Mythos #10: Ist der Atomausstieg ein deutscher Sonderweg?
Nein! Fakt ist: Auch andere Länder wie Belgien, Spanien und die Schweiz haben sich aus
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Neben Deutschland haben auch die Schweiz, Belgien und Spanien den Atomausstieg beschlossen und in die Wege geleitet. Der Zeitpunkt der letzten AKW-Stilllegungen und damit der Vollendung des Atomausstiegs fällt dabei jedoch unterschiedlich aus. So zielt Spanien auf das Jahr 2030, allerdings noch ohne verbindlichen Zeitplan. Belgien wollte den Ausstieg eigentlich bis 2025 abschließen. Das AKW Doel 3 wurde 2022 stillgelegt, Tihange 2 im Jahr 2023. Doel 1 und Doel 2 sowie das AKW Tihange 1 sollen 2025 vom Netz gehen. Wegen drohender Engpässe und des Ukraine-Kriegs werden jedoch die Laufzeiten der Reaktorblöcke Doel 4 und Tihange 3 vorbehaltlich entsprechender Prüfungen und behördlicher Entscheidungen um zehn Jahre, also bis 2035, verlängert. Beide Blöcke sind schon seit 40 Jahren am Netz und erfordern einen entsprechend hohen Aufwand an Investitionen für die Instandhaltung, Modernisierung und Sicherheitsmaßnahmen. Darüber hinaus gehenden Laufzeitverlängerungen hat der belgische AKW-Betreiber Engie eine Absage erteilt. Man konzentriere sich vielmehr auf Erneuerbare Energien und Flexibilität.
Andere Länder sind nie in die Atomenergie eingestiegen und wollen weiter atomkraftfrei bleiben. Dazu gehören z. B. Irland, Dänemark und Österreich. Österreich nahm nach einer Volksabstimmung im Jahr 1978 sein bereits fertiggestelltes Atomkraftwerk Zwentendorf gar nicht erst in Betrieb. Italien legte seine vier AKW nach dem Unfall von Tschernobyl still und beschloss in einer Volksabstimmung nach Fukushima 2011, nie wieder einzusteigen.
Auf der anderen Seite gibt es Länder, die weiterhin Atomkraftwerke betreiben oder sogar neu einsteigen wollen. In Europa gehören dazu zum Beispiel Großbritannien, Frankreich, Polen, Tschechien, Ungarn und Litauen. Da die Atomenergie jedoch eigentlich viel zu teuer und unwirtschaftlich ist, haben insbesondere Großbritannien, Frankreich, Polen und Tschechien auf EU-Ebene sehr dafür gekämpft, die Atomenergie in der für die Finanzmärkte relevanten Taxonomie als emissionsarme und nachhaltige Technologie einzustufen. Das ist ihnen auch gelungen, die EU-Kommission beschloss im Januar 2022 mit ihrem Taxonomie-Vorschlag, Atomkraft und Erdgas als nachhaltig zu klassifizieren. Damit bekommen Erdgas und Atomkraft quasi ein Gütesiegel als „grüne“ Investition. Unser Interview mit Jutta Paulus, Abgeordnete für die Grünen in Brüssel, liefert nähere Einblicke in diese Verhandlungen. Im Juni 2022 sprachen sich der Umwelt- und Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments noch mehrheitlich gegen die Aufnahme von Gas- und Atomkraft in die Taxonomie aus. Doch entschied sich das EU-Parlament Anfang Juli 2022 schlussendlich doch gegen eine Blockade des Kommissionsvorschlags. Damit ist der Weg, wenn die angekündigten Klagen dagegen scheitern sollten, frei für private Investitionen in diese veralteten, keineswegs nachhaltigen Technologien unter dem Siegel des Klimaschutzes und eben nicht konsequent in grüne, also erneuerbare Technologien.
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