Energie-Kommune des Monats: Hattersheim
Januar 2012
„Die finanzielle Ausstattung der Stadt setzt unserem Handlungsspielraum enge Grenzen. Daher mussten wir andere Wege finden, um die Energiewende vor Ort zu schaffen.“ Karin Schnick, Erste Stadträtin und Umweltdezernentin der südhessischen Stadt Hattersheim, steckte beim Thema Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht den Kopf in den Sand. Dabei sind auch die Potenziale der Stadt am Main begrenzt und schwer zu erschließen: „Wir befinden uns hier in dicht besiedeltem Raum. Die Flächen für Windenergie oder Energiepflanzenanbau sind bei uns einfach nicht vorhanden.“ Um trotzdem etwas für den regionalen Ausbau zu tun, begann die Kommune 1999 die Infrastruktur zu rekommunalisieren und wechselte 2008 auf einen Ökostrom-Anbieter für die Versorgung der kommunalen Liegenschaften. Außerdem setzt die Stadt die baugesetzlichen Vorschriften ein, um Projekte der Erneuerbaren Energien zu fördern.
Bebauungsplan und Bürgerbeteiligung
„Gerade bei einem angespannten Haushalt muss man als Kommune kreativ mit
Vorschriften umgehen, um die Energiewende vor Ort möglich zu machen“,
erklärt Stadträtin Schnick mit spürbarer Begeisterung. „Über den
Bebauungsplan üben wir sanften Druck auf große, gewerbliche Bauvorhaben
aus. Damit haben wir bereits Photovoltaikmodule auf die Dächer eines
Einzelhandelsmarkts und eines Baumarkts gebracht.“ Dieser wirksame, aber
sanfte Druck funktioniert so: Das Baugesetzbuch schreibt nach Paragraph
9 Absatz 1 Nummer 25 die Begrünung von Gewerbedachflächen vor. Die
Begrünung gilt als Ausgleichsmaßnahme des Bundesnaturschutzgesetzes. Der
Bebauungsplan der Stadt Hattersheim schreibt die Dachbegrünung vor und
bietet gleichzeitig die Ausnahmeregelung, dass auf eine Dachbegrünung
zugunsten der Errichtung von Photovoltaikmodulen verzichtet werden kann.
Aber nicht nur die Unternehmen sollen beim Ausbau der Erneuerbaren helfen. Auch auf das Potenzial der Hattersheimer Bürger setzt Stadträtin Schnick: „Wir sind froh, wenn wir neben dem Gewerbe auch die Bürger einbinden können.“ Deshalb bietet die Stadt regelmäßig Informationsveranstaltungen zum Thema Solarthermie und Photovoltaik an. Es gibt bereits eine Bürgerinitiative zur Installation von Photovoltaikmodulen auf dem Dach der Freiwilligen Feuerwehr im Ortsteil Okriftel. Etwa 30 Bürger beteiligten sich an der Solargesellschaft FW Okriftel GbR mbH, doch die Nachfrage war eigentlich noch größer. Die geplante Installationsfläche musste erweitert werden, aber nicht alle Interessierten haben auch Anteile erwerben können. Bei kommenden Sanierungen der öffentlichen Gebäude stehen also genug Hattersheimer in der Warteschlange, um für neue Solaranlagen zu sorgen.
Auf die richtige Zertifizierung kommt es an
Doch für Solaranlagen im Ort sorgen nicht nur das Gewerbe und die
Hattersheimer Bürger. Auch der Ökostrom-Anbieter hat in Hattersheim
bereits Module installiert. Auf dem Dach eines Kindergartens wurde eine
Anlage angebracht. Der Anbieter, die Naturstrom AG, investiert einen
Teil der Einnahmen in neue Kraftwerke vor Ort. Das ist für einen
Ökostrom-Anbieter nicht selbstverständlich, denn viele besitzen keine
eigenen regenerativen Kraftwerke, sondern kaufen sogenannte
RECS-Zertifikate, die in ganz Europa vertrieben werden, von anderen
Anbietern. „Uns war es wichtig, nicht Teil eines reinen Greenwashings zu
sein, sondern damit wirklich aktiv die Energiewende zu unterstützen“,
erklärt Stadträtin Schnick. Um sicher zu gehen, empfiehlt es sich auf
die Zertifizierung von Kontrollinstanzen wie dem Grünen Strom Label zu
achten.
Dabei muss der „wirkliche“ Ökostrom nicht unbedingt teurer sein, als der konventionelle Strom aus Atom- und Kohlekraftwerken. Die Hattersheimer haben den Strompreis im Vorfeld verglichen. Dabei stellte sich heraus, dass die Versorgung des Anbieters Naturstrom knapp unter dem Preisniveau des vorhergehenden Anbieters lag, inklusive einer Preisbindung von 36 Monaten. Auch nach Ablauf dieser Bindung zahlt die Stadt nicht mehr, als früher an den konventionellen Anbieter.
Durch die Umstellung auf Ökostrom geht die Kommune nicht nur mit gutem Beispiel voran. Sie entlastet außerdem ihre Stadtkasse, denn die Stadt profitiert von den eingesparten Investitionskosten und den Pachteinnahmen durch die Vermietung der Dachfläche. Durch die bisher errichteten Anlagen werden jährlich 120 Megawattstunden Strom bereitgestellt. Damit werden schon knapp 13 Prozent des Stromverbrauchs der städtischen Liegenschaften vor Ort produziert.
Die energetische Infrastruktur in Hattersheim ist gerüstet
Schon früh erkannten die Hattersheimer, dass eine dezentrale Versorgung
auch mit Erneuerbaren Energien, über Strom- und Nahwärmenetze geht, die
aus kleinen Blockheizkraftwerken gespeist werden. Als die Stadt Ende der
neunziger Jahre im Zuge der Liberalisierung des Strommarkts anfing, die
energetischen Versorgungsnetze der Stadt zu rekommunalisieren, stieß
dies beim zuständigen Unternehmen Süwag, einer Tochter der RWE, auf
Widerstand. Da in der Stadt noch keine Erfahrungen mit der Errichtung
von eigenen Versorgungsnetzen und den zugehörigen rechtlichen
Vorschriften vorhanden war, holten sich die Hattersheimer Rat von
anderen Kommunen und kommunalen Unternehmen, wie den Stadtwerken
Offenbach. Mit dem notwendigen Wissen ausgestattet, war nun eine
Kommunikation auf Augenhöhe möglich.
Die ersten Leitungen wurden in einem Bebauungsgebiet gelegt, welches noch nicht fertig erschlossen war, das heißt, die Straßen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht öffentlich. Somit konnte das Konzessionsrecht umgangen werden. Da das Gelingen des Projekts nicht garantiert war, wurde die gleiche Firma beauftragt, die auch für die Süwag Netze baut. Somit kam der gleiche Standard zum Einsatz und ein eventueller Verkauf des Netzes an Süwag wäre im Notfall möglich gewesen. Erwartungsgemäß gab es Probleme beim Anschluss des Arealnetzes an das Mittelspannungsnetz, welcher zum Ausgleich von Lastspitzen unumgänglich ist. Doch nach langwierigen Verhandlungen konnte eine Einigung erzielt werden. „Aus dem Streit hat sich ein richtig gutes Arbeitsverhältnis entwickelt. Sie haben was davon und wir haben was davon. Somit können wir alle profitieren“, resümiert Stadträtin Schnick. Die Süwag hat die Betriebsführung des Arealnetzes übernommen, während die Stadt lediglich als Eigentümerin der Leitungen auftritt. Derzeit sind 600 Wohneinheiten an das Areal- und das Nahwärmenetz angeschlossen.
Die Energieversorgung der Zukunft ist interkommunal
Um die Infrastruktur in Zukunft ausschließlich mit Erneuerbaren zu
versorgen, setzt die Stadt auf die Zusammenarbeit mit den angrenzenden
Kommunen. Gemeinsam mit dem gesamten Main-Taunus-Kreis gibt es mehrere
Pilotprojekte auf dem Gelände der Rhein-Main-Deponie. Weitere Projekte
auf dem Weg zu Erneuerbaren Energien werden in enger Zusammenarbeit mit
dem Landkreis geplant. Das Gebiet rund um Hattersheim wurde von
Investoren auf Potenziale für Tiefen-Geothermie geprüft. Der
Regionalverband FrankfurtRheinMain ist für die Planungen und
Potenzialanalysen im Bereich der Windenergie zuständig. „Aufgrund des
Wechsels der politischen Einstellung im Land Hessen gegenüber der
Windkraft könnten auch im Regionalverband Rhein-Main bald
Windenergieanlagen errichtet werden“, zeigt sich Stadträtin Schnick
zuversichtlich. Auch für Hattersheim und ihre Bürger wäre so eine
Beteiligung am Ausbau der Windenergie möglich. Positiv hebt Frau Schnick
auch das Solarkataster des Landes Hessen hervor: „Ich bin sehr froh
darüber, weil auch wir davon profitieren können. Dass überhaupt mal was
passiert ist gut, das war ja viele Jahre anders.“ Hattersheim ist für
den neuen Schwung der Landesregierung bestens vorbereitet.
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