"Wenn es nicht angenehm ist, mit dem Fahrrad oder der Bahn zu fahren, dann nutzt man sie auch trotz der Anreize nicht."
Die Nutzung des Autos steht im direkten Zusammenhang mit Gewohnheit und der eigenen Komfortzone, sagt Anna Huttunen vom EU-geförderten Projekt NetZeroCities (NZC). Sie hat sich viel mit nachhaltiger Mobilität beschäftigt und spricht mit uns über Stakeholder-Interessen und die Erschließung neuer Finanzmittel.
Frau Huttunen, nach der Uni führte Sie Ihr Weg nach Finnland – als Managerin für nachhaltige Mobilität und Projektmanagerin von CitiCap in Lahti war es Ihre Aufgabe, die Stadt auf dem Weg in eine umweltfreundlichere, sauberere und effizientere Mobilität zu begleiten. Wie kann man sich Ihre damalige Arbeit vorstellen, was waren Ihre Ansätze?
Anna Huttunen: Ja, viereinhalb Jahre war ich da. Es war eine richtig gute Zeit und wir haben ganz viel geschafft. Wir haben im Rahmen des CitiCap-Projektes zum Beispiel einen SUMP, einen Sustainable Mobility Plan – im Deutschen würde man es Verkehrsentwicklungsplan nennen – geschaffen und ihn in unseren Masterplan-Prozess integriert, ein ganzes Ökosystem, wenn man so will. Viele verschiedene Initiativen, Infrastruktur und Maßnahmen wurden umgesetzt, um den ÖPNV und das Fahrrad attraktiver und den städtischen Raum lebenswerter zu machen.
Was hat es mit dem Carbon Trading auf sich?
Wir haben ein Modell und eine App entwickelt, mit der der individuelle Mobilitäts-Emissionsausstoß der Bürger*innen Lahtis in der Stadt gemessen wird. Die Teilnahme daran war freiwillig und die Daten wurden anonymisiert. Je nachdem, ob die Leute zu Fuß gegangen sind, das Fahrrad, den ÖPNV oder das Auto genommen haben, wurden ihre Emissionen gemessen. Wenn sie wenig Emissionen hatten, haben sie damit virtuelles Geld verdient und konnten dieses auf einem Marktplatz eintauschen: gegen Eintrittskarten ins Schwimmbad oder einen Rabatt in einem Café. Das war richtig gute PR.
Und es hat dazu geführt, dass wir den Wert des individuellen Emissionsausstoßes wieder zur Diskussion stellen. Ursprünglich tauchte das in den UK und in Australien auf. Durch unsere Arbeit in Lahti haben wir es in ein neues Licht gerückt und es gibt seitdem viele andere Initiativen, die diesen Weg verfolgen oder ihn zumindest interessant finden und ausprobieren wollen.
Der Vorteil an dem Carbon Trading ist ja, dass man den beteiligten Menschen noch einen weiteren Pluspunkt für die Reduzierung der Emissionen aufzeigt – neben dem manchmal abstrakten Klimaaspekt. Es verdeutlicht: Ihr könnt mit Eurem Verhalten sehr wohl etwas bewirken und es wirkt sich auch positiv auf Euch aus. Ihr spart, bewegt Euch vielleicht sogar mehr.
Ja, aber ich würde trotzdem sagen, dass diese Trading-Geschichten nur ein Extra, ein Anreiz sind. Viel wichtiger, grundsätzlicher für die Senkung der individuellen Emissionen ist, dass die Stadt gute Pläne hat und ausreichend Investitionen in nachhaltige Mobilität, gute Infrastruktur und so weiter tätigt. Vor diesen soften Maßnahmen wie dem Handel mit eingesparten Emissionen müssen also harte Maßnahmen zur stärkeren Nutzung des ÖPNV, des Fahrrads oder der Fußwege entwickelt und implementiert werden, sonst funktionieren auch die Anreize nicht. Wenn es nicht angenehm ist, mit dem Fahrrad oder der Bahn zu fahren, dann nutzt man sie auch trotz der Anreize nicht. Fahrradfahren und zu Fuß gehen beispielsweise muss auch gemütlich sein. Wenn einem das gelingt, dann wird automatisch auch das Stadtbild durch die Maßnahmen schöner: Mehr Luft, weniger Lärm, mehr Platz.
Ein Argument, was man aber manchmal hört, wenn es darum geht, bestimmte Straßen zu verengen oder Parkplätze zu streichen, ist, dass dies Menschen mit eingeschränkter Mobilität ausgrenzen würde. Was sagen Sie zu dieser potenziellen Problematik?
Das stimmt natürlich so nicht, denn die Maßnahmen schaffen ja gerade für Fußgänger oder Fahrradfahrer, die vielleicht eingeschränkter sind, auch mehr Platz. Das ist viel inklusiver. Auch bedeutet das nicht immer, dass man gar nicht mehr mit dem Auto fahren kann. Solche Möglichkeiten muss es weiterhin geben, das ist die Aufgabe einer richtigen Planung.
Und was waren damals so die größten Herausforderungen oder die skurrilsten Erlebnisse, als Sie in Lahti waren?
Bei der Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen hat man es immer mit verschiedenen Stakeholdern, Bürger*innen und der Politik zu tun und das heißt, man muss Kompromisse finden, sodass alle zufrieden sein können. Und natürlich ist es immer einfacher, sich auf gemeinsame Ziele und Visionen zu einigen, so lange sie noch sehr abstrakt sind. Aber wenn es dann um die konkrete Umsetzung geht, wird es schwierig. Wenn wir zum Beispiel viel Geld ausgeben, um die Fahrradinfrastruktur zu verbessern, finden sich schnell wieder andere Interessengruppen, die sagen: Warum gibt es dann nicht auch Geld für öffentliche Toiletten oder Spielplätze? Dass es sich hierbei aber um konkret dafür vorgesehene Projektgelder handelt, wird in diesem Zusammenhang gern übersehen.
Eine weitere Herausforderung ist die Finanzierung an sich. Um dauerhaft nachhaltige Mobilität schaffen zu können, muss man immer wieder Förderungen beantragen. Doch natürlich kriegt man die nicht immer und muss dann eben bereit sein, neue Wege zu entdecken. Vielleicht auch nicht nur öffentliche sondern auch private Geldgeber ins Boot holen – neue Kooperationen schmieden.
Und persönlich merkte ich schnell, dass ich in so einer kleinen Stadt quasi für alle das Gesicht der nachhaltigen Mobilität bin. Ich war in den Medien präsent und wurde immer angesprochen und auch offen kritisiert.
Hatten Sie während Ihrer Arbeit in diesem Zusammenhang mal das Gefühl, dass die Tatsache, dass Sie eine Frau und jünger sind, eine Rolle gespielt hat?
Ja auf jeden Fall. Seltsam aber lustig war es auch. Ich wurde zum Beispiel mal als „grün-rote Fahrrad-Kommunisten-Frau“ bezeichnet oder in der Zeitung schrieb jemand von mir als „Manager-Mädchen“.
Zurzeit arbeiten Sie als Beraterin für Kommunen bei NetZeroCities (NZC), einem Projekt, welches für den Zeitraum von 2021 bis 2025 im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 von der Europäischen Kommission gefördert wird. Sie begleiten hier Kommunen, die bis 2030 klimaneutral werden wolle.
Ja, es gibt insgesamt 112 Städte, die das mit uns versuchen. Ich bin die Hauptberaterin für zwölf Städte. Wir machen Workshops, vernetzen sie untereinander, versuchen Ressourcen zu heben, helfen ihnen bei Schwierigkeiten und unterstützen sie bei der Entwicklung eines Klimavertrags. Vor allem Investitionspläne sind für viele Kommunen ganz neu. Sie müssen überlegen, wie sie die Klimaneutralität finanzieren. Das städtische Budget und die europäischen Fördergelder reichen hier nicht. Auch hier gilt es, neue Geldströme zu finden, wie beispielsweise Crowdfunding. Es geht um die Überwindung struktureller, institutioneller und kultureller Hindernisse. Sie sollen neue Kooperationen mit verschiedenen Stakeholdern entdecken, auf Erneuerbare Energien setzen und die Bürger*innen mit einbeziehen. Wir schaffen keine Klimaneutralität, wenn wir die Menschen nicht mitnehmen.
Doch eine ebenso wichtige Rolle spielt vor allem auf lange Sicht der Blick auf die Konsumemissionen der Kommunen.
Das wird nicht einfacher.
Das ist leider so. Wir dürfen nicht nur auf die direkten Emissionen schauen, wir müssen erkennen, welchen Einfluss unsere Konsumausgaben etc. auf die ausgestoßenen Emissionen im Ausland hat. Das wird eine große Herausforderung für uns alle, nicht nur für diese Städte. Die Technologien können nicht alles für uns schaffen, wir müssen auch unser Leben ändern.
Welche Städte betreuen Sie?
Sechs Finnische, drei Norwegische und dann noch das österreichische Klagenfurt, Košice und Bratislava in der Slowakei. Dann bin ich die „Support“-Advisor für meine Kollegin, die als die Hauptberaterin für die neun deutschen Städte Mannheim, München, Frankfurt/Main, Leipzig, Dortmund, Dresden, Münster, Aachen und Heidelberg dient.
Neben dem dringend notwendigen Ausbau der Erneuerbaren Energie spielt in Deutschland das Thema Verkehrswende eine spezielle Rolle. Im Zuge Ihrer Arbeit haben Sie einen guten Vergleich zu Städten in anderen europäischen Ländern? Gibt es wirklich ein anderes Verhältnis der Deutschen zu ihrem Auto?
In Deutschland wie auch in anderen Ländern ist das Auto sehr wichtig: „mein Auto”. Man fährt Auto, weil man es gewöhnt ist, weil man es hat und weil es anscheinend noch zu billig ist. In Kopenhagen ist ein privater Stellplatz um ein Zehnfaches teurer als in Deutschland. Das Auto müsste teurer und die Straßen so beschaffen sein, dass die Pkw langsamer sind als andere Verkehrsmittel. Und die Parkplätze auf der Straße nur für Autos zu nutzen, ist auch ein Unding. Was man daraus alles machen könnte, wenn dieser Stadtraum nicht automatisch für Autos reserviert wäre, sondern wieder den Menschen gehören würde: Mikroparks, Terrassen, Cafés.
Die gewohnte Nutzung des eigenen Autos ist auch das Problem beim Ausbau des ÖPNV: Um ihn attraktiver zu machen, muss man ihn ausbauen. Und erst durch den Ausbau wird die Zahl der Nutzer*innen zunehmen. Bis dahin wird es immer heißen, warum investiert Ihr so viel, so viele fahren doch aktuell gar nicht damit.
Und ich habe ja auch mehrere Jahre in Deutschland gelebt und ich glaube, auch die Tatsache, dass viele größere Autohersteller und Zulieferer aus Deutschland kommen, spielt eine große Rolle. Sie sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, sehr stark sichtbar in der Gesellschaft und auch bedeutender Arbeitgeber. Deswegen ist es ja auch für die Städte wichtig, gute Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen zu schaffen.
Teilweise hat man das ja auch in Deutschland versucht, Straßen nicht mehr für Autos zu nutzen. Ein Beispiel ist die Friedrichstraße in Berlin. Als keine Autos mehr dort lang fahren konnten, gab es größere Fahrradstreifen, Platz für Sitzbänke und Fußgänger und das Gefühl von Sicherheit war größer. Aber im Vergleich zu solchen wiedergewonnenen Straßenräumen in Stockholm oder Kopenhagen war es noch nicht ausgereift genug.
Ja, man braucht wirklich ein gutes Konzept, um den Stadtraum wirklich schön zu gestalten, sodass man sich dort gern aufhält und wirklich nicht mehr daran denkt, wie es war, als man mit dem Auto noch durchfahren konnte.
Schön ist auch ein anderes Beispiel aus Kopenhagen. In den Wohnstraßen darf man als Auto nur sehr, sehr langsam fahren und die Fahrradfahrer und Fußgänger haben immer Vorfahrt. Da braucht man keine Angst haben, dass einen ein Autofahrer nicht sieht, hier benötigen wir auch keine Zebrastreifen.
Ja, wie bei den Fahrradwegen in Kopenhagen, die einfach eine Ebene über der Straße liegen, quasi eine Art eigene Bordsteinkante haben. Parken oder halten auf dem Fahrradweg geht hier nicht so einfach.
Ja, und die Fußgänger haben dann noch eine Bordsteinkante. Das sind einfach andere Sicherheitsebenen – das spielt auch eine Rolle bei der Mobilitätswende.
Das Interview führte Anika Schwalbe
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