Energie-Kommune des Monats: Gemeinde Helgoland
Februar 2023
Helgoland, Deutschlands einzige Hochseeinsel, ist zum Reparatur-, Wartungs- und Servicestützpunkt für die Offshore-Industrie avanciert. Vor der Küste der Insel wurde 2014 Deutschlands erster kommerziell betriebener Offshore-Windpark fertiggestellt. Die inzwischen vier vor Helgoland betriebenen Windparks stellen Deutschlands leistungsfähigstes Offshore-Projekt dar. Die aktuell in Betrieb befindlichen Parks versorgen aktuell 360.000 Haushalte mit erneuerbarem Strom. Doch damit nicht genug: Die 1,8 Quadratkilometer kleine Insel hat große Visionen.
Vom ersten Testwindrad zum Offshore-Hub
Die Geschichte der 1.500 Einwohner*innen-Gemeinde ist wechselhaft. Einst beherrscht von Dänen, dann von Briten wurde die Insel mal zum Umschlagplatz für Schmuggelware, bald mondänes Seebad und schließlich, ab 1890 unter deutscher Herrschaft zur Seefestung der Marine. Mehrmals haben die Inselbewohner*innen ihre Nationalität gewechselt, mehr als einmal mussten Sie Helgoland zeitweise verlassen. Geblieben sind sehr flexible und widerstandsfähige Menschen, die Wandlungsprozesse nicht scheuen. Auch nicht im Bereich der Energieversorgung. So hat sich Helgoland schon früh um Autarkie hinsichtlich der Energieversorgung bemüht. Bereits 1989 gab es ein innovatives Windenergieprojekt am Südhafen Helgolands – den Prototypen „WKA 60“. Die Anlage mit 1,2 Megawatt sollte die Insel mit sauberem Strom versorgen. Mehrere Faktoren brachten das ambitionierte Projekt jedoch zum Scheitern. Ein damals noch fehlender Blitzschutz gepaart mit dem kleinen instabilen Inselnetz, das saisonbedingt wegen der im Winter geringen Stromnachfrage bei gleichzeitig kräftigen Winden immer wieder überlastet wurde, führten zur Häufung der Stromausfälle. „Teilweise mehr als 20 Ausfälle haben die Insulaner zu dieser Zeit ohne besondere Aufregung akzeptiert “, erinnert sich Kay Martens, Geschäftsführer der Helgoländer Versorgungsbetriebe GmbH. Nachdem zum dritten Mal der Blitz in die Anlage eingeschlagen war, wurde diese 1995 endgültig stillgelegt. Inzwischen wird die Insel seit 2009 mit hoher Stabilität über ein Seekabel der Schleswig-Holstein Netz AG mit Strom von der schleswig-holsteinischen Westküste beliefert.
Seit dem ersten Windrad auf der Insel hat sich die Technik aber entscheidend weiterentwickelt. Das gilt für die Versorgungssicherheit genauso wie für die Effizienz der Stromproduktion. 2010 begann der Bau des ersten Offshore-Parks vor der helgoländischen Küste: Anfangs teilweise skeptisch beäugt, wurde schnell klar, dass die Gewerbesteuereinnahmen aus dem Geschäft mit dem Wind ein zusätzliches Standbein für die hoch verschuldete Gemeinde sein könnten. Der Seebadtourismus, der 1890 eine Blütezeit hatte, war in den letzten Jahrzehnten rückläufig. Der absolute Tiefstand im Fremdenverkehr wurde 2008 verzeichnet – da kam das Geschäft mit dem Offshore-Wind gerade noch rechtzeitig. Dafür wurde zunächst der Südhafen der Insel ertüchtigt. 2014 betrug die Schuldenlast der Gemeinde nach den notwendigen Investitionen in die Offshore-Kaianlagen und -flächen satte 35 Millionen Euro, in 2022 waren davon nur noch sechs Millionen übrig. Die Gewerbesteuereinnahmen aus dem Windgeschäft wurden neben dem Tourismus zur wichtigsten Einnahmequelle. Mittlerweile gibt es vier Windparks mit einer Nennleistung von 1,35 Gigawatt vor der Küste. Die Windräder, die 24 Kilometer vor der Insel liegen, ziehen ihrerseits technikaffine Besucher*innen an.
Projektvorhaben AquaVentus: Grüner Wasserstoff vor Helgoland
Die Insel klimafreundlich und nachhaltig zu gestalten, ist - auch im Sinne des Tourismus - ein weiteres Ziel der Insulaner*innen: Den öffentlichen Raum erhellen ausschließlich LEDs, private Autos gibt es nicht, die wenigen kleinen Nutzfahrzeuge sind batteriebetrieben, eines der traditionellen Börteboote wurde elektrifiziert. Um die Insel für die Zukunft zu rüsten, wird seit 2020 ein neues Großprojekt begleitet.: Ziel der Initiative AquaVentus (www.aquaventus.org) ist es, im Küstengewässer von Helgoland die erste mit Offshore-Wind betriebene Elektrolyseanlage zu errichten und den so produzierten grünen Wasserstoff über eine Pipeline auf die Insel zu transportieren. Nach den Vorstellungen des AquaVentus-Fördervereins, der seinen Sitz auf Helgoland hat, sollen bis 2035 Elektrolyseure mit einer Leistung von zehn Gigawatt in der Nordsee installiert und jährlich eine Millionen Tonnen grüner Wasserstoff produziert und über eine Pipeline zum Festland geleitet werden. Als emissionsfreie Alternative zu fossilen Brennstoffen ist Grüner Wasserstoff ein zentrales Element für die Energiewende, er soll eine CO2-freie Industrie wahr werden lassen, den Anlagenbau, den maritimen Sektor, die Chemie, die Mobilität und die Logistik dekarbonisieren.
Nachdem erste Konzepte zur Umsetzung aus Wirtschaftlichkeitserwägungen angepasst werden mussten, wird gerade mit der Planung des Projektbausteins „AquaCore“ begonnen. Die erste Windenergieanlage mit Elektrolyseeinheit – genannt AquaPrimus – vor der Küste liefere dann Offshore produzierten grünen Wasserstoff zur direkten möglichst effektiven lokalen Verwendung zur Insel. Der Wasserstoff könnte dann zur Wärmeerzeugung oder in der Schifffahrt genutzt werden. „Mit dieser Variante könnte der Wärmebedarf der Insel komplett mit grünem Wasserstoff gedeckt werden. Heizöl wäre an dieser Stelle dann Vergangenheit“, erläutert Kay Martens. Das Fernwärmenetz für die 675 Haushalte wäre dann klimaneutral. Realisiert werden soll das Vorhaben bis 2026. Teil des AquaVentus -Vorhabens ist es auch, die Schifffahrt CO2-frei zu machen. Im Projektbaustein „AquaNavis“ wird die Betankung von Schiffen mit grünem Wasserstoff vorgesehen. Hierfür gäbe es auf Helgoland diverse maritime Anwendungen, die wirkungsvoll den Schiffsverkehr zur Insel und um die Insel dekarbonisieren würden.
Vom Zankapfel zur Klima-Friedens-Insel – Helgoland setzt ein Zeichen
Wenngleich die Umsetzung der Pläne noch etwas Zeit beanspruchen wird und es viele Hürden zu nehmen gilt: Das Eiland ist zur ersten Offshore-Service-Insel weltweit geworden. „Zahlreiche Helgoländer haben einen neuen Arbeitsplatz bei den Offshore-Firmen in den verschiedensten Funktionen gefunden. Einige der Offshore-Mitarbeiter sind hier auf der Insel sesshaft geworden und wurden in die Inselgemeinschaft aufgenommen, teilweise haben sie Familien gegründet“, berichtet Bürgermeister Pollmann. Durch die Mitarbeiter steigerte sich die Kaufkraft in den Geschäften, Restaurants und Gaststätten.
Das Gewerbegebiet wurde ertüchtigt und ist heute sehenswert. Durch die Servicehallen, die auf dem Gelände stehen, haben sich neue Spazierwege ergeben. Auf die Frage, ob Tourismus und Offshore-Industrie auf so engem Raum kein Konfliktpotenzial böten, erklärt Thorsten Pollmann:
„Im Vorfeld gab es verständlicherweise Bedenken, weil niemand wusste, was genau auf die Insel zukommt und wie sich dies auf den kleinen Raum auswirken wird“. Tatsächlich seien die Windparks tagsüber meistens in der Ferne zu sehen und nachts sieht man die zahlreichen roten Lichter. „Dass sich jemand daran stört, habe ich noch nicht gehört.“ Kay Martens sagt dazu: „Die Windparks geben mir das gute Gefühl, dass wir dem Klimawandel noch wirkungsvoll entgegenwirken können“. Die wieder gestiegene Anzahl von Urlaubsgästen bestätigt das. Seit der Etablierung der Windparks vor der Küste sind die Besucherzahlen um 25 Prozent gestiegen. Ein Katamaran bietet im Sommer Fahrten zu den Windparks an. „Diese sind gut gebucht“, weiß Bürgermeister Pollmann.
Weil eine nachhaltige Energieversorgung auch für gutes Klima sorgt, will Helgoland durch sein Engagement Teil der Lösung sein und andere Kommunen ermutigen. Der Inselkantor Gerald Drebes hat deswegen eine wegweisende Initiative gestartet: Die Klima-Friedens-Insel Helgoland soll ein Zeichen für den globalen Kampf gegen die Klimaerwärmung setzen. Helgoland mit seinen Nachhaltigkeitsprojekten und seiner besonderen Geschichte scheint dafür prädestiniert. Schon mancher Politiker sprach nach dem zweiten Weltkrieg davon, dass Helgoland zur Friedens-Insel erklärt werden müsse, zum „Mahnmal für einen dauerhaften europäischen Frieden“ (Prof. Jan Rüger, 2017). Der zurzeit in der Ukraine tobende Krieg führt schmerzhaft vor Augen, wie die fossile Energie zum geopolitischen Hebel werden kann – insofern: ein gutes wie sinnvolles Projekt zur richtigen Zeit.
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