Das Gasnetz als erneuerbare Verteilerplattform
Die Erdgas-Infrastruktur Deutschlands umfasst 500.000 Kilometer Leitungen, aus denen an 10,7 Millionen Punkten Gas entnommen werden kann. Darunter sind nicht nur Gasheizungen und Blockheizkraftwerke, sondern auch 850 Gastankstellen. Mit dem Umstieg auf ein erneuerbares Energiesystem bleibt diese Infrastruktur wichtig. Mehr und mehr Methan wird aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Physikalisch ist es identisch mit fossilem Erdgas. Schon heute hilft das Gasnetz bei der flexiblen Bereitstellung von Strom, Wärme und Kraftstoff. Rund 200 Biogasanlagen speisten 2017 bereits Biomethan in das Gasnetz ein. Die Bioraffinerie in Schwedt zeigt, wie das Gasnetz als erneuerbare Verteilerplattform die bisher getrennten Verbrauchssektoren Strom, Wärme und Mobilität verbindet.
Auf einen Blick
Warum ist das ein gutes Beispiel für das notwendige Update unserer Energieversorgung?
Aus einem Koppelprodukt der Biokraftstoffproduktion und aus Stroh entsteht Biomethan, das ins Gasnetz eingespeist wird, um damit wiederum als Biokraftstoff oder für die Strom- und Wärmeerzeugung zur Verfügung zu stehen.
Gründung/Inbetriebnahme: 2011-2014
So werden Erneuerbare Energien genutzt:
Erneuerbare-Energien-Anlagen:
Bioraffinerie mit Bioethanolanlage (170.000 t Produktionskapazität) und
2 Biomethan-Aufbereitungsanlagen (30 MW, 16,5 MW)
Erneuerbare Stromerzeugung:
Bei Nutzung des gesamten Biomethans zur Strom- und Wärmeerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung kann der durchschnittliche Strombedarf von ca. 38.000 Haushalten gedeckt werden.
Erneuerbare Wärmeerzeugung:
Bei Nutzung des gesamten Biomethans zur Strom- und Wärmeerzeugung in Kraft-Wärme-Kopplung kann der durchschnittliche Wärmebedarf von ca. 3.800 Haushalten gedeckt werden.
Erneuerbare Mobilität:
Bei Nutzung des gesamten Biomethans als Kraftstoff können ca. 100.000 Pkw mit Gasmotor und durchschnittlichem Verbrauch ein Jahr lang versorgt werden.
So trägt die Anlage zum Update bei:
1. Flexibilität
- Koppelung: Gas/Mobilität, Gas/Strom, Gas/Wärme
2. Netze
- Nutzung eines Gasnetzes: Einspeisung
3. Speicher
- Gasspeicher: Gasnetz
4. Marktintegration
- Vermarktung für Mobilität: Biokraftstoffe (Biomethan, Bioethanol)
- Vermarktung von erneuerbarem Methan: Aufbereitung, Einspeisung, Verkauf
Wie es dazu kam
Schwedt ist seit den 1960er Jahren Standort einer Großraffinerie. In der DDR begann die Produktion von Kraftstoff aus sibirischem Rohöl. Seit 2005 produziert die von Mineralölkonzernen unabhängige VERBIO (Vereinigte Bioenergie) AG in der Industriestadt an der Oder auch Biokraftstoffe: Biodiesel, der meist fossilem Diesel beigemischt wird, sowie Bioethanol, das fossilem Benzin beigemischt wird.
Für die Bioethanolproduktion greift VERBIO auf Roggen, Weizen und Triticale aus einheimischer Landwirtschaft zurück. Neben diesen Energiepflanzen sollten aber auch agrarische Reststoffe erschlossen werden, die bei der Ernte oder weiteren Verarbeitungsschritten anfallen. Ihre Technologie hat die VERBIO AG darum Schritt für Schritt erweitert. Zunächst entstand nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft die Bioraffinerie. Sie umfasst die integrierte Herstellung von Bioethanol und Biomethan. Letzteres wird dabei aus der Schlempe, einem Reststoff der Bioethanolproduktion gewonnen. In der weiteren Entwicklung hat VERBIO danach eine zweite Biomethan-Anlage installiert, die ausschließlich auf der Basis von Stroh aus der umliegenden Landwirtschaft erneuerbares Methan produziert. Der Nährstoffkreislauf wird dadurch geschlossen, dass bei der Gewinnung von Bioethanol als Nebenprodukt Tierfutter entsteht und bei der Herstellung von Biomethan Fest- und Flüssigdünger anfallen, die in die regionale Landwirtschaft zurückgeführt werden.
Dass in Schwedt neben Bioethanol nun ebenso Biomethan gewonnen wird, ist auch ein Ergebnis des hohen Drucks auf die Biokraftstoffbranche. Regulierung und starker Wettbewerb zwingen zu ökologisch und ökonomisch immer effizienteren Verfahren. Nicht zuletzt wollte VERBIO-Vorstand Claus Sauter aber auch beweisen, dass eine großindustrielle Produktion von Biokraftstoffen der sogenannten „Zweiten Generation“ ohne die Verwendung von Nahrungsmitteln und mit bis zu 90 Prozent Treibhausgaseinsparung gegenüber fossilen Kraftstoffen zu wettbewerbsfähigen Kosten möglich ist.
Was hier passiert
Ein Großteil des Biogases entsteht in Deutschland in rund 9.000 landwirtschaftlichen Biogasanlagen aus Energiepflanzen und Reststoffen wie Gülle und Mist. In der Bioraffinerie Schwedt wird zwar auch Biomasse vergoren, um daraus Biogas zu gewinnen, doch unterscheidet sich die Anlage sowohl hinsichtlich ihrer Größe als auch ihres Konzepts. Einzigartig ist einerseits die Kombination mit der Bioethanolherstellung und andererseits die Verwendung von 100 Prozent Stroh.
Zunächst soll hier die Bioethanolherstellung erklärt werden: Bioethanol ist als „E5“ oder „E10“ zu fünf bzw. zehn Prozent dem fossilen Benzin beigemischt, kann aber auch als Reinkraftstoff „E85“ in dafür ausgelegten Motoren getankt werden. Das ist gar keine völlig neue Idee: In seinem am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten Verbrennungsmotor setzte Nicolaus Otto, späterer Namensgeber des Ottomotors, zuerst den Kraftstoff Bioethanol ein. Bei der Bioethanolproduktion wird die Stärke durch Maischen zunächst in Zucker umgewandelt, um dann zu Alkohol zu vergären. Um möglichst reines Bioethanol zu gewinnen, muss dieses flüssige Gemisch durch Destillation dann getrennt werden.
Zurück bleibt die von Alkohol befreite Schlempe, während das Bioethanol nach einem weiteren Aufbereitungsschritt als Kraftstoff angeboten werden kann. Hier setzt die Bioraffinerie an: Der Reststoff Schlempe dient als Ausgangsmaterial für die Erzeugung von Biogas. Es vergärt rund einen Monat lang unter Luftabschluss und Wärmezufuhr in bis zu 10.000 Kubikmeter großen Fermentern. Bakterien zersetzen die Biomasse und lassen damit Biogas entstehen. In der nachfolgenden Aufbereitungsanlage wird dem „rohen“ Biogas Schwefel, Kohlendioxid und Wasserdampf entzogen. Der Anteil des energiereichen Methans steigt so auf denselben Gehalt von fossilem Erdgas. So wird das Biogas aus der Schlempe zu Biomethan, das in seiner Beschaffenheit identisch ist mit Erdgas und damit direkt in das bestehende Erdgasnetz eingespeist werden darf. Die eingespeiste Menge Biomethan wird dann von den VERBIO-Kunden andernorts aus dem Gasnetz wieder entnommen, um beispielsweise Pkw, Busse oder Lkwmit Gasmotor zu betanken oder in Blockheizkraftwerken (BHKW) Strom und Wärme zu erzeugen.
VERBIO ist es auch erstmals gelunden, Stroh im großindustriellen Maßstab für die Biogaserzeugung zu erschließen. Unabhängig von der Bioethanolproduktion kommen in Schwedt jährlich bis zu 40.000 Tonnen Stroh zum Einsatz. Es wird in einer zweiten Anlage vergoren und zu Biomethan aufbereitet.
Neben dem Biomethan fällt bei der Vergärung der Schlempe und des Strohs gleichzeitig Fest- und Flüssigdünger an. Dieser Dünger wird in die regionale Landwirtschaft zurückgebracht, um den Nährstoffkreislauf geschlossen zu halten. Die Landwirte, die an die Bioraffinerie liefern, sparen somit auch teure Mineraldünger ein, die auf Erdöl basieren. Ein Teil der Schlempe wird darüber hinaus auch als Futtermittel verkauft.
Das Update für unser Energiesystem
Die Bioraffinerie Schwedt macht einerseits vor, wie die Landwirtschaft auch im großen Maßstab mit sinnvoll integrierter Bioenergienutzung ihre Effizienz und Stoffströme verbessern kann. Andererseits nutzt sie das Gasnetz bereits als deutschlandweite Verteilerplattform. Biomethan und in Zukunft auch synthetisches Methan aus erneuerbarem Strom verknüpfen über das Gasnetz den Strom-, Wärme- und Verkehrssektor. Diese Sektorenkoppelung macht es einem erneuerbaren Energiesystem einfacher, auch längere Zeiträume mit geringer Wind- und Solarstromerzeugung zu überbrücken. Die bisher für fossiles Erdgas aufgebaute Infrastruktur, von kleinen Blockheizkraftwerken (BHKW) über Gastankstellen bis Gasturbinen, muss nicht ausgetauscht werden, sondern kann durch den Ersatz des fossilen Erdgases auf dann erneuerbare Energiequellen umgestellt werden.
Die bisher mit fossilem Erdgas betriebenen BHKW und Gasturbinen sind ein wichtiger Bestandteil des erneuerbaren Energiesystems der Zukunft, weil sie ihre Leistung schnell herauf- und herunterfahren können. Diese Flexibilität ist für den Ausgleich der wetterabhängigen Wind- und Solarenergie unerlässlich. Im Wärmesektor bietet die Gasinfrastruktur mit Biomethan oder synthetischem Methan einen erneuerbaren Energieträger, der unabhängig von der Jahreszeit bedarfsgerecht abgerufen werden kann. Im Fall von Biogas schafft es auch die nötige geographische Flexibilität. Denn wenn kleine landwirtschaftliche Biogasanlagen vor Ort auf dem Bauernhof Strom und Wärme erzeugen, kann es fern von Siedlungen und Industrie mitunter schwierig werden, eine ausreichend große Zahl von Wärmeverbrauchern zu erreichen. Wird Biogas zu Biomethan aufbereitet und ins Gasnetz eingespeist, gelangt es auch in jene dicht besiedelten innerstädtischen Bereiche, die von den weit entfernten landwirtschaftlichen Biogasanlagen sonst nur schwer erschlossen werden können.
In den Verkehrssektor leistet die Gasinfrastruktur ebenfalls einen wichtigen Brückenschlag. Mit knapp 80.000 Fahrzeugen wird 2017 zwar nur ein Bruchteil des deutschen Kraftfahrzeugparks mit Gasmotoren angetrieben. Neben Elektromotoren, die erneuerbaren Strom nutzen können, haben Biomethan bzw. erneuerbares Methan aber eine wichtige Rolle in jenen Bereichen der Mobilität, die sich nicht einfach elektrifizieren lassen. Dazu zählen beispielsweise der Schwerlastverkehr, der nicht über die Schiene rollt oder schwere Nutzfahrzeuge im innerstädtischen Bereich. So liefert VERBIO Biomethan als Kraftstoff an mehrere Städte für den Betrieb ihrer Stadtbusflotten und nutzt selbst Biomethan als Kraftstoff für 17 der insgesamt 80 Lkw im hauseigenen Fuhrpark. Auch die Berliner Stadtreinigung betreibt die Hälfte ihrer 300 Müllfahrzeuge mit selbst erzeugtem Biomethan aus dem Berliner Bioabfall.
Wie es sich rechnet
VERBIO vertreibt neben Biodiesel das in der Bioraffinerie Schwedt erzeugte Bioethanol zur Beimischung an Mineralölkonzerne und liefert Biomethan als Kraftstoff an Tankstellenbetreiber. Darüber hinaus geht ein Teil des Biomethans auch an Energieversorger zur Strom- und Wärmeerzeugung und an die chemische Industrie. Dabei ist die Anforderung an wettbewerbsfähige Preise ist im preissensiblen Kraftstoffmarkt besonders hoch. Noch liegen die Herstellungskosten erneuerbarer Kraftstoffe in den meisten Fällen über denen für fossile Energieträger. Deren Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschäden sind praktisch nicht eingepreist – eine klare Benachteiligung für Biokraftstoffe.
„Es braucht intelligent optimierte Technologien, Skaleneffekte aus einer gewissen Größenordnung der Anlagen sowie einen gesellschaftlichen und politischen Willen für die Profitabilität solcher Projekte“, sagt VERBIO-Sprecherin UIrike Kurze, „VERBIO ist profitabel und stellt damit unter Beweis, dass es funktioniert. Aber das ständige Auf- und Ab in der Biokraftstoffpolitik sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene und die mit der aktuellen Treibhausgas-Quote zu niedrig gesteckten Dekarbonisierungsziele in Deutschland behindern vor allem neue Investitionen im Markt.“
Solange kein fairer Wettbewerb zwischen fossilen und Biokraftstoffen herrscht, sind die Treibhausgas-Quoten des Biokraftstoffgesetzes der Dreh- und Angelpunkt für die Vermarktung von Biodiesel, Bioethanol und Biomethan. Das Gesetz verpflichtet große Mineralölkonzerne, die Treibhausgasemissionen ihres Kraftstoffabsatzes schrittweise immer stärker zu reduzieren – minus 4 Prozent im Jahr 2017. Da die Biokraftstoffe aus Schwedt zwischen 70 bis 90 Prozent weniger Treibhausgase emittieren als ihre fossilen Pendants, sind sie für die Mineralölkonzerne als Beimischung attraktiv. Bilanziell kaufen sie die von VERBIO erzielte Treibhausgaseinsparung auf, um die gesetzlich auferlegten Reduktionsziele zu erfüllen. Wenn ein großes Angebot an Biokraftstoffen starke Treibhausgaseinsparungen ermöglicht, klingt das für das Klima zunächst sehr gut. Bleibt die gesetzliche Quote im Vergleich zum Klimaschutzpotenzial und den Produktionskapazitäten jedoch niedrig, kommt es zu einem Überangebot von Biokraftstoffen. Wer Biokraftstoff liefert, der relativ geringe Treibhausgaseinsparungen oder zu hohe Preise bietet, wird aus dem Markt gedrängt.
Wird das Biomethan nicht als Kraftstoff, sondern für die Strom- und Wärmeproduktion vermarktet, muss es sich dem Wettbewerb mit dem fossilen Erdgas stellen. Durch die Novellierungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und die verhältnismäßig niedrigen Erdgaspreise hat es Biomethan auch im Strom- und Wärmesektor noch schwer. Weil im Europäischen Emissionshandel zu viele Verschmutzungsrechte an Industrie und Energieversorger ausgegeben wurden, kann Biomethan seine gute Klimabilanz bisher auch dort nicht ausspielen.
Wie es weitergeht
Als flexibel einzusetzender Alleskönner für Strom, Wärme und als Kraftstoff steigt die Bedeutung von Biomethan. Auch politisch ist Biomethan auf Bundes- und EU-Ebene offiziell gewünscht, nicht nur wegen der im Vergleich zu anderen Verbrennungsmotoren niedrigen Emissionswerte bei Luftschadstoffen. Als Biokraftstoff der sogenannten „Zweiten Generation“ verzichtet Biomethan aus Stroh auf die Verwendung von Nahrungsmittelrohstoffen. Stattdessen werden ausschließlich Reststoffe genutzt, die sowieso anfallen. Statt einer befürchteten Konkurrenz um Anbauflächen wird die Produktion von Nahrungsmitteln, Futter und Energie auf ein und derselben Anbaufläche kombiniert.
Um Biokraftstoffe mit alternativen Einsatzstoffen wie Stroh in relevanten Mengen anbieten zu können und um noch effizientere Produktionsverfahren durchzusetzen, braucht es neue Produktionsanlagen. VERBIO wird zwar bis 2019 den geplanten Endausbau mit insgesamt 16,5 Megawatt Kapazität abschließen und Ende 2018 auch eine zweite 10-MW-Stroh-Biomethananlage in Deutschland in Betrieb nehmen. Aber danach sind erst einmal keine weiteren Anlagen in Deutschland geplant. Grundsätzlich fehlt der Branche die Investitionssicherheit, zumal seit der breiten Markteinführung von Biokraftstoffen in der Mitte der 2000er Jahre mehrfach Fördersysteme gekippt und Ausbauziele gekürzt wurden. Gleichzeitig ist nicht absehbar, dass den Mineralölkonzernen ehrgeizigere Treibhausgas-Quoten auferlegt würden.
Solange die Klimaschäden fossiler Energieträger im Preiswettbewerb mit Biokraftstoffen nicht ins Gewicht fallen, wird auch die Marktverzerrung andauern. Der Beitrag der Biokraftstoffe zum Klimaschutz im Verkehr dürfte dadurch gedeckelt bleiben. Auch wenn Biokraftstoffe alleine kein Allheilmittel sind, bleibt so ein bedeutendes Potenzial für Treibhausgaseinsparungen ungenutzt. Jährlich fallen in Deutschland über 20 Millionen Strohballen an mit einem Energiegehalt von 28,6 Milliarden Kilowattstunden. Erst ein Prozent dieses Reststoffs wird energetisch für die Strom-, Wärme- oder Kraftstoffproduktion genutzt. Nicht zuletzt steht Biomethan in der Diskussion um die Zukunft des Verkehrssektors im Schatten der Elektromobilität. Dabei schneidet ein Elektrofahrzeug, das den deutschen Strommix mit seinem hohen Kohleanteil nutzt, in der Ökobilanz noch deutlich schlechter ab als das Biomethan von der Oder.
Stand: Januar 2018
VERBIO Vereinigte BioEnergie AG
Ulrike.kurze@verbio.de
www.verbio.de
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