Landkreis Rhein-Hunsrück-Kreis
November 2018
Im Rhein-Hunsrück-Kreis gab es vor 15 Jahren keine nennenswerte Energieerzeugung. Annähernd der gesamte Energiebedarf musste importiert werden. Heute ist der Kreis in Rheinland-Pfalz (RLP) über die Sektoren von Strom, Wärme und Abfall einer der ersten bilanziellen Null-Emissions-Kreise im deutschen Binnenland.
Kommunale Wertschöpfung durch Erneuerbare Energien
Bertram Fleck kann als einer der „Väter der dezentralen Energiewende in Deutschland“ bezeichnet werden. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst im Jahr 2015 ist der Landrat a.D. auf ausdrücklichen Wunsch seines Nachfolgers Dr. Marlon Bröhr und der Kreisgremien unermüdlich als „Ehrenbotschafter der Rhein-Hunsrücker Energiewende“ unterwegs. Gemeinsam mit dem Klimaschutzmanager hat er mittlerweile Fachbesucher aus 46 Nationen im Kreis empfangen und bei mehr als 150 Vorträgen sein Wissen weitergegeben.
Beim Thema Erneuerbare Energien beginnen die Augen von Bertram Fleck zu leuchten: „Wir sind Stromexporteur und erwirtschaften dabei jährlich rund 44 Millionen Euro kommunale Wertschöpfung. Andere würden von einer Win-Win-Situation sprechen. Bei uns sagt man schlicht: Jeder hot ebbes davun.“ Früher war der Landkreis abhängig von den fossilen Energien, während heute ein Großteil der Wertschöpfung im Energiebereich in der Region bleibt und in Form von Einkommen, Unternehmensgewinnen, vermiedenen Brennstoffkosten sowie Steuern und Abgaben in den volkswirtschaftlichen Kreislauf zurückfließen. Den Kommunen bringt diese Wertschöpfung, insbesondere aus der Windpacht, neue Spielräume: Schulen werden saniert, Straßen ausgebessert, Vereine gefördert und Visionen, wie beispielsweise die schönste Hängeseilbrücke Deutschlands „Geierlay“ verwirklicht: Bereits 775.000 Besucher haben die Brücke in den ersten drei Jahren besucht. Die Ortsgemeinden im Kreis verfügen inzwischen über 84 Millionen Euro Rücklagen, die kommunale Verschuldung beträgt nur noch 20 Prozent des Landesdurchschnitts. Auch die Wirtschaft profitiert durch eine zusätzliche regionale Umlaufsumme von insgesamt 880 Millionen Euro in den nächsten 20 Jahren.
Woher der Wind weht
Vor allem der ländliche Raum ist Nutznießer solcher Entwicklungen. Angefangen mit einer Windenergieanlage für 200 Haushalte im Jahr 1995 werden heute mehr Flächen für die Erneuerbare Stromerzeugung genutzt: Inzwischen erzeugen 271 Windenergieanlagen Strom für mehr als 300.000 Haushalte. Neue Arbeitsplätze, langfristige wirtschaftliche Perspektiven und Einnahmequellen für die Kommunen sind geschaffen worden. 60 von 137 Kommunen im Kreis verfügen über Windpachteinnahmen. Einen Teil davon setzen die Ortsgemeinden für Energiespar-Richtlinien ein: Bürgerinnen und Bürgern wird finanziell und unbürokratisch geholfen, private Energiesparmaßnahmen umzusetzen. Egal ob Hausbesitzer oder Mieter, Unterstützung bis zu 6.000 Euro je Haushalt erhöhen die Sanierungsquote deutlich und schaffen Aufklärung und Akzeptanz gegenüber Erneuerbaren Energien. In zehn Gemeinden konnten die Einwohnerinnen und Einwohner bereits kostenfrei ihre Beleuchtung gegen LED austauschen.
Breit aufgestellt für eine breite Wertschöpfung
Genau an diesem Punkt setzen die 137 Städte und Gemeinden des Kreises an und lassen sich nicht bremsen, denn neben Windenergie wurde auch Photovoltaik installiert. Um die Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen, wurde 2008 die erste Solargenossenschaft gegründet und 2010 das erste Solardachkataster im Landkreis eingeführt. Das damalige Ziel auf 1.000 Dächern Solarstrom zu erzeugen, ist heute längst überholt. Insgesamt schmücken 4.400 Solarstromanlagen die Dächer des Landkreises und decken 18 Prozent des gesamten Strombedarfs. Durch den direkten Eigenverbrauch des Stroms werden die Einwohnerinnen und Einwohner zu „Prosumern“ und vermeiden Strombezugskosten. Die Gemeinden fördern in Ihren Richtlinien die Installation einer Solarstromanlage und eines Speichers mit bis zu 30% der Anschaffungskosten. Auch die kreiseigenen Schulen vermeiden durch eigene Solarstromanlagen mehr als 175.000 Kilowatt Stromnetzbezug im Jahr.
Volle Energie für ein warmes zu Hause
Bereits 2002 hat der Rhein-Hunsrück-Kreis für das Brauchwasser in Sporthallen solarthermische Anlagen auf den Dächern installiert. Kurze Zeit später wurden mehrere Holzhackschnitzelanlagen vernetzt, um die Wärmeversorgung zu garantieren. Generationenübergreifend funktioniert hier auch das Stoffstrommanagement: Durch Gartenabfälle der 102.000 Einwohnern werden quasi die Schulen der Kinder und Enkel beheizt – allerdings werden aktuell nur rund 50 Prozent der Abfallbiomasse von den Nahwärmeverbünden genutzt. Dies zeigt die enormen Potentiale des Stoffstrommanagements eines einzigen Landkreises auf. Insgesamt werden durch die 16 Bürger-Nahwärmenetze im Kreis bereits 566 Gebäude versorgt und damit jährlich 2,7 Millionen Liter Heizölimporte vermieden.
Von wegen Zukunftsmusik
Der Rhein-Hunsrück-Kreis erzeugt im Jahr 2018 bilanziell rund 300 Prozent des eigenen Gesamtstromverbrauchs durch lokale Biomasse, Solarstrom und Windenergie. Damit der Landkreis schon bald zu jeder Tageszeit Erneuerbaren Strom zur Verfügung hat, wird derzeit zusammen mit 47 Partnern das Energiewendeprojekt „DESIGNETZ“ in Zusammenarbeit mit den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland durchgeführt. Als einzige Kommune ist der Rhein-Hunsrück-Kreis assoziierter Partner im „DESIGNETZ“-Verbund und testet das Management von regenerativem Überschussstrom unter Einbindung von Großbatterien und weiteren Speichern in der „Energiewabe Rhein-Hunsrück-Kreis“. Dazu zählen auch private Windheizungen, die wie intelligente Nachtspeicheröfen funktionieren. Die nächsten Meilensteine sind bereits beschlossen: Der Bau einer bundesweit einmaligen Vergärungsanlage für die Küchenabfälle zur flexiblen Stromerzeugung und die Einführung eines Lokalstromhandels unter dem Dach der Bürgerwerke eG. Ein Elektro-Dorfauto-Konzept soll noch im Oktober 2018 vom Kreistag beschlossen werden.
Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger, Energiegenossenschaften, Unternehmen und Kommunen haben gemeinsam die Ärmel hochgekrempelt und ausgestattet mit innerer Überzeugung und viel Pragmatismus innerhalb einer Dekade die lokale Energiewende umgesetzt. Der Landkreis Rhein-Hunsrück ist Vorreiter in Sachen Erneuerbare Energien und beweist, dass die dezentrale Energiewende nicht nur zügig machbar, sondern auch gleichzeitig wertschöpfend ist.
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