Zertifizierungen: Von Vertrauen und Kontrollen
Nachhaltigkeit soll auch für importierte Energieträger, Rohstoffe und Produkte gelten. Dass dies alles andere als einfach ist, zeigt sich aktuell am Biokraftstoffmarkt.
Deutschland und Europa wollen nachhaltiger und klimafreundlicher werden – davon zeugen zahllose Zielvorgaben, Gesetze, Verordnungen und Richtlinien sowohl aus Berlin als auch aus Brüssel. Mit ihrer Hilfe soll sichergestellt werden, dass hierzulande und in der EU insgesamt die Produktion, der Konsum und das Leben überhaupt klima- und umweltfreundlicher werden.
Allerdings ist und bleibt Europa abhängig von Importen. 2022 wurden Güter im Wert von rund drei Billionen Euro in die EU eingeführt, knapp die Hälfte davon nach Deutschland. Im Energiesektor werden zwar die Importe fossiler Energieträger absehbar zugunsten heimischer Erneuerbarer Energien abnehmen, andererseits gilt zukünftig die Einfuhr von „grünem“ Wasserstoff auch aus Drittstaaten außerhalb der EU als wichtiger Pfeiler der nationalen Wasserstoffstrategie.
Hier, jenseits der Grenzen der Europäischen Union, gestaltet sich die Durchsetzung von Klimaschutz-
Nachhaltigkeitsauflagen besonders schwierig. Denn an den Waren und Rohstoffen, die Europas Häfen erreichen, lässt sich im Normalfall nicht direkt ablesen, wie nachhaltig diese produziert oder gewonnen wurden. Stattdessen muss diese Eigenschaft von autorisierten Stellen buchstäblich bescheinigt werden: per Zertifikat.
Wie schwierig diese Zertifizierung und ihre Kontrolle gerade in Übersee sein können, zeigt sich aktuell anhand der Biokraftstoffe. Hier nahm der Import von Biodiesel aus China um den Jahreswechsel 2022/23 drastisch zu. Im Januar und Februar dieses Jahres hatten sich die Einfuhrmengen auf das Doppelte des Vorjahreszeitraums erhöht. Die Importe sind als sogenannte „fortschrittliche Biokraftstoffe“ zertifiziert, die als besonders nachhaltig gelten, weil sie aus Rest- und Abfallstoffen hergestellt werden. Da die EU diese gemäß der Erneuerbare Energie-Richtlinie II (RED II) besonders fördert, besteht eine starke Nachfrage nach fortschrittlichen Biokraftstoffen. Durch die Förderung in Deutschland genießen sie einen Wettbewerbsvorteil am Kraftstoffmarkt und verdrängen die einheimische Produktion von Biodiesel, aus Rapsöl oder Altspeisefett. Mehrere europäische Biodieselhersteller mussten bereits ihre Produktion wegen der Konkurrenz aus China pausieren lassen, der Rapspreis steht unter Druck.
Allerdings bestehen erhebliche Zweifel, ob die Importe zurecht als „fortschrittliche Biokraftstoffe“ im Sinne der RED II zu zertifizieren sind. Elmar Baumann, Geschäftsführer beim Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB), hält es für unwahrscheinlich, dass die notwendigen Produktionskapazitäten in China so schnell entstehen konnten: „Dazu gehören eine spezielle Vorbehandlung der Rohstoffe, Prozessführung und Aufreinigung des fertigen Biokraftstoffs. Der Bau der dafür notwendigen Anlagentechnik benötigt hohe Investitionen und Zeit“, schreibt er in seinem Gastbeitrag für den Tagesspiegel. Wahrscheinlich sei, dass unter anderem Palmöl aus Südostasien statt der vorgeblichen Rest- und Abfallstoffe zu Biodiesel verarbeitet und falsch deklariert nach Europa exportiert werde – ein Rohstoff, der in Deutschland seit 2023 nicht mehr staatlich gefördert wird. Auch mehrere europäische Branchenverbände teilen die Einschätzung Baumanns.
Der mutmaßliche Betrug lässt sich jedoch nur schwer nachweisen, da China deutschen Behördenvertretern den Zutritt für Kontrollen der Zertifizierung verweigert. Die in Köln ansässige Zertifizierungsorganisation ISCC verschärfte zwar ihre Richtlinien und Kontrollen, bislang blieb es jedoch beim befristeten Entzug einiger Zertifikate. Eine flächendeckende Aufklärung und tatsächliche Ahndung von Verstößen lassen auf sich warten.
Die Herausforderung, die Nachhaltigkeit von importierten Waren und Rohstoffen zu kontrollieren, weist weit über den Markt der Biokraftstoffe hinaus. Zum Beispiel tritt zum 1. Oktober 2023 der europäische CO2-Grenzausgleichsmechanismus CBAM in Kraft. Importeure von potenziell emissionsintensiven Waren wie z. B. Stahl, Aluminium, synthetischem Dünger oder Wasserstoff müssen künftig bei der Einfuhr bescheinigen, wie viele Treibhausgase bei der Produktion außerhalb der EU ausgestoßen wurden. Je nach Wert werden die Importe mit einer zusätzlichen Abgabe belastet, die dem CO2-Preis im Europäischen Emissionshandel entspricht. So will die EU innereuropäische Produzenten vor einem Preisnachteil schützen und sie daran hindern, ihre Produktion in Drittstaaten ohne Emissionsabgabe zu verlagern. Welche Prüfstelle die geforderten CBAM-Angaben kontrollieren und zertifizieren soll, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unbekannt.
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