"Die heute vorherrschende ökonomische Denkschule trägt aktiv dazu bei, dass die planetaren Grenzen von uns immer weiter überschritten werden"

Frau Hasberg, Sie haben an der Universität Aalborg in Dänemark im Forschungsprojekt „The Energy Collective“ Ihren Doktor zur Rolle von Macht und Ignoranz hinsichtlich fossiler Pfadabhängigkeiten absolviert und international Vorträge rund um Erneuerbare Energien gehalten. Nun sind Sie als Beraterin tätig. Womit beschäftigen Sie sich hier zurzeit?

Derzeit konzentriere ich mich auf nachhaltige Gebäudestrategien bei Bildungsinstitutionen in Dänemark. Angefangen hat es mit meiner Arbeit als Aufsichtsrätin bei dem dänischen Gymnasium, das ich selbst besucht habe. Hier ist mir aufgefallen, wie schlecht die Schulen beraten werden, wenn sie beispielsweise Solaranlagen auf ihren Dächern installieren wollen.

Was meinen Sie damit?

Das Interesse der Schulen ist groß, aber die Volatilität des Solarmarktes und die ständig wechselnden Rahmenbedingungen führen dazu, dass die Angebote, die die Schulen von Installateuren bekommen, oft Schwächen haben. Außerdem wird übersehen, dass Schulen die Nutzung von Solaranlagen auch in ihren Unterricht integrieren möchten. Ich berate mit Blick auf die nachhaltige Bildung: Es geht nicht einfach um eine Solaranlage, sondern um eine langfristige Gebäudestrategie und darum, nicht nur Nachhaltigkeit zu lehren, sondern als Bildungsinstitution selber zu praktizieren. Viele Schulleiterinnen unterschätzen auch die überaus positive wirtschaftliche Bilanz eines Solardaches. Sie denken oft nur an den Imagegewinn für die Schule.

Wie sieht Ihre Arbeit an der Schule konkret aus?

Ich habe Angebote geprüft und mit Herstellern und Solarteuren gesprochen und bin somit dafür zuständig, die Bestsellerkompetenz der Schule zu erhöhen. Ich kann den Schulen hier eine Qualifikation bieten, die sie selbst nicht leisten können, weil es nicht Teil ihres Tagesgeschäftes ist. Das kann man auch nicht von ihnen verlangen. So haben die Schulleiter Schwierigkeiten, einen guten Anlagenbauer zu erkennen. Hinzu kommt, dass man mit dem Bau der Anlagen den Schülerinnen und Lehrern auch die Möglichkeit geben muss, auf die Daten der installierten Anlage zuzugreifen, so dass sie diese im Unterricht besprechen können und vielleicht auch mit anderen Schulen vergleichen.

Gleichzeitig denken die Schulen auch einfach nicht daran, dass sie in wenigen Jahren wahrscheinlich auch Elektroladestationen für Elektroautos brauchen, oder solare Kühlung, weil der Klimawandel das Gebäude zusätzlich erhitzt, und man deshalb die Anlage gleich für das ganze Dach planen sollte, um den zukünftig steigenden Stromverbrauch abdecken zu können. Gerade beim Bau von Solaranlagen kommt man jetzt langsam an einen Punkt, wo Anlagenberatung eben auch eine komplette Energiesystemberatung sein muss, weil es immer stärker auch um Eigenverbrauchsoptimierung geht.

In der Vergangenheit habe ich unter anderem beim dänischen Übertragungsnetzbetreiber als strategische Energieplanerin gearbeitet und mich in der Forschung mit 100 % erneuerbaren Energiesystemen beschäftigt. Diese Erfahrungen mit Systemintegration zwischen Strom, Mobilität und Wärme bzw. Kühlung möchte ich nicht nur für meine ehemalige Schule, sondern auch für andere Schulen nutzen.

Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung der Energiewende in den kommenden Jahren?

Die Herausforderung besteht darin, dass eine notwendige Reform des Strommarktes in seiner Gesamtheit anstünde und, dass man hier sehr aufmerksam sein muss, Monopolgeschäft und Wettbewerbsgeschäft nicht zu vermischen. Das Netz muss eine Monopolebene sein, die das Zusammenspiel verschiedener Akteure ermöglicht. Aber man darf eben nicht die Netzkosten nutzen, um über den Verbraucher sein privatwirtschaftliches Geschäft quer zu finanzieren

In Ihrer Doktorarbeit verweisen Sie darauf, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe weiter zunimmt, obwohl uns die Dringlichkeit der Transformation unseres Energiesystems bekannt ist. Wie stark beeinflusst unser Wirtschaftssystem das Vorankommen der Energiewende?

Das ist ein sehr großes Thema. Es gibt in Deutschland einige Initiativen zur heterodoxen oder pluralen Ökonomik. Ein Zweig dieser andersdenkenden Ökonomen setzt auf die ökologische Ökonomie. Hierfür ist es notwendig, unsere komplette ökonomische Denkweise zu verändern.

Das Grundproblem ist, dass das gewöhnliche ökonomische Denken, so wie es gelehrt und auch in der Wirtschaft gelebt wird, eigentlich keine physische, keine energetische Basis besitzt: Zu der Zeit, als sich die Ökonomie als Wissenschaft entwickelt hat, ist man noch nicht so deutlich auf die materiellen Grenzen des Wachstums gestoßen – heute aber haben wir eine „volle Welt“, wie der ökologische Ökonom Hermann Daly es nennt. Deshalb trägt die heute vorherrschende ökonomische Denkschule tatsächlich aktiv dazu bei, dass die planetaren Grenzen von uns immer weiter überschritten werden.

Der zweite Grund liegt darin, dass sich die Ökonomie in wirtschaftlichen Fragestellungen nicht mit Machtstrukturen beschäftigt, diese sogar normalerweise ausblendet. Sie spielen aber in der Trägheit von Systemen eine wichtige Rolle.

An dieser Stelle würde ich Ihnen gern noch zwei persönliche Fragen stellen: Woher kommt Ihr Interesse für Energie und Technologie?

Das ist eine supergute Frage, denn ich habe mich dafür schon sehr früh interessiert. Ich habe vor kurzem einen Aufsatz gefunden, in dem ich mit 16 Jahren schon detailliert über Solaranlagenplanung geschrieben habe. In der sechsten Klasse hatte ich einen Aufsatz über Elektroautos geschrieben. Ich glaube, ich fand diese Plakate und Karten über sauren Regen und sterbende Pandas, die man Kindern auch damals gegeben hat, total deprimierend. Ich habe wohl schon früh nach etwas Lösungsorientiertem gesucht und so kam ich dann auf den Erneuerbaren-Energien-Bereich.


Wer inspirierte Sie?

Hermann Scheer war eine sehr starke und frühe Inspirationsquelle für mich. Ich habe ihn schon mit 17 Jahren kennengelernt. Damals war er bei einem Vortrag in Kopenhagen und ich hatte sein Buch „Solare Weltwirtschaft“ zu diesem Zeitpunkt schon gelesen. Er hatte sich so gefreut, dass jemand bei dieser Veranstaltung in einem Saal im dänischen Parlament Deutsch spricht, dass er seine Mittagspause mit den Parlamentariern abgesagt hat, um sich mit mir auf der Treppe vor dem Parlament zu unterhalten. Als ich ihm sagte, dass viele meiner Mitschüler nach England zum Studieren wollen, sagte er zu mir: Nein, geh‘ bloß nicht nach England, dort haben sie kein EEG. Ich solle lieber nach Berlin kommen und ein Praktikum bei ihm machen. Es sind dann zwar ein paar Jahre vergangen, aber das Praktikum habe ich tatsächlich bei ihm gemacht. Dieser Kontakt war sehr prägend für mich.


Foto: Kirsten Hasberg

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Anika Schwalbe
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