Erneuerbare Energien sind ein wichtiger Motor, um Thüringen langfristig als Wirtschafts- und Technologiestandort zu etablieren
Frau Wosche, Sie sind Geschäftsführerin der Landesenergieagentur des Freistaates Thüringen (ThEGA). Welche Aufgaben übernimmt die Energieagentur in ihrem Bundesland?
Wir sind Lotse und Wegbereiter für Projekte, die eine zukunftsfähige Energieversorgung in Thüringen sicherstellen und sich für wirksamen Klimaschutz stark machen. Wir zeigen, wie sich Energiekosten und Ressourcenverbrauch reduzieren lassen und wie sich der Ausbau der Erneuerbaren Energien forcieren lässt. Dafür bringen wir Partner aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung zusammen, vermitteln Wissen an Entscheidungsträger, erstellen Studien, beraten zu Fördermöglichkeiten – und tragen so maßgeblich zum Gelingen der energie- und klimapolitischen Ziele Thüringens bei.
Welche Bedeutung haben die Erneuerbaren Energien, wenn es darum geht, das Bundesland zu einem attraktiven Wirtschafts-, Investitions- und Technologiestandort zu entwickeln?
Bis 2040 soll der Energiebedarf Thüringens bilanziell durch einen Mix aus Solar-, Wind-, Wasser- und Bioenergie gedeckt werden. Im gleichen Zeitraum sollen die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 80 Prozent sinken. Beide Ziele sind im Thüringer Klimagesetz verankert. Ich bin überzeugt: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist ein wichtiger Motor, um Thüringen langfristig als leistungsstarken Wirtschafts- und Technologiestandort zu etablieren. Deswegen haben wir 2013 auch die Gründung des Thüringer Erneuerbare Energien Netzwerks organisiert. Immer mehr Unternehmen fragen uns zudem, wie sie ihre Produkte und Dienstleistungen klimaneutral produzieren können. Effizienzmaßnahmen und das Einbinden Erneuerbarer Energien stehen dabei ganz oben auf der Liste. Als Landesenergieagentur gestalten wir diese Entwicklung maßgeblich mit. Aktuell sorgen wir zum Beispiel dafür, dass sich Thüringen fit macht für die Biathlon- und Rennrodel-Weltmeisterschaft 2023. Gemeinsam mit dem Zweckverband Thüringer Wintersportzentrum Oberhof, dem Finanzministerium und unserem Mutterunternehmen, der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen, sorgen wir dafür, dass die Sportstätten durch das Nutzen von Abwärme, Solar- und Bioenergie möglichst klimaneutral betrieben werden.
Was sind die Herausforderungen für den Ausbau der Erneuerbaren in den urbanen Räumen Thüringens?
Beim Ausbau der Erneuerbaren gibt es in Städten spezifische Herausforderungen zu meistern, da dort oft nicht genügend Flächen zur Verfügung stehen. Der Ausbau der Windenergie findet in Thüringen deshalb fast ausschließlich im ländlichen Raum statt. Die Menschen dort sollten aber nicht das Gefühl haben, dass die Energiewende in den Städten geplant wird, die Auswirkungen aber nur vor ihrer Haustür stattfinden. Hier versuchen wir mit unserer Servicestelle Windenergie anzusetzen. Beim Thema Solarenergie plädieren wir dafür, regulatorische Hemmnisse beim Mieterstrom abzubauen, damit nicht nur Eigentümer an der Energiewende partizipieren. Schließlich wohnt mehr als die Hälfte der Stadtbewohner zur Miete. Zusätzlich könnte der Gesetzgeber das Zusammenspiel von Denkmalschutz und Photovoltaik verbessern sowie über eine Pflicht zur Installation von PV-Anlagen bei Neubauten nachdenken. Das würde die Zahl der PV-Anlagen in Städten deutlich erhöhen.
Kommunen sind die Treiber der Energiewende, dennoch gibt es verschiedene strukturelle Gegebenheiten. Wie unterscheidet sich der Ausbau der Erneuerbaren in ländlichen Räumen von dem in Städten? Wie fördert die ThEGA die Regionalentwicklung in Thüringen?
Ländliche Regionen bieten mit ihrem hohen Platzangebot große Potenziale für die flächenintensiven dezentralen Energieformen wie Windenergie, Freiflächen-PV oder Biogasanlagen. Zu diesen Themen berät die ThEGA Thüringer Kommunen individuell. Wir bringen Partner für größere Projekte zusammen und unterstützen beim Beantragen von Fördergeldern. Folglich erkennen immer mehr Kommunen die Entwicklungspotenziale dieser Technologien und sehen sie als Chance, neue wirtschaftliche Impulse in der Region zu setzen. So machen wir uns etwa dafür stark, Thüringer Kommunen stärker an der Wertschöpfung von Windparks zu beteiligen. Das sorgt unserer Erfahrung nach dafür, dass die Akzeptanz für Windenergie steigt.
Viele Erneuerbare-Energien-Anlagen fallen ab 2021 nach 20 Jahren aus der EEG-Förderung. Was muss für Betreiber*innen getan werden, damit sich der Weiterbetrieb oder Nachnutzungskonzepte wirtschaftlich lohnen?
Ende des Jahres fallen in Thüringen rund 200 PV-Anlagen mit einer Leistung von etwa 615 Kilowatt aus der Förderung. Für die weitere Nutzung können die Anlagen mithilfe eines Speichers auf Eigenverbrauch umgestellt werden. Das wird in Thüringen durch das Förderprogramm SolarInvest unterstützt. Für viele kleinere Anlagen ist dies allerdings unwirtschaftlich. Hier kann nur eine Novellierung des EEG helfen. Ähnlich ist die Situation bei vielen Biogasanlagen. Hier analysieren unsere Experten bei einer Vor-Ort-Beratung die verschiedenen Optionen für einen Weiterbetrieb. Im Einzelfall wird geprüft, welche Option die beste ist: der Eintritt in eine zweite Förderperiode, Eigenstromerzeugung, Einspeisung ins Erdgasnetz oder das Umsetzen von Effizienzmaßnahmen an der Anlage. Bei der Windenergie zeigt deren schleppender Ausbau, dass die bundespolitischen Rahmenbedingungen derzeit nicht zufriedenstellend sind. Es müssen tragfähige Konzepte für den Weiterbetrieb von alten Windrädern auf den Tisch. In Thüringen fallen bis Ende des Jahres 135 Anlagen mit einer Leistung von 100 Megawatt aus der Vergütung. Als Landesenergieagentur schauen wir deshalb genau hin, wo und wie wir effizient im Bereich Sektorenkopplung Projekte initiieren. Unserer Einschätzung nach sollten Speichertechnologien und Zukunftskonzepte – etwa das Herstellen von Wasserstoff durch Windenergie – stärker in den Fokus genommen werden.
Noch bis Anfang September ist der Klimapavillon in Gera geöffnet. Mit einer Ausstellung und Aktionen wird über Klimawandel, Nachhaltigkeit und Erneuerbare Energien informiert. Welche Bilanz ziehen sie, trotz der Corona-Pandemie, nach der vierten Saison des Pavillons?
Trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie können wir auf eine erfolgreiche Saison zurückblicken. In den ersten Wochen mussten wir auf Besucher verzichten und haben unsere Veranstaltungen über die Website www.klima-pavillon.de zur Verfügung gestellt. Bis heute wurden die Videos tausendfach aufgerufen. Im Juni konnten wir dann einen regulären Besucherbetrieb unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln starten. Deswegen lassen sich die aktuellen Besucherzahlen mit denen aus den Vorjahren nicht vergleichen. Wir freuen uns dennoch, dass mehr als 7.000 Gäste in unseren Klima-Pavillon nach Gera gekommen sind. Das Positive an der neuen Situation: Der Austausch zwischen Gästen und Referenten ist intensiver geworden als in den Jahren davor. Besonders freuen wir uns, dass in diesem Jahr viele Schülergruppen unsere Angebote genutzt und sich an den Diskussionen beteiligt haben.
Dürfen wir Ihnen zum Abschluss zwei persönliche Fragen stellen: Wer inspirierte Sie zu Ihrem Berufsweg und wie kam es zu Ihrem Interesse an den Erneuerbaren Energien?
Als studierte Diplomingenieurin für Feinwerktechnik bin ich seit jeher mit technischen Zusammenhängen vertraut – was mir durchaus auch nach meinem Wechsel in die Immobilienwirtschaft zugutekam. In meiner Zeit als Vorstandsmitglied und später als Vorstandsvorsitzende der Heimstätten-Genossenschaft Jena eG habe ich mich von 2000 bis 2017 intensiv mit Fragen zu Energieeffizienz, nachhaltiger Quartiersentwicklung und Modernisierung befasst. Jetzt, als Geschäftsführerin der LEG und ihrer Tochtergesellschaft ThEGA, freue ich mich, nicht zuletzt das Thema Erneuerbare Energien umfassend begleiten zu können. Gerade dieses Thema spielt im Zuge der Energiewende und der zukunftsorientierten Stadt-, Regional- und Landesentwicklung in Thüringen eine immer wichtigere Rolle.
Wo möchten Sie die Erneuerbaren im Jahr 2030 sehen und welche Rahmenbedingungen müssen dafür geschaffen werden?
Ich wünsche mir, dass wir 2030 die Klimaschutzziele der Bundesregierung erreicht haben und den Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 1990 um 55 Prozent verringert haben. In Thüringen sollten wir bis dahin ein großes Stück beim Ausbau der Erneuerbaren vorangekommen sein, um das Land bis 2040 komplett mit einem Mix aus Windkraft, Solar- und Bioenergie sowie Wasserkraft zu versorgen. Dafür brauchen wir zum Beispiel weniger bürokratische Hürden, schnellere Genehmigungsverfahren und eine beschleunigte Ausweisung von Gebieten für die Windenergienutzung. Zudem wünsche ich mir, dass im Jahr 2030 mehr Thüringer Kommunen und mehr Bürgerinnen und Bürger solche Anlagen betreiben und direkt von den Erneuerbaren profitieren.
Zur Person:
Sabine Wosche, Jahrgang 1966, Thüringerin, ist studierte Diplomingenieurin für Feinwerktechnik. Seit dem Jahr 2000 war sie Mitglied des Vorstands der Heimstätten-Genossenschaft Jena eG. 2008 wurde sie Vorstandsvorsitzende und war für die strategische und operative Führung des Unternehmens zuständig. Seit dem 1. Dezember 2017 ist Sabine Wosche Geschäftsführerin der Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur (ThEGA) und der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen mbH (LEG Thüringen). Sabine Wosche ist verheiratet, hat drei Töchter und zwei Enkelkinder.
Weitere Informationen zur Thüringer Landesenergieagentur ThEGA finden Sie auf dieser Website.
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