Energie-Kommune des Monats: Göttingen
November 2012
Die niedersächsische Universitätsstadt Göttingen will bis 2020 ihre CO2-Emissionen um 40 Prozent, bis 2050 um 100 Prozent reduzieren. Um diese Ziele zu erreichen, setzt die 130.000-Einwohner-Kommune auf das Zusammenspiel von Energieeffizienz und regenerativer Energieversorgung. „Als größere Stadt sind unsere Möglichkeiten bei der Nutzung Erneuerbarer Energien natürlich eingeschränkter als auf dem Land, da uns nur begrenzt freie Flächen zur Verfügung stehen. Dafür können wir mehr über Effizienzsteigerung bewirken. In Göttingen ist uns aber wichtig, dass beides Hand in Hand geht“, erklärt Oberbürgermeister Wolfgang Meyer. Für ein integriertes Klimaschutzkonzept ließ die Kommune 2010 gemeinsam mit Universität und Stadtwerken ihre Potenziale konkret ermitteln. Danach entfallen zwei Drittel der möglichen Einsparungen auf Effizienzsteigerungen, ein Drittel könnten die Erneuerbaren im Stadtgebiet leisten. Die Leiterin des städtischen Fachdienstes Klimaschutz und Energie, Dinah Epperlein, arbeitet nun an der Umsetzung der Potenziale. „Dafür stehen wir auch im Austausch mit dem Landkreis Göttingen. Die Kooperation gibt uns zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten“, fügt der Oberbürgermeister hinzu.
Erneuerbare Fernwärme durch Biogas
In der Wärmeversorgung von Stadtquartieren setzt Göttingen die
Verknüpfung von Effizienz und Erneuerbaren bereits um. Teile der
Innenstadt und zwei Neubausiedlungen werden durch drei Fernwärmenetze
der Stadtwerke versorgt. Vor Ort erzeugen jeweils Blockheizkraftwerke
(BHKW) mittels Kraft-Wärme-Kopplung zugleich Wärme und Strom.
Ursprünglich wurden die Motoren mit Erdgas betrieben, mittlerweile
jedoch auf die Nutzung von Biogas umgestellt. Ein Teil des Biogases
kommt direkt aus der Region: Im benachbarten Rosdorf betreiben 32
Landwirte seit Ende 2011 eine Biogasanlage mit einer Leistung von mehr
als 2,5 Megawatt. Der Großteil des Rohbiogases wird jedoch nicht an der
Anlage in Energie umgewandelt, sondern über eine acht Kilometer lange
Leitung in das Göttinger Heizkraftwerk transportiert. Dort fließt es in
drei neue 650-Kilowatt-BHKW, die an das größte Fernwärmenetz in der
Innenstadt angeschlossen sind. 10 Prozent der Göttinger Haushalte
beziehen so ihre Wärme. „Das größte Potenzial für die Nutzung von
Fernwärme liegt in verdichteten Innenstadtgebieten, in denen es die
Erneuerbaren Energien ansonsten relativ schwer haben. Wir wollen daher
die Fernwärme in der historischen Innenstadt deutlich ausbauen“,
berichtet Dinah Epperlein.
Modellprojekt im historischen Stadtquartier
Das gilt auch für das historische Quartier am Botanischen Garten. Das
Viertel steht stellvertretend für die Göttinger Innenstadt – zwei
Drittel der etwa 150 Bauwerke stehen unter Denkmalschutz, was
Sanierungsmaßnahmen erschwert. Pro Jahr werden mehr als 13 Millionen
Kilowattstunden Wärme verbraucht. In einem Modellprojekt ließ die Stadt
untersuchen, wie hier dennoch eine CO2-freie Energieversorgung möglich
ist. Für das Sanierungskonzept wurden fünf Gebäudetypen vom Fachwerkhaus
bis zum 80er-Jahre-Bau identifiziert, die den Bestand weitgehend
abdecken. Für jeden davon wurden der durchschnittliche Wärmebedarf und
das maximale Einsparpotenzial erhoben. Gebäude, die sich nicht einordnen
ließen, wurden individuell untersucht. Das Ergebnis überraschte alle
Beteiligten: Je nach Typ lassen sich zwischen 36 und 47 Prozent sparen,
im Durchschnitt sind es 39 Prozent. Und die Wärmedämmung erfolgt dabei
ohne Beeinträchtigung der denkmalgeschützten Dächer und Fassaden, da
lediglich im Innenbereich, etwa an der Kellerdecke, und zur Rückseite
hin gedämmt wird. „Damit haben weder die Eigentümer, noch die
Energieberater gerechnet“, erinnert sich Epperlein. „Das Vorurteil,
historische Quartiere könnten nichts zur CO2-Reduzierung beitragen, ist
damit klar widerlegt.“ Bei einem Anschluss aller Haushalte an das
bestehende Fernwärmenetz können laut Studie durch ein weiteres
Biogas-BHKW im Heizkraftwerk die restlichen Emissionen vollständig
eingespart werden – auch im Strombereich wäre der Bedarf gedeckt. So
würden knapp 2.500 Tonnen CO2 im Jahr vermieden. „Über die Fernwärme
können wir die Erneuerbaren Energien in die Stadt hineintragen“, freut
sich Dinah Epperlein. „So haben wir die Chance, das Quartier vollkommen
CO2-frei zu versorgen.“ Das Konzept soll nun auf den Rest der Innenstadt
ausgeweitet und der Fernwärmeanschluss Stück für Stück erweitert
werden.
Enge Kooperation zwischen Stadt und Landkreis
Starke Netzwerke sind für die Göttinger bei der Umsetzung der
Energiewende vor Ort unverzichtbar. Um den Informationsaustausch
zwischen Kommunen, Landwirten, Unternehmen und Bürgern zu stärken, wurde
2009 die Energieagentur Region Göttingen gegründet. Sie bietet
Energieberatungen an und unterhält ein „Netzwerk Regenerative Energien“,
das von der EU gefördert wird. Auch die Göttinger Universität, die zu
Erneuerbaren Energien und insbesondere zur Nutzung von Bioenergie
forscht, ist beteiligt. Zudem wirkt die Agentur an vielen Projekten vor
Ort mit, so auch im historischen Stadtquartier. Daneben betreibt sie
etwa ein Solarportal. Der Online-Wegweiser vermittelt auch zwischen
Dachflächen-Besitzern, Investoren und Handwerksbetrieben. Zurzeit wird
ein ähnliches Netzwerk in den Bereichen Energieberatung und baulicher
Wärmeschutz aufgebaut.
Als eine von 19 Kommunen wurde die Stadt Göttingen in diesem Jahr für das Projekt „Masterplan 100 % Klimaschutz“ des Bundesumweltministeriums ausgewählt. Auch dabei legt sie Wert auf Zusammenarbeit mit der Universität, den Stadtwerken und dem Göttinger Landkreis. „Kooperationen innerhalb der Region sind von zentraler Bedeutung“, meint Oberbürgermeister Meyer. „Wir im Raum Göttingen wollen das gemeinsam schaffen.“ Das gilt etwa für die Windkraftnutzung: Dafür erarbeitet die Kommune gerade einen Teil-Flächennutzungsplan. Das Vorgehen ist mit dem Landkreis koordiniert, der zeitgleich ebenfalls einen Plan erstellt. Die Stadt will hier in jedem Fall aktiv werden: „Nach Fukushima hat sich die Stimmung zur Windkraft gewandelt. Jetzt ist ein Grundkonsens da, dass wir auch auf dem Stadtgebiet bauen müssen – nicht zuletzt, um gegenüber dem Landkreis glaubhaft zu bleiben“, erklärt der Oberbürgermeister. Stadt und Landkreis setzen dabei auf Bürgerwindparks. Um über Beteiligungsmöglichkeiten aufzuklären und die Akzeptanz für Windkraft in der Region zu sichern, bietet die Energieagentur Informationsveranstaltungen an, auf denen sie Fragen beantwortet und Vorbehalten mit Argumenten begegnet. „Wir wollen Klimaschutz nicht über Beteiligungen an Offshore-Windparks angehen, sondern sagen können: Wir kehren vor unserer eigenen Haustür“, so Oberbürgermeister Meyer.
Social Media