"Die Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt werden"

Förderprogramme für die Wärmewende und den ländlichen Raum sowie die Photovoltaik-Pflicht und der schleppende Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg: Wir haben mit der Umweltministerin Thekla Walker gesprochen.

Bild: Umweltministerium/RegenscheitSeit Mai dieses Jahres sind Sie Ministerin für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft in Baden-Württemberg. Anfang Oktober beschloss der Landtag bereits das novellierte Klimaschutzgesetz mit der neuen Zielsetzung, dass das Land bis 2040 treibhausgasneutral wird. Welche Maßnahmen sind für die Erreichung dieses Ziels in der Legislaturperiode nötig?

Der Klimaschutz ist neben dem Erhalt der biologischen Vielfalt die zweite große Menschheitsaufgabe unserer Zeit. Wir können unsere Lebensgrundlagen und damit auch unsere Freiheit nur sichern, wenn wir die Energiewende hin zu einer Versorgung aus regenerativen Quellen erfolgreich hinbekommen. Um die Energiewende auch im Land weiter voranzubringen, müssen wir vor allem die erneuerbaren Energien beherzter und schneller als bisher ausbauen. Dazu gehören vor allem die Wind- und Solarenergie. Aus diesem Grund haben wir – als erstes Bundesland überhaupt – die Photovoltaik-Pflicht auf alle Neubauten und bei grundlegenden Dachsanierungen eingeführt. Sie gilt zunächst von 1. Januar 2022 an für alle neuen Nicht-Wohngebäude und Parkplätze ab 35 Stelleplätze und von 1. Mai an auch für neue Wohngebäude. Von 1. Januar an kommt dann die PV-Pflicht bei grundlegenden Dachsanierungen hinzu. Außerdem schreiben wir im Klimaschutzgesetz fest, dass mindestens zwei Prozent der Flächen im Land für Windenergie- und Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen reserviert sein müssen. Darüber hinaus müssen wir vor allem die Genehmigungsverfahren bei Windkraftanlagen enorm beschleunigen, mindestens halbieren.

Die Novelle des Klimaschutzgesetztes sieht die Erweiterung der Photovoltaik-Pflicht auf Wohngebäuden vor. Warum sprechen Sie sich zudem für eine bundesweite PV-Pflicht bei Neubauten und Dachsanierungen aus?

Der Gebäudesektor verursacht rund 30 Prozent der schädlichen Treibhausgasemissionen in Deutschland. Hier müssen wir unbedingt was tun. Neben der energetischen Sanierung und dem Einbau klimafreundlichen Heizungsanlagen haben die Dächer der Gebäude ein riesiges Potenzial, um die Emissionen deutlich zu senken. Das spart langfristig Geld und schont das Klima.

Auch in Baden-Württemberg hinkt die Umsetzung den Plänen hinterher: 2021 wurden bisher nur etwa zwanzig neue Windenergieanlagen errichtet. Um die Ziele bis 2030 zu erreichen, müssten es etwa 100 neu installierte Anlagen pro Jahr sein. Was muss passieren, um den Ausbau der Windenergie zu beschleunigen?

Es müssen vor allem die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Um das zu erreichen, haben wir Ende Oktober im Kabinett die „Taskforce Erneuerbare Energien“ beschlossen. Sie soll Hemmnisse beim Ausbau beseitigen und pragmatische, transparente und tragfähige Lösungen finden, damit wir bei der Energiewende vorankommen. Außerdem werden wir mehr als bisher geeignete Flächen im Staatswald für die Windkraft bereitstellen. Ich bin davon überzeugt, dass das alles zusammen, auch mit dem Zwei-Prozent-Flächenziel, dazu beitragen wird, dass in Baden-Württemberg wieder mehr Windenergieanlagen gebaut werden können. Dazu gehört natürlich auch, dass die Rahmenbedingungen in Brüssel und in Berlin deutlich verbessert werden, damit wir im Süden nicht länger bei den bundesweiten Ausschreibungen benachteiligt werden.

Der Ministerrat des Bundeslandes hat im September dem neuen Förderprogramm für die kommunale Wärmeplanung zugestimmt. Große Städte werden bereits dazu verpflichtet, bis Ende 2023 einen Wärmeplan zu erstellen. Welchen Beitrag leistet die verpflichtende Wärmeplanung für die Wärmewende?

Eine erfolgreiche Wärmewende ist Voraussetzung, um die weitere Verschärfung der Klimakrise zu verhindern und die schädlichen Treibhausgasemissionen spürbar zu drücken. Der kommunalen Wärmeplanung fällt da eine Schlüsselrolle zu. Sie ist die strategische Grundlage für einen gelungenen Übergang von der fossilen hin zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung. Zum einen muss der Endenergiebedarf im Gebäudesektor massiv reduziert werden. Zum anderen müssen heute die strategisch richtigen und vorausschauenden Entscheidungen auf kommunaler Ebene getroffen werden, um den verbleibenden Energiebedarf klimaneutral decken zu können. Mit einer Wärmeplanung sollen der aktuelle Wärmebedarf und die Potenziale für die Nutzung erneuerbarer Energieträger und Abwärme sowie für die Anwendung der Kraft-Wärme-Kopplung systematisch erhoben werden und so Konzepte für eine klimaneutrale Wärmeversorgung erarbeitet werden. Um die Klimaschutzziele des Landes einzuhalten, müssen wir erreichen, dass der erforderliche Energiebedarf vollständig aus erneuerbaren Energien gedeckt wird.

Welche großen Hindernisse gilt es in den kommenden Jahren für die Umsetzung von Klimaschutz und Energiewende zu überwinden?

Die Genehmigungsverfahren habe ich schon angesprochen. Diese müssen wir bundesweit und rechtssicher beschleunigen, ohne dass der Artenschutz darunter leidet. Außerdem brauchen wir Flächen, Flächen und nochmals Flächen, auf denen Windenergie- und Freiflächen-PV-Anlagen entstehen können. Und wir müssen den Menschen in den Kommunen noch besser verdeutlichen, warum der Ausbau der erneuerbaren Energien so wichtig und dringend ist, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen.

In der aktuellen Debatte geht es oft um ländliche Kommunen, die beispielsweise Personalmangel beklagen und daher die vorhandenen Potenziale nicht ausreichend nutzen können. Wie können sie unterstützt werden?

Wir unterstützen die Kommunen beim Klimaschutz und der Energiewende schon auf vielfältige Weise. Zuletzt haben wir ein Förderprogramm für die kommunale Wärmeplanung beschlossen. Dabei werden die Landkreise und Gemeinden finanziell gefördert, die nicht von der verpflichteten Wärmeplanung betroffen sind. Um die Gemeinden bei dieser Aufgabe zu unterstützen, werden im Laufe des Jahres in allen Regionen des Landes Beratungsstellen für die kommunale Wärmeplanung eingerichtet. Wir werden dann bis zu 80 Prozent der förderfähigen Kosten bezuschussen. Außerdem unterstützen wir die Kommunalverwaltungen mit dem Förderprogramm Klimaschutz-Plus auf dem Weg zur Klimaneutralität. Gefördert werden unter anderem die Schaffung von zusätzlichen Stellen für sogenannte „Beauftragte für eine klimaneutrale Kommunalverwaltung“ über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren, begleitende externe Beratungen sowie Sachkosten. Und nicht zu vergessen: KLIMOPASS. Mit diesem Förderprogramm unterstützen wir Kommunen bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels, was unheimlich wichtig ist, vor allem im Hinblick auf die Wetterextreme wie Starkregen oder Trockenheit.

In Ihrer Laufbahn engagierten Sie sich stetig für Naturschutz, etwa bei Greenpeace und im NABU. Wie kam es zu dem Wunsch, in der Politik aktiv zu werden?

Ich habe bei meinen verschiedenen Engagements für den Umwelt- und Naturschutz irgendwann erkannt, dass man die Zukunft nur positiv gestalten kann, wenn man in der Politik dafür Mehrheiten hat. Ich bin dann den Grünen beigetreten und 2009 in den Stadtrat von Stuttgart gewählt worden. Das war eine spannende und lehrreiche Zeit für mich. Ich habe schnell gelernt, dass man als Kommunalpolitikerin viele Gestaltungsmöglichkeiten hat und nah an den Menschen dran ist, viel über ihre Bedürfnisse und ihre Sorgen mitbekommt. Und ganz pragmatische Lösungen braucht, um ihnen zu helfen. Ich habe nie irgendeinen Posten angestrebt, aber man wächst irgendwie mit und an den Aufgaben und übernimmt sukzessive immer mehr Verantwortung. Das war ein natürlicher Prozess.

Welche Rolle spielt die Bildung von Kindern und Jugendlichen zu den Themen Natur- und Klimaschutz?

Natur- und Klimabildung muss einen breiten Raum einnehmen – davon bin ich überzeugt. Die Zukunft gehört den jungen Menschen, und beim Klimaschutz geht es um nicht weniger als um den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen. Wir wollen unseren Kindern und Jugendliche vermitteln, was passiert, wenn wir zu viel Treibhausgas produzieren und die Insekten keinen Lebensraum und Nahrung mehr finden. Die jungen Menschen sollen ein Verständnis dafür bekommen, wie alles zusammenhängt – unsere Mobilität, unsere Ernährung, unsere Produktionsweise und unseren Lebensstil. Die Klimakrise und der Rückgang der Artenvielfalt betrifft uns alle – und gemeinsam und weltweit müssen wir dafür sorgen, dass die Treibhausgase eingedämmt werden und wir die biologische Vielfalt erhalten und stärken, damit wir auch in Zukunft noch einen lebensfähigen Planeten vorfinden werden.

Wer hat Sie in der Vergangenheit inspiriert bzw. wer inspiriert Sie heute?

Jane Goodall finde ich eine faszinierende, eine inspirierende Frau, die so viel für den Tier-, Umwelt- und Klimaschutz erreicht hat. Sie ist eine mutige Pionierin und hat mit ihrer Forschung und ihrer Leidenschaft nicht nur das Leben der Schimpansen, sondern auch das vieler Menschen zum Positiven hin verbessert.