Kreis Steinfurt
Mai 2009
Im münsterländischen Steinfurt haben sich Kreisverwaltung und Landwirte zusammengetan: Seit 2005 werden die Gebäude der Kreisverwaltung, ein Schulzentrum sowie ein Gesundheitszentrum und ein Freibad mit Nahwärme aus einer Biogasanlage versorgt. Der Anschluss weiterer Gebäude ist geplant. Im Jahr 2050 will der „Zukunftskreis Steinfurt“ mit seinen 24 Kommunen sich ausschließlich mit heimischen Erneuerbaren Energien versorgen.
Power vom Bauer: Ein Landkreis macht sich unabhängig
Lieferanten für die Biogasanlage sind Landwirte vor Ort, mit denen ein Wärmeliefervertrag zu Festpreisen abgeschlossen wurde. Um in den Sommermonaten die anfallende Wärme optimal nutzen zu können, wird mit ihr das Freibad beheizt. Pläne für den Anschluss von weiteren Schulgebäuden, einer Turnhalle, und einer Werkstatt für behinderte Menschen an das Nahwärmenetz werden zurzeit geprüft. „Dann wäre die Kapazität ausgelastet. Bereits jetzt spart der Kreis durch die Umstellung von Erdgas auf Biomasse 35.000 Euro jährlich ein. Umgerechnet bedeutet dies eine Einsparung von 5.000 Tonnen CO2 jährlich“, berichtet Ulrich Ahlke. Der Diplom-Ingenieur ist Leiter des zehnköpfigen Agenda 21-Büros des Kreises Steinfurt.
100 % Erneuerbare Energien für die lokale Wertschöpfung
Dieses erste Projekt war die Initialzündung dafür, im Kreis Steinfurt dezentral Potenziale für die eigene Energieversorgung zu nutzen. Mit 245 Megawatt (MW) installierter Leistung von 111 Windenergieanlagen und weiteren 13 MW von 23 Biogasanlagen würde die elektrische Leistung theoretisch ausreichen, um 75 % aller privaten Haushalte im Kreis mit regenerativ erzeugtem Strom zu versorgen. Im Juni 2008 hatte der Kreistag die Entwicklung eines Klimaschutzprogramms mit dem Ziel verabschiedet, 2050 energieautark zu sein. Erreicht werden soll das durch mehr Energieeffizienz und die regionale Nutzung Erneuerbarer Energien. „Reden reicht nicht. Man muss auch handeln und Ökologie ökonomisch verpacken. Im Kreis Steinfurt liegen die Ausgaben für Energie bei jährlich 1,4 Milliarden Euro. Auf die regionale Wertschöpfung entfallen aber nur zehn Prozent. Das wollen wir bis 2050 umdrehen, rechnerisch energieautark werden, Arbeitsplätze schaffen und so die Wertschöpfung im Kreis stärken“, zählt der 52-jährige Ahlke auf. Dafür geht die Kreisverwaltung mit gutem Beispiel voran. Der Biogasanteil bei der Wärmeversorgung der Verwaltungsgebäude liegt bei über 80 %.
Landwirte und Kreisverwaltung finden zusammen
Bis dahin war es ein weiter und steiniger Weg. Geboren wurde die Idee, das Kreishaus mit regenerativer Wärme zu versorgen, durch eine Diplomarbeit aus der Fachhochschule Steinfurt. Damals lag dem öffentlich diskutierten Konzept der Einbau einer Hackschnitzelanlage zu Grunde. „Schließlich kamen die Landwirte auf uns zu und fragten, ob nicht eine Versorgung durch Biogas möglich wäre. Daraus entwickelten sich spannende Diskussionen mit Politik und Bürgern. Einige glaubten, dass die Güllefässer direkt vor das Kreishaus gefahren werden. Es fanden sich schnell Bedenkträger zusammen“, erinnert sich Ahlke. Diese konnten mit einem ausgewogenen Konzept und politischer Rückendeckung überzeugt werden.
Effiziente Nutzung von Biogas
Mit Landwirten und dem seit 2002 existierenden Netzwerk Biogas wurde ein Konzept entwickelt. Da eine Biogasanlage im Stadtgebiet nicht denkbar war, musste eine andere Lösung her. Die Wahl fiel auf eine räumliche Trennung von Biogasproduktion und eigentlicher Wärmeerzeugung. Dafür entstanden außerhalb von Steinfurt in der nahe gelegenen Bauernschaft Hollich auf einer Gesamtfläche von 2,5 Hektar eine Biogasanlage und direkt am Kreishaus ein Blockheizkraftwerk (BHKW). Verbunden wurden das BHKW und die Biogasanlage durch eine 3,6 Kilometer lange Biogasleistung. Durch diese strömt das Biogas bis zum BHKW am Kreishaus. Hier wird es durch Verbrennung in Wärme umgewandelt, die wiederum in das Nahwärmenetz eingespeist wird. Über diesen Weg kann das Biogas optimal genutzt werden. Würde die Wärme direkt an der Biogasanlage erzeugt und über eine Nahwärmeleitung transportiert, wären die Wärmeverluste hoch gewesen. Hinzu kämen die Investitionskosten. Im Verhältnis zu Nahwärmeleitungen sind Biogasleitungen deutlich günstiger. Hier müssen je nach Bodenbeschaffenheit zwischen 40 und 80 Euro für den laufenden Meter veranschlagt werden.
Die thermische Leistung des BHKW am Kreishaus liegt bei 505 kW, die elektrische bei 536 kW. Ein weiteres BHKW an der Biogasanlage hat eine elektrische Leistung von 347 kW und eine thermische von 390 kW. Die Wärme wird auch für die Trocknung von Gärresten verwendet. Insgesamt reicht die Leistung aus, um umgerechnet jährlich 6,7 Millionen kWh Strom zu erzeugen. Das entspricht dem durchschnittlichen Bedarf von 1.675 Einfamilienhäusern. Die erzeugten 4 Millionen kWh Wärme würden ausreichen, um 300 Einfamilienhäuser mit Wärme zu versorgen.
„Wir wollten mit der Biogasanlage zudem dahin, wo die Landwirte sind und die Rohstoffe anfallen. So lassen sich unnötige Transportwege vermeiden. Dafür mussten dicke Bretter gebohrt werden. Vor allem der heimische Energieversorger hatte uns spüren lassen, dass er das Projekt ablehnt und lieber sein Erdgas verkaufen wollte“, so Ahlke.
Eigenständige solide Projektfinanzierung
Trotz des abschlägigen Bescheides der örtlichen Stadtwerke konnte das Projekt gestemmt werden. Die notwendigen Investitionskosten für das komplette Projekt in Höhe von 3,4 Millionen Euro brachten 46 Landwirte und 23 reine Kapitalgeber auf. Sie gründeten die Bioenergie Steinfurt GmbH und Co. KG. Neben einem Zuschuss vom Land Nordrhein-Westfalen beteiligte sich die KfW-Förderbank mit einem Darlehen über 90.000 Euro an der Finanzierung. Investitionssicherheit für Landwirte und Kapitalgeber schaffte ein Wärmeliefervertrag mit dem Kreis über eine Laufzeit von 15 Jahren. „Wir haben dabei ganz bewusst verhindert, dass sich zwischen Landwirte und Kreis noch ein Unternehmen schiebt“, berichtet Ahlke.
Weitere Einnahmen generiert die Bioenergie Steinfurt über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Es vergütet Kraft-Wärme-Kopplung, die Stromproduktion oder den Einsatz von Gülle und nachwachsenden Rohstoffen mit zusätzlichen finanziellen Anreizen. Den Rohstoff in Form von Gülle, Maissilage oder landwirtschaftlichen Nebenprodukten liefern die Bauern. Der Anbau erfolgt nur auf ehemals stillgelegten landwirtschaftlichen Flächen. Der tägliche Bedarf liegt bei 30 Tonnen Maissilage, drei Tonnen Mist, zehn Tonnen landwirtschaftlicher Zwischenfrüchte sowie zehn bis 30 Tonnen Gülle.
Verwertung der Gärreste als Dünger sichert Nährstoffkreislauf
Nach dem Gärprozess wird die nährstoffhaltige Gülle aus den Fermentern in große Zwischenbehälter gepumpt und von dort wieder als Dünger auf die Felder gebracht. „Jeder Landwirt stellt etwa 10 % seiner Fläche für den Anbau zur Verfügung. Bei allen stellt die Kooperation mit dem Kreis einen Nebenerwerb da, denn das Kerngeschäft soll die Landwirtschaft bleiben. Dieses dezentral gedachte Konzept hat sich bewährt“, stellt Sven Nefigmann, Geschäftsführer der Bioenergie Steinfurt GmbH, fest.
Projekt findet Nachahmer
Das Modell, Biogas direkt beim Verbraucher in Wärme umzuwandeln, macht Schule. Möglich wird das durch den inzwischen wirtschaftlichen Transport des Gases über Leitungen. „Die Stadt Rheine und andere Gemeinden ziehen nach. Etwa bei der Hälfte aller Biogasanlagen fehlt bisher ein schlüssiges Wärmekonzept“, berichtet Nefigmann.
In dem Netzwerk für nachwachsende Rohstoffe geht es vor allem um den Einsatz regionaler Biomasse. „Der Kreis hat 3.500 Kilometer Wallhecken. Die durch den jährlichen Pflegeschnitt anfallende Biomasse reicht aus, um 3.500 Häuser mit Energie zu versorgen. Mit den Kommunen arbeiten wir an Konzepten für die Nutzung“, sagt Ahlke. Ohne den Agenda-Prozess ließen sich solche Ideen nicht in die Tat umsetzten.
Foto: Gemeinde Steinfurt
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