Von der Biogasanlage über das Regionale Speicherkraftwerk bis hin zum Energy Hub

Herr Laß, Sie leiten in sechster Generation einen Landwirtschaftsbetrieb in Schleswig-Holstein. Neben dem Veredelungs- und Marktfruchtbetrieb betreiben Sie seit 2009 zwischen Gettorf und Tüttendorf eine Biogasanlage, um aus nachwachsenden Rohstoffen und Mist Strom und Wärme in Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) zu erzeugen. Was war Ihr Antrieb, in Erneuerbare Energien einzusteigen?

Foto: Timo JaworrBereits während meines Studiums in Weihenstephan hatte ich viel Kontakt mit Biogas und auch in Norddeutschland setzte sich der Trend zu mehr Erneuerbarer Energie fort. Aufgrund unseres Standorts in der Nähe eines größeren Ortes haben wir gemeinsam mit einem Berufskollegen 2009 den Schritt gewagt und die BioEnergie Gettorf gegründet, um das nahegelegene Schulzentrum als größten Abnehmer mit Nahwärme zu versorgen. Mich begeisterten zudem die Einfachheit und Vielseitigkeit der Energiegewinnung durch die biologische Fermentation. Wir können auf diese Weise sehr flexibel und effizient lokal eine Wertschöpfungskette abbilden, die vor allem für unsere Wärmekunden und die Kommune viele aktuelle Herausforderungen löst.

Heute, rund 15 Jahre nach der ersten Biogasanlage, bilden Errichtung, Wartung und Instandsetzung von regenerativen Speicherkraftwerken (RSK) einen Ihrer Betriebsschwerpunkte. Können Sie uns die wichtigsten Stationen vom einfachen Betrieb einer erneuerbaren Erzeugungsanlage bis hin zur Implementierung des Speicherkraftwerks erläutern?

Während des Baus unserer ersten Biogasanlage 2009 kam eine neue Generation effizienterer Blockheizkraftwerke (BHKW) auf den Markt. In dieser Boomphase der Erneuerbaren Energien erkannten wir, dass Industrie und Betreiber von Biogasanlagen häufig in unterschiedlichen Sprachen kommunizierten. Der Service von externen Dienstleistern verschlang viel Geld und drohte die Wirtschaftlichkeit zu gefährden. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, gründe ten wir 2012 das Unternehmen ASL und starteten eine Kooperation mit einem namhaften BHKW-Hersteller. Wir wurden so zu einem Full-Service-Dienstleister und betreuen mittlerweile gut 150 Kunden in Norddeutschland. 2016 haben wir das Unternehmen weiterentwickelt und neue Geschäftsfelder integriert, um die flexible Stromproduktion zu ermöglichen. Wir bauen seitdem regenerative Speicherkraftwerke, regionale Wärmenetze und koppeln alle Sektoren der Erneuerbaren Energie, unter anderem durch den Einsatz von Großwärmepumpen, um Kommunen energieautark zu versorgen.

Zu den Treibern der Energiewende gehören auf jeden Fall auch die Kommunen. Was hat sich in Gettorf verändert? Wie profitiert die Kommune, wie die Bürger*innen davon?

Foto: Timo JaworrFür die Kommunen ist es keine leichte Aufgabe. Ausgehend von einer historisch eher zentral organisierten Energieversorgung, in der vor allem ländliche Kommunen keine eigenen Versorgungsunternehmen haben, müssen sie nun den Prozess der Kommunalen Wärmeplanung umsetzen. Vorreiter wie wir, die schon privatwirtschaftliche regionale Wärmenetze aufgebaut haben, konnten zeigen, dass die Kommune im Rahmen der Daseinsvorsorge ihrer Bürger sehr davon profitiert. Wichtig ist, dass nur gute Konzepte zu verträglichen Wärmepreisen für die Bürger führen. Es braucht dafür unternehmerischen Geist und ein hohes Maß an Vertrauen in die Initiatoren vor Ort. Die Bürger profitieren vor allem von der einfachen Technologie in ihrer Immobilie (kein Brennstofflager und -bezug mehr), von den langfristig stabilen Preisen und natürlich von einer 100 Prozent erneuerbaren Energieversorgung. Nicht zuletzt steigen Wohn- und Immobilienwerte eines gesamten Ortes und steigern so seine Attraktivität.

Wie haben Sie es geschafft, die Gemeindeverwaltung davon zu überzeugen, öffentliche Gebäude wie Schule, Sportzentrum, Hospiz etc. an das Netz anzuschließen? Gab es Skepsis?

Wir haben anfangs das große Schulzentrum mit über 1.200 Schülern und 900 Kilowatt (kW) Anschlussleistung mit einem 400 kW Satelliten-BHKW versorgt. Zur Absicherung kam ein 1.200 kW Zweistoffbrenner zum Einsatz, der sowohl mit Biogas als auch mit Heizöl betrieben werden konnte. Zu guter Letzt übernahmen wir im Rahmen eines Contractings die Bestandskessel auf Erdgasbasis der Heizzentrale der Schule. Technisch hatten wir damit ein sehr redundantesKonzept aufgestellt und wirtschaftlich konnte eine externe Unternehmensberatung die Vorzüglichkeit nachprüfen. Das war zu einer Zeit, als Heizöl 50 Cent pro Liter kostete und Erdgas auch entsprechend günstig war. Vor allem die hohen Fest- und Wartungskosten der Heizungsanlagen machten die fossile Energieversorgung aber damals schon teurer als unsere 100 Prozent erneuerbare Vollversorgung mit Nahwärme. Aber bei allen technischen Raffinessen: Um ein Vorhaben dieser Tragweite ins Leben zu rufen, müssen die Bürger vor Ort überzeugt werden, denn letztendlich sind es genau diese Menschen, deren Vertrauen wir benötigen, um Projekte ins Fliegen zu bringen. Grundvoraussetzung für den Erfolg sind ein redundantes Energiekonzept, erstellt von Spezialisten, und eine klare Kommunikation, um alle Beteiligten mitzunehmen auf die Reise hin zu erneuerbarer Energieversorgung. Die Energiekrise 2022/23 hat gezeigt, dass größere Versorger ihre Preise für konventionelle Energie teilweise vervierfacht haben.

Können Sie uns die Bedeutung vom Umbau der Biogasanlagen hin zu Speicherkraftwerken skizzieren?

Zunächst einmal errichten wir auf Basis einer Biogasanlage ein regeneratives Speicherkraftwerk. Es entstehen Gas- und Wärmespeicher und deutlich größere KWK-Anlagen, um die stetige Gasproduktion über 60 bis 100 Stunden speichern zu können. Gleichzeitig kann Wärme aus dem Wärmepufferspeicher das angeschlossene Wärmenetz jederzeit sicher versorgen. Wir bieten somit Strom und Wärme sehr zielgerichtet dann an, wenn sie gebraucht werden, also dann, wenn Wind nicht weht und Sonne nicht scheint. Dadurch erreichen wir für unseren teureren Brennstoff Biogas einen viel höheren Veredelungsgrad und sind zudem extrem netz- und marktdienlich. Nun sind in einem RSK die Sektoren Strom, Gas und Wärme getrennt voneinander vorhanden. Damit ist der dezentrale Einstieg in die Sektorenkopplung sehr günstig und einfach. Habe ich in kurzen Überschussphasen zum Beispiel viel Windstromleistung eines nahen Windparks, so kann ein Elektrodenheizkessel aus diesem Strom direkt Wärme erzeugen, die im Wärmepufferspeicher gespeichert wird. Gleiches geht auch mit der Großwärmepumpe, zum Beispiel mit Abwasser als Umweltwärme in der Nähe des örtlichen Klärwerks. Ein sehr spannender Ansatz für einen dezentralen Wasserstoffhochlauf ist auch die Elektrolyse mit anschließender Biomethanisierung: Aus lokal produziertem Wasserstoff entsteht durch das CO2 aus dem Biogas wiederum synthetisches grünes Methan (CH4). Das sehr flüchtige H2-Molekül braucht somit keinen sehr teuren Speicher oder Pipelines; es wird wie im Übrigen auch die bei der Elektrolyse anfallende Prozesswärme vor Ort im RSK veredelt. Von diesem E-Methan oder RNG werden wir zukünftig noch einiges hören.

Was braucht es für die Umsetzung eines Quartierskonzepts inklusive Ladestrom und Sektorenkopplung?

Zunächst muss es Initiatoren geben, die in der Lage sind, die wichtigsten Stakeholder zusammenzubringen. Das sind vor allem Bürgermeister beziehungsweise die Kommune, die Erzeuger Erneuerbarer Energie und auch einige engagierte Bürger. Je mehr sich aufgrund der Quartiersgröße und -beschaffenheit ein schon größeres Wärmenetz rechnet, umso eher sind Sektorenkopplung und Ladestrom mitzudenken. Überaus sinnvoll ist dieses Konzept für eine Kommunengröße von 2.000 bis 30.000 Einwohnern. Ausgehend von der Kommunalen Wärmeplanung und gegebenenfalls vorhandenen Machbarkeitsstudien muss dann Leben in das Projekt kommen. Da Wärmenetze von rein kommunalen Versorgern in Schleswig-Holstein regelmäßig deutlich höhere Wärmepreise für ihre Bürger aufrufen, habe ich in diesem Jahr mit Experten aus meinem Netzwerk einen neuen Unternehmensverbund gegründet – die Q.X Holding. Wir integrieren alle wichtigen Stakeholder wie Kommune, Bürger, Investoren und Anlagenbetreiber in einem Konzept. Unsere Strategie ist der Aufbau einer (meist) privatwirtschaftlichen Unternehmensstruktur im Schulterschluss mit der Kommune als Minderheitsgesellschafterin. So sprechen diese Projekte auch externes Eigenkapital von Investoren an und lassen sich entsprechend effizient umsetzen. Wir arbeiten bereits deutschlandweit mit Kommunen an diesem Konzept, um das theoretische Vorhaben der  ommunalen Wärmeplanung in die Praxis umzusetzen und tatsächlich CO2 einzusparen.

2023 sind Sie mit dem CERES AWARD als Energielandwirt des Jahres ausgezeichnet worden. Damals sagten Sie, Sie planen die Umsetzung des Quartierskonzepts der BioEnergie Gettorf als „Bürgernetz“. Wie muss man sich das vorstellen, ähnlich wie eine Bürger*innen-Windenergieanlage? Was verstehen Sie darunter?

Wir favorisieren inzwischen die Gründung von sogenannten Quartiersgesellschaften als GmbH & Co. KGs, um lokale Versorger aufzubauen, auch Energy-Hubs genannt. Hieran sollten neben der Kommune auch die Bürger durch eine überregionale Genossenschaft beteiligt werden. Wir haben dazu die Quartierpioniere eG gegründet. Ziel ist es, dass zügig ein bankenfähiges Unternehmenskonzept aufgebaut wird, das eine sichere und günstige Versorgung mit 100 Prozent Erneuerbarer Energie gewährleistet. Die öffentlichen Gesellschaftergruppen Kommune und eG mit den primären Interessen Daseinsvorsorge sowie günstige, sichere und 100 Prozent CO2-neutrale Versorgung sollten unbedingt über eine sogenannte Sperrminorität verfügen, damit wichtige Beschlüsse im Interesse dieser Gesellschafter nicht den renditeorientierten Interessen der anderen Gesellschafter ausgeliefert sind. Das erhöht enorm die Akzeptanz und das Vertrauen der Bürger. Letztendlich ist ein Wärmenetz nämlich immer ein lokales Monopol, das nur bei hoher Akzeptanz auch eine hohe Anschlussquote realisiert. Der Kreis von Gesellschaftern in der KG ist aufgrund der zu vermeidenden Prospektierungspflicht nach BaFin zwingend kleiner als 20 zu halten. Aus diesem Grunde favorisieren wir die überregional tätige eG als Bündler für die Bürger. Um das Risiko der Bürger zu streuen und die gesetzliche Zulässigkeit zu wahren, sollte nach dem Modell der Q.X nicht jeder Ort eine eigene eG gründen. Hier macht eine überregionale, mit professionellem Management versehene Genossenschaft mehr Sinn. Zudem bietet die Quartierpioniere eG für ihre Mitglieder auch außerhalb von wärmenetzfähigen Standorten weitere interessante Leistungen und Vorteile an, mit denen jedes einzelne Genossenschaftsmitglied seinen persönlichen CO2-Footprint nachhaltig reduzieren kann, zum Beispiel durch Einkaufsvorteile bei Ladestrom.