Biokraftstoffindustrie in Deutschland und Europa auf der Kippe

Berlin, 22. Juni 2022 - Die deutsche und europäische Biokraftstoffindustrie könnte in wenigen Monaten ihre Produktion einstellen und dauerhaft vom Markt verschwinden. Grund hierfür ist mutmaßlich falsch deklarierter Biodiesel aus China, dessen Import in den vergangenen Monaten sprunghaft gestiegen ist und sich von Januar bis April 2023 (674.000 t) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (324.000 t) mehr als verdoppelt hat. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Es wird vermutet, dass chinesische Produzenten den Biodiesel unter anderem aus Palmöl herstellen und umdeklarieren: Auf die europäischen Märkte kommt er als so genannter fortschrittlicher Biokraftstoff aus Abfällen und Reststoffen. Damit ist dieser Biodiesel in Deutschland besonders wertvoll und verdrängt hierzulande produzierten Biokraftstoff, weil er doppelt im deutschen Fördersystem angerechnet werden kann. Zudem sind die Preise für den aus China importierten Biodiesel sehr niedrig. „Die unsauberen Importe haben zu einer drastischen Marktverzerrung zu Lasten der hiesigen Industrie geführt. Die heimischen Biokraftstoffproduzenten halten sich minutiös an die Vorgaben zur Nachhaltigkeitszertifizierung, während die Zertifizierung der Importware erhebliche Zweifel aufwirft. Doch die deutschen und europäischen Behörden schützen die Industrie bislang nicht vor fragwürdigen Importen. Diese industriepolitische Blauäugigkeit ruiniert Arbeitsplätze und Investitionen bei uns. Ohne wirksame Gegenmaßnahmen wird dies zum Verlust von Wertschöpfungsketten in Deutschland und zu einer noch größeren Abhängigkeit von China führen, die sonst regelmäßig beklagt wird“, sagte Elmar Baumann, Geschäftsführer beim Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB).

„Federführend zuständig ist auf deutscher Seite das Bundesumweltministerium. Die fragwürdigen chinesischen Importe sind ein Prüfstein: Vertritt Umweltministerin Steffi Lemke ihre Werte Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Transparenz nur als Wohlfühlprogramm, das die heimische Wirtschaft zu erfüllen hat. Oder nimmt sie die Werte ernst und setzt sie trotz Widerständen auch gegenüber chinesischen Importen durch. Es kann nicht im Interesse der Bundesumweltministerin liegen, Biodiesel hierher zu bringen, der mutmaßlich aus Palmöl produziert wurde. Wir erwarten von Bundesregierung und Europäischer Kommission ein unzweideutiges Bekenntnis zu wirksamen Kontrollen der Importware, zu fairem Wettbewerb und zum Schutz unserer Wirtschaft“, sagte Baumann.

Seit Anfang des Jahres 2023 sei klar, dass die Importe problematisch sind, und die zuständige Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung habe Untersuchungen eingeleitet. Biodiesel aus Palmöl fällt in Deutschland nicht unter das Fördersystem für Biokraftstoffe. „Wir fordern von der deutschen Politik, die fehlerhaften Nachhaltigkeitsnachweise rückwirkend abzuerkennen.“ Viele deutsche Biodieselhersteller haben in den vergangenen Monaten lediglich eine Auslastung von rund 20 Prozent erreicht. Die Herstellungskosten liegen derzeit trotz sehr günstiger Rohstoffe über den Marktpreisen für das fertige Produkt. „Es sollte der Bundesregierung klar sein, dass kein heimisches Unternehmen gegen falsch zertifizierte Importware am Markt bestehen kann. Zuerst werden die kleineren Unternehmen aufgeben, dann die großen. Damit würde der einzige nennenswerte Anteil erneuerbarer Energien im Straßenverkehr verloren gehen“, sagte Baumann.

Der deutsche Gesetzgeber hat eine Mindestquote für fortschrittliche Biokraftstoffe aus bestimmten Abfall- und Reststoffen eingeführt, weil er diese erneuerbaren Kraftstoffe besonders fördern will. Die Quote muss die Mineralölindustrie einhalten. Bringt ein Mineralölunternehmen mehr fortschrittliche Biokraftstoffe auf den Markt, als durch die Mindestquote vorgegeben ist, können die überschießenden Mengen doppelt angerechnet werden. Dadurch entsteht ein großer Anreiz, solche Kraftstoffe nach Deutschland zu liefern. „Die Mehrfachanrechnungen im deutschen Fördersystem sind ein industriepolitisches Instrument, sie liefern aber keine zusätzliche Einsparung von Treibhausgasen. Keinesfalls dürfen die Mehrfachanrechnungen zu einer Verdrängung anderer erneuerbarer Kraftstoffe führen“, sagte Baumann.

Durch ein von der Europäischen Kommission zugelassenes Zertifizierungssystem wird grundsätzlich sichergestellt, dass Biokraftstoffe nachhaltig produziert werden. Bei der Zertifizierung muss der Auditor im Falle fortschrittlicher Biokraftstoffe kontrollieren, dass der Hersteller tatsächlich die angegebenen Rest- und Abfallstoffe zur Produktion verwendet hat. Andernfalls ist auch die Höhe der angegebenen Treibhausgasminderung nicht korrekt. Dieses System gilt weltweit und sichert die europäischen Biokraftstoffproduzenten prinzipiell vor Biodiesel und Bioethanol aus zweifelhaften Herkünften. China lässt allerdings keine Kontrollen der zuständigen Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung im Land zu. „Angesichts der Mängel bei der Zertifizierungspraxis und fehlender unabhängiger Kontrollen in China muss die Bundesregierung kurzfristig die Doppelanrechnung für solche Biokraftstoffe aussetzen“, sagte Baumann. „Verschiedene Bereiche des Green Deal erfordern eine Überprüfung von Angaben, die Marktbeteiligte außerhalb der Europäischen Union machen. Wenn diese Angaben jedoch nicht ausreichend überprüft werden, gerät das gesamte System ins Wanken. Das könnte viele Industrien bei uns zugrunde richten, so wie wir es jetzt bei Biokraftstoffen sehen“, sagte Baumann.

Pressekontakt
Frank Brühning
Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie e.V.
Tel.: 030 726259 54
bruehning@biokraftstoffverband.de
www.biokraftstoffverband.de