Interview: "Der Zugang zu kostengünstigem, ansonsten abgeregeltem Strom muss vereinfacht werden"

Durch die Neuverlegung eines kalten Nahwärmenetzes mit Einbindung von Großwärmepumpen hat Dollnstein die eigene Wärmeversorgung flexibel, unabhängig und klimafreundlich gestaltet. Thomas Kerner vom verantwortlichen Kommunalunternehmen erklärt die Hintergründe und Herausforderungen.

Was ist der Nutzen des Projektes für den Klimaschutz?

Durch die Integration einer zentralen Großwärmepumpe als Erzeuger in der Heizzentrale konnte das Ziel umgesetzt werden, möglichst viele regenerative Energien einzusetzen. Der dafür benötigte Strom wird mit einem Flüssiggas-BHKW erzeugt, um eine hohe Flexibilität und Unabhängigkeit zu erreichen – Strom und Wärme werden gekoppelt. Insgesamt konnte durch die zentrale Wärmeerzeugung der CO2-Ausstoß im Vergleich zu Einzelanlagen um weit über 50 Prozent reduzieren. Nur das BHKW benötigt noch fossile Brennstoffe (Flüssiggas). Je mehr regenerativer Strom in diesem Netz noch zum Einsatz kommen kann, umso höher der Anteil an zusätzlichen regenerativen Energien zur Wärmeerzeugung. In den ersten Jahren des Betriebs hat sich gezeigt, dass von Mai bis Oktober das Wärmenetz mit einer solaren Energieabdeckung von über 80% betrieben werden kann.

Welche Akteure waren an der Umsetzung beteiligt?

Das Kommunalunternehmen Energie Dollnstein, eine hundertprozentige Tochter der Marktgemeinde Dollnstein in Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen waren an der Umsetzung beteiligt. Insbesondere der ortsansässige Hersteller von Schichtspeichern und Wärmepumpen unterstützte das kommunale Unternehmen bei der Konzeption des Wärmenetzes und der Komponenten.

Wie hoch waren die Kosten und wurde das Vorhaben gefördert?

Die Gesamtkosten beliefen sich auf ca. 1,7 Mio. Euro. Für dieses Projekt wurden Fördermittel (Zuschüsse) der KfW-Bank und der BAFA in Anspruch genommen.

Welche Herausforderungen gingen mit der Umsetzung Ihres Projektes einher?

Der hohe Grad an Innovation und die Komplexität in der Steuerung des intelligenten Wärmenetzes haben einen Vertrauensvorschuss bei allen Beteiligten, auch den Anschlussteilnehmern, benötigt. Die regulatorischen Rahmenbedingen haben die Umsetzung nicht erleichtert. So musste beispielsweise ein eigenes Stromnetz zur Versorgung der kleinen Wärmepumpen (Übergabestationen) verlegt werden, da eine Durchleitung des selbst erzeugten Stroms aus der Heizzentrale zu den Anschlussteilnehmern über das öffentliche Netz nicht möglich war.

Welchen Anpassungsbedarf der regulatorischen Rahmenbedingungen sehen Sie, um die Sektorenkopplung in Deutschland stärker zu fördern?

Der Zugang zu kostengünstigem, ansonsten abgeregeltem Strom muss vereinfacht werden. Die Steuern und Abgaben auf Strom machen es nahezu unmöglich, mit Strombezug eine Wärmeerzeugung wirtschaftlich zu betreiben. Das Nahwärmenetz Dollnstein ist durch die eingesetzten Aggregate und die intelligente Steuerung darauf vorbereitet, Strom dann sinnvoll einzusetzen, wenn er verfügbar ist.

War dieses Projekt das erste seiner Art oder gab es schon Erfahrungen aus anderen Regionen und Projekten?

Das „kalte“ Nahwärmenetz war sowohl in der Gestaltung der Wärmeerzeugung und -lieferung, als auch der intelligenten Steuerung absoluter Vorreiter. Allerdings hat unser erfolgreicher Pilot einige Kommunen zu Nachahmung motiviert. In Bodenmais in Niederbayern und in der Gemeinde Haßfurt in Unterfranken befinden sich kalte Nahwärmenetze nach dem Modell Dollnstein in der Umsetzung.

Wodurch entstand die Initiative zum Sektorenkopplungsprojekt, wer waren die entscheidenden Treiber?

Nachdem eine Voruntersuchung zur Machbarkeit eines Nahwärmenetzes in Dollnstein – basierend auf einem klassischen Hochtemperaturnetz – zu einem negativen Ergebnis geführt hat, waren es die Mitglieder des Kommunalunternehmens Energie Dollnstein, welche mit innovativen Ideen und entsprechender Motivation das Konzept realisierbar gemacht haben. Mit Unterstützung der Kommune und dem Vertrauen der Anschlussteilnehmer konnte das Projekt umgesetzt werden.

Gibt es in der Kommune weitere Planungen für Sektorenkopplungs-Projekte?

Derzeit liegt der Fokus eher auf der Evaluierung des bestehenden Wärmenetzes. Es wird im Rahmen eines Forschungsprojektes mit der TH-Ingolstadt im Bereich Sektorenkopplung untersucht, um mögliche Potentiale zur Verbesserung aufzudecken.

Ihr Fazit zur Sektorenkopplung?

Für die wirtschaftliche Integration von erneuerbarem Strom in der Wärmeversorgung muss die Politik insbesondere das Steuer- und Abgabensystem neu austarieren.