Der CO2-Preis in Deutschland - ein Sommerkrimi

Als Bundesumweltministerin Svenja Schulze den CO2-Preis vor acht Monaten wieder in die öffentliche Diskussion brachte, war der Aufschrei groß. Gutachten folgten, das Klimakabinett tagte und auch sonst bekamen CO2-Preis und Klimapolitik mehr Aufmerksamkeit als gewöhnlich. Die Frage ist jetzt: Wie geht es weiter und (wann) kommt der Preis? Ein Überblick

rt_CO2-Preis_Flugzeugfenster_Pat Taylor_Unsplash

Gerade für das SPD-geführte Bundesumweltministerium ist folgende Botschaft wichtig: Ein CO2-Preis belastet nicht diejenigen Bürger*innen, die sowieso schon (wirtschaftlich) benachteiligt sind. Deshalb hatte Bundesumweltministerin Svenja Schulze drei Institute beauftragt, um mögliche CO2-Preisentwicklungen für die Bereiche Verkehr und Wärme zu untersuchen: das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), die Hans-Böckler-Stiftung (IMK) und das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS). „Die Politik kann einen CO2-Preis zum Schutz des Klimas so ausgestalten, dass er sozial verträglich wirkt und kleine und mittlere Einkommen nicht ungerecht belastet“, hieß es am 5. Juli in der Zusammenfassung aller drei Gutachten aus dem Bundesumweltministerium. Demnach könnte die CO2-Bepreisung so aussehen: Begonnen wird mit 35 Euro pro Tonne CO2 ab 2020 und der Preis steigt bis 2030 schrittweise auf 180 Euro. Zum Ausgleich soll es eine Klimaprämie für Bürger*innen geben, die nicht pro Familie, sondern pro Kopf ausgezahlt wird: 100 Euro lautet der Vorschlag.

In den vergangenen Monaten hat sich das Debatten-Klima stark verändert – die Fridays-for-Future-Bewegung und andere aktivistische Gruppen wie Ende Gelände oder Extinction Rebellion halten den gesellschaftlichen Druck hoch. Dabei entsteht der Eindruck, dass das Thema endlich die hohe Priorität im öffentlichen Diskurs bekommt, die es verdient. In dem Zusammenhang fasst Marina Kormbaki vom Redaktionsnetzwerk Deutschland die aktuelle Debatte zusammen: „Schulzes Vorstoß für einen CO2-Preis liegt gerade einmal acht Monate zurück, und doch scheinen die Reaktionen darauf einer anderen Epoche zu entstammen. Das gesellschaftliche Klima ist heute ein anderes.“

Deutsche Klima- und Energiepolitik umstellen

Ein weiteres Gutachten hat ebenfalls im Juli für Aufsehen gesorgt: Das vom Bundeskanzleramt in Auftrag gegebene Sondergutachten zur Klimapolitik beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – also dem zentralen Beratungsgremium der Bundesregierung. „Die aktuelle Debatte bietet die historische Chance, die kleinteilige, teure und ineffiziente deutsche Klimapolitik so umzustellen, dass die Bepreisung von CO2 im Zentrum steht“, zitiert das Handelsblatt den Vorsitzenden des Sachverständigenrats, Christoph M. Schmidt, am Tag der Veröffentlichung. Bestimmte Bereiche der Industrie und die Stromwirtschaft müssen schon jetzt Geld für ausgestoßene Treibhausgase zahlen – und zwar im Rahmen des Emissionshandels, bei dem Unternehmen Verschmutzungsrechte kaufen. Dieser soll spätestens zum Jahr 2030 europaweit auf Verkehr und Heizen ausgeweitet werden. Laut SPIEGEL ONLINE haben die Wirtschaftsweisen errechnet, dass derzeit nur rund 45 Prozent der Emissionen abgedeckt würden.

Ob der europäische Emissionshandel national ergänzt wird oder Deutschland eine CO2-Steuer einführt, ist für die Bürger*innen weniger relevant. Beides wird Autofahren und Heizen teurer machen. Deshalb ist es so wichtig, einen Ausgleich zu schaffen. „Am Ende ist es wahrscheinlich wirklich wurscht, welchen der beiden Wege die Bundesregierung einschlägt. Hauptsache, sie schlägt mal einen ein. Und das schnell“, kommentiert Alex Krämer vom rbb. Anders reagierten Umweltverbände auf das Gutachten – sie zeigten sich enttäuscht. „Das heute vom Sachverständigenrat vorgelegte Gutachten ist eine vertane Chance“, kritisierte Ernst-Christoph Stolper, stellvertretender Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND): „Statt konkrete Vorschläge vorzulegen, wiederholt der Sachverständigenrat seine altbekannte ideologische Haltung zur Selbstregulierung des Marktes und gegen staatliche Maßnahmen.“

Keine Entscheidung im Klimakabinett

Alle Gutachten waren Gegenstand der dritten Sitzung des Klimakabinetts, das am 18. Juli getagt hatte. Unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel haben SPD-Umweltministerin Svenja Schulze, CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU-Agrarministerin Julia Klöckner, CSU-Innenminister Horst Seehofer sowie der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, und der Chef vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, teilgenommen. Das Kabinett ging ohne Entscheidungen auseinander, das gesamte Maßnahmenpaket für mehr Klimaschutz soll erst am 20. September, dem Tag des Global Climate Strike, verabschiedet werden. „Es ist sehr, sehr deutlich geworden, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben“, zitiert ZDF heute die Bundesumweltministerin. Dazu kommentiert Birgit Marschall von RP online: „Beim Klimaschutz ist die Bundesregierung wegen jahrelanger Untätigkeit eine Getriebene.“

Auch verschiedene Umweltverbände waren unzufrieden mit der ausgebliebenen Entscheidung. „Die Regierung muss jetzt die Geschwindigkeit erhöhen“, sagte Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Entwicklungsorganisation Germanwatch, der Funke Mediengruppe: „Entscheidend ist, dass wir bis Anfang nächsten Jahres einen wirksamen CO2-Preis bekommen, mit dem Deutschland schnell Kurs auf die Klimaziele nimmt.“ Bestärkt wird die Organisation von ihrer eigens in Auftrag gegebenen repräsentativen dimap-Umfrage mit dem Ergebnis: Der Großteil der Bevölkerung befürwortet eine CO2-Bepreisung. Das und der öffentliche Druck verdeutlichen: Je mehr Zeit verstreicht, desto schlechter für das Klima und die aktuell stockende Energiewende in Deutschland.

Dieser Artikel wurde im Renews, dem Newsletter der Agentur für Erneuerbare Energien, veröffentlicht.

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