"Eine nachhaltige Transformation wäre die Zukunft mit insgesamt weniger Autos und anderen Mobilitätsformen für alle."

Frau Goldammer, Sie sind Expertin für Energiewirtschaft und Energietechnik und seit 2016 Geschäftsführerin des Reiner Lemoine Instituts in Berlin. Sie wurden außerdem im Dezember 2021 in den Beirat für die Wasserstoff-Roadmap des Landes Baden-Württembergs berufen und sind seit März 2022 Mitglied im Berliner Klimaschutzrat. Sie haben noch viele weitere Mitgliedschaften und Engagements. Wie finden Sie die Zeit für so viele Verpflichtungen und Engagements?

Ich nehme mir die Zeit, kann aber nicht genau sagen, wo sie herkommt. Zum Teil aus meiner Arbeitszeit, zum Teil aus meiner Freizeit. Ich löse das so, dass ich viele Sachen gleichzeitig tue – auf dem Weg zum Meeting Telefonate führe, im Zug die E-Mails lese, auf dem Sofa abends noch an einer Beiratssitzung teilnehme und währenddessen was für Social Media mache.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als Geschäftsführerin aus?

Ich sitze in Meetings, schaue auf meinen Laptop oder stehe auf Veranstaltungen rum. Die meiste Zeit spreche ich mit Menschen. Am RLI frage ich z.B., wie es in einem Bereich oder in einem Projekt läuft. Extern tausche ich mich aus bei Vorträgen oder beim Netzwerken. Und dann habe ich auch noch ganz formale Aufgaben: Ich unterschreibe Arbeitsverträge, schaue mir unsere Finanzen an und so weiter. Um es sich praktisch vorzustellen: Wenn ich im Büro bin, dann besteht der Tag aus lauter Meetings hintereinander. Abends zu Hause lese und schreibe ich dann viel – Unterlagen, Nachrichten, E-Mails, Updates etc.

Welche sind die Forschungsbereiche des Reiner Lemoine Instituts?


Das RLI hat drei Bereiche: Transformation von Energiesystemen, Mobilität mit Erneuerbaren Energien und Off-Grid-Systeme. Was wir besonders gut können: Energiesysteme modellieren und optimieren. Die Modelle setzen wir vielfältig ein: Für interaktive Web-Tools zur Infrastrukturplanung, bspw. zum Thema Erneuerbare Energien-Ausbau oder Stromnetze, für regionale Mobilitäts- oder Wasserstoffkonzepte und für internationale Marktstudien für neue Energietechnologien. Aber wir können auch Stakeholder-Prozesse, politische Handlungsempfehlungen oder Trainings. Am wichtigsten ist, dass es um Erneuerbare Energien geht – in allen Sektoren – und um Technik, da wir unseren Schwerpunkt in den Ingenieurwissenschaften haben.

Wie ist ihre Haltung zur Novellierung des EEG der Bundesregierung- sind die Ziele und Maßnahmen ausreichend oder sogar zu ambitioniert?

Ich arbeite seit 15 Jahren im Energiebereich – wie viele EEG-Novellierungen ich da schon gesehen habe! Vor allen Dingen die großen Reformen: Erst die Einführung der Marktprämie, dann der Auktionen. Heute ist das Gesetz so groß geworden – so viele Seiten lang, meine ich – dass ich es im Detail nicht mehr kenne. Aber ich stimme mit allen großen Linien der neuesten Reform überein: Hoher Anteil Erneuerbarer beim Strom und zwar schnell, gesetzlicher Vorrang für Erneuerbare, Beteiligungsmöglichkeiten usw. Zu ambitioniert ist das nicht, aber es ist gewissermaßen ein gestauchter Prozess: Hätte die letzte Bundesregierung mehr Ambitionen gehabt, wäre der Weg jetzt leichter.

2018 haben Sie gemeinsam mit Oliver Arnhold die Localiser RLI GmbH gegründet. Eine Plattform für Standortbewertungen rund um die Energie- und Verkehrswende. Der Energiebedarf im Verkehr wird noch immer im Wesentlichen durch Mineralölprodukte gedeckt. Biokraftstoffe und Strom haben nur einen geringen Anteil. Welche politischen Maßnahmen müssen jetzt getroffen werden, um die Verkehrswende schneller voranzutreiben?


Elektromobilität ist schon heute ganz gut im Markt und ein E-Auto fährt wirtschaftlich. Je teurer Benzin und Diesel sind – das könnte ja auch mit stärkerer CO2-Bepreisung passieren – desto deutlicher ist der Vorteil gegenüber den Kosten beim Verbrenner. Aber die eigentliche nachhaltige Transformation wäre die Zukunft mit insgesamt weniger Autos und anderen Mobilitätsformen für alle – Massentransportmitteln oder geteilten Transportmitteln. Und hier sehe ich die Politik besonders in der Verantwortung: Sie kann als einzige die Rahmenbedingungen für diese zukunftsfähigen und nachhaltigen Mobilitätsformen wirklich verbessern.

Seit Juni 2021 sind Sie zudem Sprecherin des Berlin-Brandenburger Clusters Energietechnik im Rahmen der Gemeinsamen Innovationsstrategie der Länder Berlin und Brandenburg -innoBB2025. Können Sie etwas zu den wichtigsten Zielen, Forderungen und Herausforderungen der Innovationsstrategie sagen?

Beim Cluster Energietechnik geht es um Innovationen und Projektentwicklung in der Hauptstadtregion. Die Energiebranche hier ist riesig – Tausende von Unternehmen und Zigtausende Beschäftigte zählen heute schon dazu. Und im Cluster tun sich beide Bundesländer zusammen; das Clustermanagement hilft bei der Vernetzung und Entwicklung von neuen Projekten, z.B. im Bereich  Erneuerbare Energien oder Wasserstoff. Bei der Innovationsstrategie geht es im Kern um nachhaltiges Wirtschaftswachstum mit innovativen Themen. Gründerinnen und Gründer aus der ganzen Welt sollen hierherkommen und tolle, neue Produkte oder Dienstleistungen zur Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen in Berlin oder Brandenburg entwickeln und von hier aus vertreiben.

Wer oder was inspiriert Sie?

Andere Menschen inspirieren mich – heutige wie vergangene. Die sich etwas getraut haben und für den Fortschritt gekämpft haben - gegen gesellschaftliche Konventionen. Die sich gegen Sexismus oder Rassismus einsetzen. Oder ganz alltägliche Sachen beeindrucken mich, wenn z.B. Menschen trotz persönlicher Nachteile nachhaltig reisen oder konsumieren. Ich habe das Glück, dass mich viele solcher Menschen täglich umgeben.