deutlich weniger als in anderen Regionen. Die Agrokraft Großbardorf GmbH & Co. KG setzt daneben auch auf Wildpflanzenmischungen wie den Veitshöchheimer Hanfmix mit seinen 37 Pflanzenarten. Kamille, Hirse, Sonnenblumen und Co. dienen nicht nur dem Erhalt der Biodiversität, sondern auch der Bodenschonung. Die Vorteile der mehrjährig gedeihenden Mischung zeigen sich Jahr für Jahr immer deutlicher, beispielsweise anhand der gestärkten Artenvielfalt und finanziellen Einsparungen. Ein weiterer Schritt zur nachhaltigen Energieproduktion ist die Beimischung von Gülle und Mist zur Biomasse. Die Vergärung in der Biogasanlage reduziert die hier nutzbaren Methanemissionen im Vergleich zum Ausbringen als Ackerdünger. Durch den Wegfall der für die Landwirte nicht rentablen Rinderhaltung wird seitdem der Grasschnitt der Wiesenauen auch in der Biogasanlage verwertet. Der Vorteil: Der von den Pflanzen aufgenommene Dünger verbleibt im Gärsubstrat und wird wieder auf die Felder aufgebracht. Das reduziert den Verbrauch mineralischer Dünger und sorgt langfristig für gute Böden.
Weiterführung der ureigenen Tradition
Doch die Großbardorfer Pionier*innen wären keine solchen, wenn sie nicht auch den Windradgedanken vom Auhügel aufgreifen würden. Um also auch das – nicht übermäßige, aber vorhandene – unterfränkische Windpotenzial voll auszuschöpfen, initiierte die FWR Energie eG Großbardorf im Jahr 2015 die Gründung eines weiteren Unternehmens: Die Bürgerwindenergie Großbardorf-Sulzfeld GmbH & Co. KG. Wie der Name schon verrät, stehen die vier Windenergieanlagen auf dem Gebiet der benachbarten Gemeinden Großbardorf und Sulzfeld. Knapp fünf Millionen Euro Eigenkapital und noch einmal die dreifache Summe Fremdkapital brachte das neu gegründete Unternehmen auf, um nur ein Jahr später den Betrieb starten zu können. Seit 2016 erzeugen die vier Anlagen zusätzliche 22.000 Megawattstunden Strom und nebenbei auch Ausschüttungen für die Anteilseigner*innen des Bürger*innenwindparks.
Trotz der bereits heute guten Versorgungslage der Kommune arbeitet man in der FWR Energie eG Großbardorf unermüdlich an neuen vielversprechenden Projekten. „Zurzeit baut die FWR Energie eG Großbardorf eine 20,6 Megawatt-Peak Photovoltaik-Freiflächenanlage, an der sich sehr viele Großbardorfer beteiligt haben“, so Bürgermeister Demar. Außerdem mache man auch im Wärmesektor stetig Fortschritte. So meint er weiter: „Die kommunale Wärmeplanung wird aktiv angegangen und gemeinsam mit der Energiegenossenschaft weiterentwickelt.“
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