Energie-Kommune des Monats: Schlöben
Dezember 2012
Inmitten der thüringischen Bioenergie-Region Jena-Saale-Holzland liegt die Gemeinde Schlöben. Seit 2009 arbeitet die Energiegenossenschaft „Bioenergiedorf Schlöben eG“ unter Mitwirkung von Bürgern, der örtlichen Agrargenossenschaft „Wöllmisse“ Schlöben eG sowie der Kommune an einer wirtschaftlich sinnvollen, regionalen und nachhaltigen Wärmeversorgung für die 1000 Einwohner der Gemeinde. Immer vorne mit dabei ist der engagierte Bürgermeister der Gemeinde Schlöben, Hans-Peter Perschke. „Wir streiten uns in der Gemeinde nicht über die Farbe des Bürgersteigs“, beschreibt der Bürgermeister das neue Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gemeinde. „Denn die Genossenschaftsmitglieder besprechen andere Themen am Stammtisch: Etwa Wärmespitzen oder die Wärmenutzung im Sommer“.
Die positive Resonanz in der Bevölkerung ist neben effektiver Aufklärungsarbeit und Bürgerbeteiligung wohl auch der etablierten Stellung des regionalen Agrarunternehmens und seinem Vorstandsvorsitzenden Matthias Klippel zu verdanken. „Wir sind ein großer Betrieb mit vielen Fahrzeugen, die zur Erntezeit häufig unterwegs sind“, erklärt Klippel. „Und auf dem Land riecht es zu manchen Zeiten nun einmal. Wir sind ob mit oder ohne Biogas auf die Akzeptanz der Bevölkerung angewiesen.“ Die Agrargenossenschaft betreibt die Biogasanlage der Bürgergenossenschaft, die das nötige Biogas für die Blockheizkraftwerke (BHKW) liefert. In der Energiegenossenschaft sind neben den Gemeinderatsmitgliedern, dem Vorstand des Agrarunternehmens und engagierten Bürgern auch ein politischer Vertreter des Landkreises und Vertreter der „Regionalen Arbeitsgruppe Saale-Holzland e.V.“ der Bioenergie-Region aktiv.
Bürgernetze für Wärme und Datenraten von 100 Megabit pro Sekunde
Ganz oben auf der gemeinsamen Agenda stehen effektive Stoffströme. Die
Rohstoffe für die Energieversorgung werden aus der Region bezogen, um
lange Lieferwege zu vermeiden. Insgesamt versorgt die 795 Kilowatt
Biogasanlage über eine Biogasleitung ein Zündstrahl-BHKW auf dem Gelände
des Agrarunternehmens und zwei Satelliten-BHKW im ca. 1,6 Kilometer
entfernten Dorf Schlöben. So fällt die Abwärme aus der Verstromung
direkt dort an, wo sie gebraucht wird. Zu Spitzenzeiten steht eine
Holzhackschnitzelheizung zur Verfügung, um auch im Notfall für eine
reibungslose Vollversorgung rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr zu
sorgen. Anders als bei der Nutzung fossiler Brennstoffe bleibt die
Wertschöpfung vor Ort und fließt wieder in den kommunalen
Wirtschaftskreislauf.
Beim Ausbau des Nahwärmenetzes sind die Bürger über die Genossenschaft direkt beteiligt. Während der Verlegung wurden die Haushalte auch mit einem Glasfaser-Breitbandnetz verbunden mit Datenraten von 100 Megabit pro Sekunde - ein kosteneffizienter und geschickter Schachzug. Genossenschaftsmitglieder können somit in mehrfacher Hinsicht von ihrer Einlage profitieren – sie bekommen die Anschlüsse an das Nahwärme- und Telekommunikationsnetz „frei Haus“, beziehen Wärme zu einem konstanten Preis von 6,6 Cent pro Kilowattstunde und erhalten zudem Dividenden. Und auch die Gemeinde zieht Vorteile aus dem Konzept – die Infrastruktur bleibt in den Händen der Bioenergiegenossenschaft. Energiekosten von ca. 250.000 Euro, die jährlich aus der Region abflossen, bleiben nun künftig vor Ort. Sie sorgen für neue Arbeitsplätze, stärken die Kaufkraft und generieren neue Steuereinnahmen für die kommunalen Kassen. „Diese Mittel ermöglichen es uns bestehende Infrastrukturen weiter auszubauen, Straßen und Schulen zu sanieren und den Wohlstand in der Region zu steigern.“, meint der Bürgermeister.
Treibstoff, Wärme und Strom aus der Region
Die Landwirte der Agrargenossenschaft „Wöllmisse“ Schlöben eG nutzen
prozentual gesehen nur 18 Prozent der Fläche für den Anbau von
Energiepflanzen zur Produktion von Biogas und Biokraftstoffen. Das
Unternehmen produziert seit 2006 Rapsölkraftstoff, um die eigenen
Nutzfahrzeuge unabhängig von fossilen Brennstoffen zu machen. Bei der
Herstellung fallen Rapspresskuchen an, welche als nahrhaftes
Futtermittel für die Milchkühe und Rinder der Agrargenossenschaft
eingesetzt werden können. Bei einem Nettopreis von 1,18 Euro pro Liter
verkauft die Agrargenossenschaft seit Jahren Kraftstoffe an ein breites
Kundenklientel: Privatkunden, eine Spedition und regionale Forstbetriebe
kaufen jährlich rund 200.000 Liter Rapsölkraftstoff. Die Marke
„Wöllmisse Öl“ ist in der Region bekannt und wirbt für die Energie aus
der Region.
Bis 2020 möchte die Bioenergieregion Jena-Saale-Holzland den Anteil der Biomasse am Strommix auf 25 Prozent und im Warmebereich auf 35 Prozent steigern. Das Ziel den Biokraftstoffanteil in der Landwirtschaft auf 75 Prozent anzuheben ist kurzfristig unwahrscheinlich. Matthias Klippel ist überzeugt, dass „die Zielsetzung der Region ambitioniert ist, da Biokraftstoffe nicht konkurrenzfähig sind bei der aktuellen Steuerpolitik“. Sollte die Energiesteuer weiter ansteigen, steigt der Preis für einen Liter Biokraftstoff auf über 1,43 Euro und kann wirtschaftlich nicht mehr mit konventionellen Kraftstoffen konkurrieren. Neben den Problemen mit der Versteuerung von Biokraftstoffen sieht Klippel auch massiven Handlungsbedarf bei der thüringischen Landespolitik in der Zielsetzung für den Nahwärmenetzausbau. Klippel wünscht sich „ein deutliches, politisches Signal zur Förderung des Ausbaus von Nahwärmenetzen, um die dezentrale Energieversorgung auch im ländlichen Bereich zu fördern“.
Perspektivisch wird die Bioenergiegenossenschaft Schlöben ihr Angebot auf den Direktvertrieb von Ökostrom ausweiten. Zudem ist eine Erweiterung des Wärmenetzes angedacht, um weitere Ortschaften in der Region mit Wärme aus 100 Prozent Erneuerbaren Energien versorgen zu können. Die enge Kooperation der Gemeinde mit dem Landkreis, der Stadt Jena sowie den angrenzenden Landkreisen hat Früchte getragen. Der rege Erfahrungsaustausch unterstützt Projekte zur Bewirtschaftung von Kurzumtriebsplantagen und Anbau von alternativen Energiepflanzen wie der durchwachsene Silphie sowie den weiteren Ausbau von Nahwärmesystemen in der Region.
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